TATblatt



Prostitution und Migration

Am 18.6. wurde in Wien das Handbuch "Gesundheit erstreiten" präsentiert, das die Ergebnisse und Erkenntnisse der geleisteten Arbeit der Mitglieder von Europap/Tampep in der Gesundheitsvorsorge für ausländische Prostituierte zusammenfaßt. In der gleichen Woche wurde das Handbuch in den anderen EU-Staaten und Norwegen der Öffentlichkeit vorgestellt.

Der folgende Text stellt eine Zusammenfassung der Vorträge und Arbeitsgruppen der Veranstaltung "G'sundes Geschäft? Prostitution und Migration" dar.
 
 

TATblatt

Die Veranstaltung in der Wiener Sargfabrik wurde von den Lateinamerikanischen Emigrierten Frauen in Österreich (LEFÖ) organisiert, einem Kommunikations- und Beratungszentrum von und für Migrantinnen in Österreich. LEFÖ ist Mitglied von TAMPEP (Transnational AIDS/STD prevention among migrant prostitutes in Europe/projekt), einem europäischen Forschungsprojekt, das gleichzeitig Programme zur AIDS-Prävention für migrierte Prostituierte konzipiert und durchführt, wobei eine ganzheitliche Methodologie durch kulturelle Mediatorinnen und Mulitplikatorinnen gewährleistet wird. Es existiert als Projekt seit 1993 in den Niederlanden, Italien, Deutschland und Österreich.

In den europäischen Staaten werden momentan Gesetze in bezug auf SexarbeiterInnen überarbeitet. Von vielen dieser politischen Strategien kann angenommen werden, daß sie einen negativen Einfluß auf die Gesundheit von Prostituierten und ihren PartnerInnen haben werden. Prostitution wird von offizieller Seite als ein wenn schon nicht abzuschaffendes, so zumindest einzuschränkendes Übel wahrgenommen. SexarbeiterInnen gelten als gesellschaftliche Ware, die daran erinnert, das jede und jeder ihren/seinen Körper verkaufen muß, um in dieser Gesellschaft überleben zu können.

Prostitution muß global gedacht werden. Der Sextourismus in Länder wie Thailand boomt, in den östlichen Nachbarstaaten der EU entstehen Bordelle, die über günstige Angebote Freier aus dem Westen anlocken. Bei den SexarbeiterInnen in Europa handelt es sich immer öfter um Migrantinnen.

Während über die neuen Regelungen einigen Prostituierten Rechte zuerkannt werden, werden andere davon ausgeschlossen und werden zu Opfern zusätzlicher Repressalien. Dies betrifft besonders MigrantInnen, die nicht in Besitz gültiger Papiere sind. Die so geschaffenen Lebens- und Arbeitsbedingungen drängen sie weiter in den Untergrund. Über staatliche Kontrollmechanismen werden Gesundheitsförderungen behindert und gefährliche Arbeitsbedingungen für SexarbeiterInnen geschaffen. In Österreich sind SexarbeiterInnen zur wöchentlichen Kontrolluntersuchung beim Amtsarzt verpflichtet. Dieser stempelt, falls keine Krankheiten festgestellt werden können, den sog. Deckel. Treten irgendwelche Komplikationen auf, haben die SexarbeiterInnen keine Möglichkeit mehr, ihren Beruf legal weiter auszuüben. Für MigrantInnen bedeutet dies oft in letzter Konsequenz die Abschiebung. Die AmtsärztInnen sind weiters dazu verpflichtet, die Daten über die gemeldeten SexarbeiterInnen an die zuständige Exekutive weiterzuleiten, was es illegal in Österreich arbeitenden Prostituierten verunmöglicht, die Untersuchungen durchführen zu lassen. Dabei ist weiters anzuführen, daß diese Menschen aufgrund ihres Status in Österreich von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sind und sich eine teure private Untersuchung meist nicht leisten können. Dazu kommt, daß Sexarbeit an sich keine offiziell anerkannte Erwerbstätigkeit ist und alle SexarbeiterInnen eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben.

In privaten sozialen Einrichtungen kann unter dem Schutz der Anonymität in geringem Maße entgegengewirkt werden. TAMPEP hat es sich u.a. zur Aufgabe gemacht, mit SexarbeiterInnen an ihren Arbeitsstellen Kontakt aufzunehem und über geeignetes Informationsmaterial, das in den entsprechenden Sprachen verteilt wird, Aufklärung zu betreiben. Kulturelle Mediatorinnen spielen dabei eine wesentliche Rolle. Sie können über ihre Sprachkenntnisse und die Kenntnis des kulturellen Umfeldes einen Zugang zu sonst schwer erreichbaren SexarbeiterInnen schaffen.
 
