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Vom Mythos polizeilicher Deeskalationsstrategie
Polizei bildet "schwarzen Block"

Es zählt zu den fein-säuberlich aufgebauten Mythen des Widerstands gegen die blau-schwarze Regierung, dass "die Polizei" eine Strategie der "Deeskalation" fährt. Knappe fünf Wochen nach der Regierungsangelobung verdichten sich "punktuelle Polizeiübergriffe" zu etwas, was als strategische Linie gedeutet werden könnte.

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Grüne PolitikerInnen glaubten vergangenen Freitag an Bewusstseinsspaltung zu leiden: Auf ihre Nachfragen bei der Wiener Polizeileitung hin war ihnen mitgeteilt worden, dass es im Zuge der Donnerstagsdemonstration vom 2. März zu keinerlei Festnahmen im Bereich Schwarzenbergstrasse/Mahlerstrasse gekommen sei. Polizeisprecherin Edelbacher lagen, wie sie Radio Orange gegenüber erklärte, ebenfalls keine Informationen über Festnahmen in diesem Bereich vor. Von vermummten Polizisten in Zivil wollten weder Edelbacher noch die zuständigen Beamten des Innenministeriums etwas wissen. Den Grünen lag zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits ein Video vor, auf dem ein Filmteam genau das festgehalten hatte (wären die Grünen übrigens TATblatt-Online-LeserInnen, hätten sie's schon Stunden früher gewusst).
 

Die Individualisierung des Terrors
 

Über Stunden hinweg bequemte sich die Polizei, stets nur das öffentlich zuzugeben, was bereits andere, unabhängige Quellen, bereits veröffentlicht hatten. Auf vier Wochen zurückblickend eine Strategie, die bereits mehrfach fälschlich als "Deeskalation" verkauft worden war:

Bereits am Tag der Regierungsangelobung wartete die Polizei auf die Reduktion der DemonstrantInnen (durch Zeitablauf), um Wasserwerfer und Schlagstöcke einsetzen, auf Menschen eindreschen und -treten zu können. Diese "Strategie der Deeskalation" wurde auch noch im Fernsehen - zum Teil unter Einspielung das Gegenteil beweisender Bilder von Beamten, die auf am Boden sitzende DemonstrantInnen einprügeln - als entschiedener Schritt gegen "gewaltbereite Chaoten" verkauft, die "die Demonstrationen zu ihren Zwecken nutzen" wollten.

Am selben Tag, neun Stunden früher, verleugnete die Polizei die Tatsache, dass sie zwei Personen im kurzfristig besetzten Sozialministerium festhielt. Erst massives Nachfragen anderer KundgebungsteilnehmerInnen befreite die Eingeschlossenen aus ihrer Gefangenschaft. Und auch hier wieder: Knüppeleinsätze habe es nicht gegeben, und wenn doch, dann nicht auf Befehl von oben...

Bis zur Großdemonstration am 19. Februar "deeskalierte" die Polizei durch innerhalb der Demonstration agierende KriminalbeamtInnen, die DemonstrantInnen nach Verlassen des Kundgebungsortes unter recht willkürlichen Vorwänden aufhielten, perlustrierten und zum Teil auch in Wachstuben mitnahmen. Am 5. Februar terrorisierten Kriminalbeamte eine Gruppe von DemonstrantInnen, in dem sie diese die gesamte Demonstration hinweg "beschattete". In einer U-Bahnstation wurden Jugendliche ohne weitere Angabe von Gründen perlustriert.

Unter dem Vorwand, er hätte ein Ei geschmissen, wurde ein junger Teilnehmer der Demonstration vom 12. Februar festgehalten, mitgenommen und mit dem angeblichen Tatbestand (Eiwurf) konfrontiert.

Am 19. Februar schließlich startete die Polizei einen Angriff auf einen von ihr als solchen bezeichneten "schwarzen Block" (siehe TATblatt +134), der zumindest bis zum Zeitpunkt des polizeilichen Agierens als solcher nicht in Erscheinung getreten ist.

In den Stunden vor und nach dieser Großdemonstration entwickelte die Polizei große Energie im Aufspüren und Schikanieren von ihr als solcher erkannter oder vermuteter GegnerInnen der Regierung. Allesamt waren diese Aktionen vom Versuch gekennzeichnet, Personen in von anderen DemonstrantInnen isolierten Situationen anzuhalten, festzuhalten und als potentielle oder tatsächliche GewalttäterInnen zu präsentieren.

Berichte über diese Form individualisierten Terrors trudeln nun immer mehr ein: Eine Person, die am Tag der Angelobung angeblich auf einem Autodach gestanden sein soll, wurde in seinem Stammbeisl von Beamten in Zivil "besucht". Botschaft: "Wir kennen dich. Wir wissen, wo du bist".

Angehörige der Internetgeneration erhielten Besuch von der Staatspolizei, nachdem sie auf künstlerischer Ebene Proteste gegen Gehrer und Morak zur Diskussion gestellt hatten.

Die Liste derartiger Vorfälle ließe sich nun fortsetzen: Die "Deeskalation" der Polizei besteht darin, polizeiliches Agieren auf eine scheinbar "private" Ebene zu verlagern.