 

gesetzliche Regelung
 
 

Die Prostitutionsgesetzgebung spiegelt Mythen und Vorurteile wieder, die in Bezug auf dieses Gewerbe bestehen. In Österreich besteht ein Nebeneinander von Bundes- und Landesgesetzen, die sich aus der Komplexität des Lebenssachverhaltes ergeben, und teilweise zueinander in Widerspruch stehen. So ist z.B. in Vorarlberg Prostitution verboten und in Tirol gleichgeschlechtliche Prostitution.

In den diversen Gesetzen wird ein Bezug auf gute Sitten hergestellt, die als Inbegriff jener Rechtsnormen gelten, die in den Gesetzen nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. In einem Urteil meinte der Oberste Gerichtshof OGH 1989, daß im Zusammenhang mit Prostitution häufig Leichtsinn, die Unerfahrenheit, die Triebhaftigkeit und die Trunkenheit von Personen ausgenutzt werden. Ebenso wird eine Gefährdung für familienrechtliche Institutionen, insbesondere der Ehe, geortet, da "Prostitution oft zu Ehebruch führt."
 
 

Vergessen wird dabei zur Gänze die Situation der SexarbeiterInnen. Während Männer in diesem Gewerbe meist selbständig arbeiten, befinden sich Frauen oft in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem Mann - besonders dann, wenn sie sich illegal in Österreich aufhalten. Unter diesen Umständen ist nahezu unmöglich, dem Ausbeutungsverhältnis zu entkommen.

Polizeirazzien in Bordellen oder am Strich bedeuten für Frauen ohne Papiere Schubhaft. Das System des Frauenhandels bleibt so in seinem Kern unangetastet; für jede ausgewiesene Frau können zwei nachkommen. Profiteure sind VermieterInnen, Zuhälter, SchlepperInnen, Beschützer, Fluglinien und Reisebüros.

Die Abhängigkeit der Frauen gewährt den Freiern niedrige Preise, die so aus der rechtlichen Situation Nutzen schlagen können. Oft werden Frauen in solchen Situationen gezwungen, auf Schutzmaßnahmen bei der Arbeit zu verzichten.

Prostituierte haben rechtlich gesehen den Status von Objekten, was bedeutet, daß sie ihre subjektiven Rechte zur Einhaltung von Bauvorschriften, zur Schaffung von Sanitäranlagen oder Sozialräumen nicht behördlich einfordern können. Es gibt keine Lobby für die Interessen der SexarbeiterInnen und auch keine Gewerkschaft. Der Fehlende rechtliche Schutz bedeutet einen schweren Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frauen.

Da sich der österreichische Gesetzgeber klar dafür entschieden hat, daß es Prostitution geben soll, beruht diese auf fundamentalen Grundlagen der Gesellschaftsordnung. Daher kann, so die Ansicht von Prostituiertenprojekten, Prostitution aus der Gesellschaft nicht entfernt werden, solange keine grundlegende gesellschaftliche Änderung des hierarchischen Geschlechterverhältnisses stattgefunden hat. Gemeinhin wird eine Tätigkeit, die dermaßen nachgefragt und gewollt und nicht verboten ist, als Arbeit definiert. Diese Anerkennung wird dem Gewerbe seit Jahrhunderten verwehrt.

Deshalb fordern viele SexarbeiterInnen, daß ihre Tätigkeit als Erwerbsarbeit anerkannt wird. Doch ist die gesetzliche Regelung zu wenig. Die Stigmatisierung von Sexarbeit hängt stark mit Sexualität zusammen - über Sexualität zu reden unterliegt grundsätzlich einer Tabuisierung.

Die Geschichte der Tabuisierung ist lang. Angst und Abwertung wurde der Prostitution entgegengebracht, sie wurde ghettoisiert, SexarbeiterInnen als Hexen verbrannt. Vor etwa 150 Jahren begannen die Staaten, Prostitution zu regeln. Die Gesetze dafür wurden von Männern geschaffen und sind ein Teil der patriarchalen Herrschaft über Frauen, denen abgesprochen wurde, ihre Sexualität und Lust auszuleben. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, daß Prostitution für Frauen mit der Lust verbunden sein kann, Macht zu haben und Männer davon abhängig zu machen. In der Gesellschaft können alle Menschen als Sklaven angesehen werden, denen nicht ermöglicht wird, ihre Sexualität frei auszuleben. Der Staat entzieht über Gesetzte vielen Menschen diese Möglichkeit. Ein Ausweg könnte darin bestehen, die reglementieren Institutionen und Ideologien wie Staaten und Religionen zu beseitigen.
 