Bisheriger Höhepunkt dieser Strategie: Die eingangs beschriebenen Festnahmen zweier Personen, die von der Polizei dem harten Kern eines angeblichen "schwarzen Blocks" zugerechnet werden; und zumindest einer weiteren Frau, der eine ähnliche Rolle zugeschrieben wird...

Über den Verbleib einer weiteren, in der Operngasse festgenommenen Person, ist bis heute nichts bekannt!

Interessant dabei: Nach dem Auftauchen des die Beschuldigten als Betroffene einer Polizeiaktion, jedenfalls nicht als Gewalttäter, zeigenden Videos, wechselte Polizeichef Stiedl seine Strategie. Vorgeworfen wird den beiden nun "Aufruf zu Gewalt" und die führende Mitgliedschaft in einer "Aktionsgemeinschaft gegen die Polizei", die allerdings gänzlich unbekannt ist. Wann bekommen wir endlich Flugblätter dieser obskuren Gruppe zu lesen?

Was Stiedl wohl meint: Ziel des polizeilichen Zugriffs waren nicht Gewalttäter, nicht Mitglieder einer obskuren Gruppe, sondern schlichtweg Personen, die polizeilicherseits offensichtlich der "Rechtshilfe" zugerechnet werden; jener Personengruppe, die sich bereits in den letzten Wochen erhöhter Aufmerksamkeit seitens der Polizei erfreuen durfte (Observationen). Gezielte Schläge gegen die Infrastruktur dieser Widerstandsbewegung scheinen als polizeiliches Motiv recht naheliegend...
 

Öffentlichkeit ist eine Waffe
 

Diese beschriebene "Individualisierung des Terrors" ist keine polizeiliche Deeskalation. Ihr entgegen wirkt nichts als die Veröffentlichung von Wahrnehmungsberichten. Wo Öffentlichkeit rasch genug hergestellt werden konnte, wurde die Polizei zu einer Änderung ihrer offensichtlichen Strategie oder gar zum Rückzug gezwungen: Geplante Eskalationen von Seiten der Polizei am 2. März in der Nibelungengasse (siehe Chronologie) wurden live auf Orange 94,0 gesendet und endeten mit dem Rückzug der Polizeikräfte. Ähnliches dürfte am Albertinaplatz vor sich gegangen sein, wo es die Polizei offensichtlich darauf angelegt hatte, die DemonstrantInnen in eine Falle zu locken, und "zufällig" auch schon Wasserwerfer und Notarztbus bereitgestellt hatte. Auch hier kam es durch schlaues Verhalten der DemonstrantInnen und durch Orange-Berichterstattung, die es der Polizei verunmöglichte, im Nachhinein "gewalttätige" DemonstrantInnen für einen Prügeleinsatz verantwortlich zu machen, die Situation zu deeskalieren.

Nachdem die Polizei ihre Pläne nicht wie geplant durchziehen konnte, griffen sie auf die altbewährte Taktik zurück: Bereits um 23.15 Uhr setzten sich mehrere WEGA-Mannschaftswägen in voll vermummter Besatzung von ihrem Standort Oper aus in Bewegung - mit einem offensichtlichen Ziel: abströmende DemonstrantInnen in aller Ruhe und Abgeschiedenheit nach der von dieser Einheit bekannten Manier zu "beamtshandeln". Diese Strategie wurde - zumindest an einem Ort - durch ein zufällig vorbeigekommenes Filmteam gekippt. Im Nachhinein versucht die Polizei, sich durch äußerst fragwürdige Anklagepunkte Legitimation zu verschaffen.

Es ist durchaus nicht auszuschließen, dass es - fernab von Öffentlichkeit - durchaus mehr Perlustrierungen, Polizeiprügel und auch Verhaftungen gegeben hat. Eine weitere Verhaftung gab es bekanntlich im Burggarten. Von wie vielen weiteren Verhaftungen wissen wir gar nichts?

Um nicht wie bisher weiter im Dunkeln tappen zu müssen, fordern wir alle eindringlich auf, jeden Übergriff der Polizei zu dokumentieren. Das heißt: unverzüglich ein Gedächtnisprotokoll zu schreiben (wirklich gleich, und nicht erst am nächsten Tag), und dieses so schnell wie möglich weiterzuleiten, und zwar:
 

1.) telefonisch die Rechtshilfe informieren: (01) 535-91-09
2.) Kopie des Gedächtnisprotokolls ans TATblatt schicken - per Brief, Fax oder am besten E-Mail (PGP-Schlüssel auf TATblatt-Site)


Wir bitten euch inständigst, die Geschichten nicht nur im Wirtshaus herumzuerzählen, sondern die obigen Punkte zu beachten!



mehr zum Widerstand gegen die österreichische Rechts-Rechtsextrem-Koalition
sowie weitere Beiträge zu Rassismus in Österreich und diverse andere Artikel aus aktuellen und älteren TATblatt-Ausgaben siehe Inhaltsübersicht auf der
TATblatt-Homepage.
 

täglich aktualisiert:


aus: TATblatt nr. +135  (6/2000) vom 9. märz 2000
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