 

Selbstbestimmung
 
 

Für viele Frauen und Männer stellt Prostitution eine Erwerbsarbeit dar, der sie freiwillig nachgehen. Sie wollen ihren Beruf auch nicht aufgeben, sondern lediglich anerkannt werden. Dies trifft auch für viele MigrantInnen zu, die über den Weg des Frauenhandels nach Österreich gelangt sind. Der Einfachheit halber kann in folgende Gruppen unterschieden werden:

*Personen, die freiwillig als Prostituierte arbeiten und zumeist autochton sind. Unter diesen stellen Immigrantinnen eine kleine Minderheit dar.

*Immigrantinnen, die aufgrund der Tatsache, daß sie heimlich im Land sind, zur Prostitution gezwungen sind.

*Immigrantinnen, mit denen gehandelt wird und die zur Prostitution gezwungen werden oder gegen ihren Willen auf der Straße arbeiten müssen.

Das Paradoxe an diesen Gruppen ist die Gemeinsamkeit, die sie verbindet: die Angehörigen der ersten Gruppe sind "illegal", weil sie ihr Gewerbe hinter verschlossenen Türen ausüben; die anderen, obwohl sie auf der Straße arbeiten, sind "illegal", weil sie heimlich im Land sind.

Diese Ausgangslage erfordert eine differenzierten Zugang, der sich in den Forderungen der Prostituiertenbewegung, die leider in Österreich im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern kaum vorhanden ist, ausdrückt und konträr zur Politik der EU steht. Diese unterstützt in letzter Zeit Migrantinnen, die in die Prostitution gedrängt werden, bezieht jedoch die Gründe, die die Frauen hierherbringen nicht mit ein. Für verschiedene Organisationen, die sich mit der Betreuung von SexarbeiterInnen beschäftigen, steht nicht im Vordergrund, diese aus ihrem Gewerbe herauszuholen - dafür fehlt es ohnehin meist an Alternativen - vielmehr soll ein Bewußtsein für Gesundheitsvorsorge über Information entwickelt werden und den Frauen und Männern ein Rückhalt gegeben werden. Wichtig ist hier eine Entkriminalisierung von Prostitution. Eine gesetzliche Änderung kann jedoch nur in auf der Basis einer anderen Sichtweise funktionieren.

Wichtig ist weiters, daß Prostitution und Migration getrennt von sexueller Gewalt, Arbeitsrecht usw. thematisiert werden, da es differenzierter Diskussionen bedarf. Während in einem Fall SexarbeiterInnen für ihre rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung eintreten, geht es im anderen Fall um Menschenhandel, dessen Bekämpfung eine massive Opferbegünstigung voraussetzt, der insbesondere einen aufenthaltsrechtlichen Status für Frauen unabhängig von Männern erfordert und ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht.

Weiters muß hier der Zusammenhang von Sextourismus, Frauenmigration und Prostitution öffentlich gemacht, die Rolle der Freier breiter thematisiert und Klischees in Medien demontiert werden. Männer sollten sich bewußt werden, daß auch sie selbst zuständig sind. Desweiteren sollten Prostituierte bei ihrer Selbstorganisation unterstützt und MigrantInnenarbeit gefördert werden.

Im Bereich der Gesundheitsprävention wurden auf der Veranstaltung am 18. Juni folgende Aufgaben erarbeitet:

*weitere Sensibilisierung der Arbeit mit bzw. der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen

*Hervorhebung der Prinzipien: freiwillig, anonym, kostenlos

*Wichtigkeit kultureller Mediation hervorheben und auf deren Multiplikationswirkung setzen

*die Zielgruppe (ausländische Sexarbeiterinnen) sollen beteiligt sein

*eine effiziente Arbeit im Gesundheitsbereich erfordert Kooperation zwischen Gesundheitseinrichtungen und NGOs

*als Werkzeug, um an öffentliche Einrichtungen heranzutreten steht das Handbuch "Gesundheit erstreiten" zur Verfügung, das eine europäische Zusammenfassung mit ganz klaren inhaltlichem, sachlichem und politischem Wert darstellt.
 
 
 
 
 
 

Anmerkung:

Die Vortragenden werden hier nicht extra erwähnt, über die Veranstaltung soll eine Dokumentation erstellt werden.

Das Handbuch "Gesundheit erstreiten" (ATS 140,-) ist erhältlich bei:
LEFÖ
Kettenbrückengasse 15/4
A-1050 Wien
Tel. 01/5811880
Fax. 01/5811882


aus: TATblatt nr. +119 (11/1999) vom 2. juli 1999
(c)TATblatt
alle rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken, alternativen und ähnlichen medien ohne weiteres gestattet (belegexemplar erbeten)!
In allen anderen fällen nachdruck nur mit genehmigung der medieninhaberin (siehe impressum)


[zum TATblatt-inhaltsverzeichnis]