TATblatt


EU erhalt sie uns

Ein Kommentar gegen die Blauäugigkeit im Demonstrationsgeschehen.

...zumindest noch ein wenig, die neue Regierung. Gemessen an dem Spruch von Henry David Thoreau, "Die beste Regierung ist die, die am wenigsten regiert", ist die derzeitige wunderbar.

einer vom TATblatt

Zur Untermauerung dieser These erinnern wir uns nur an einige Begebenheiten der vergangenen Tage. Gut belegt ist die Tatsache, daß die Übergabe der Geschäfte in den Ministerien praktisch nicht stattgefunden hat. Aus der Gerüchteküche wird vermeldet, daß Finanzminister Grasser in seinem Büro kein Büromaterial vorfand, die Bilder abgehängt und die Computerkabel durchgeschnitten waren. Nicht mehr ins Reich der Gerüchte gehört, daß Grasser Probleme bei der Darstellung des Budgetdefizits hatte, weil in mehreren Ministerien eine Übergabe durch das Niederfahren von Computern und das Löschen von Dateien behindert wurde, wie der Abgeordnete Mühlbacher von der ÖVP im Parlament zu berichten wußte (Parlamentskorrespondenz, 24.2.2000). Außerdem ist Grasser in erster Linie mit parteiinternen Streitereien über sein Gehalt mit dem größten Kärntner aller Zeiten beschäftigt, was ihn gelegentlich den Unterschied von Brutto- und Nettodefizit vergessen läßt.

Nicht schlecht war auch Justizminister Krüger, der auf 10 Minuten beschränkte Redezeiten im Parlament nutzte, ausgiebig über seinen gewünschten Jaguar-Dienstwagen zu reden. Sozialministerin Sickl meidet panisch Kontakte mit Öffentlichkeit und Medien und verwirrt gekonnt mit konfusen Aussagen.

Generell kann gesagt werden, daß die Regierungsmitglieder in den ersten vier Wochen keinen einzigen öffentlichen Auftritt in Wien gewagt haben und daß die Diskussionssendung "Zur Sache", zu denen sie eingeladen waren bzw. sind, laufend nicht im Haas Haus am Stephansplatz, sondern im ORF-Bunker am Küniglberg stattfanden, einschließlich Flucht der Eingeladenen durch einen Hinterausgang.

Zu den bemerkenswerten Errungenschaften dieser Regierung gehört auch, daß es in Wien ein liberalisiertes Demonstrationsrecht gibt. Demos sind so gut wie nie angemeldet und werden vergleichsweise kaum behelligt. Im Vergleich zu bis vor kurzem geltenden Regeln, daß jede Minidemo willkürlich von BeamtInnen aller Art schikaniert werden durfte, eine erstaunliche Entwicklung.
 

Harmonie und Konsens
 

Viel ist geschehen in nur kurzer Zeit. Kulturrevolution gab es jedoch keine.

Selbstverständlich gibt es noch immer die mühsamen Splittergruppen, die nichts sehnlicher herbeiwünschen, als endlich wieder mit der Polizei Demonstrationen und Routen verhandeln und DemonstrantInnen kontrollieren zu dürfen, und sich in Distanzierungsübungen zu anderen DemonstrantInnen ergehen.

Während der Demos bricht unter den DemonstrantInnen häufig ein aller Realität widersprechendes Bedürfnis nach Harmonie und Konsens durch, wenn sie den grimmigsten (meistens aus Gemeindebauten) aus Fenstern herunterschauenden Stammtischfaschisten selig lächelnd zuwinken. "Das bessere Österreich" ist dann mit einer Verklärtheit unterwegs, die die Frage aufwirft, ob die Winkenden nie mit der Straßenbahn durch die Vorstadt oder den 10. Bezirk gefahren sind. Auch in Weinhäusern und ähnlichen Etablissements scheint "das andere Österreich" selten zu verkehren.

Viele, die sich an den neuen Freiheiten erfreuen, um etwa mit 29 anderen Personen quer über den Ring unbehelligt durch die Polizei, die Lynchaktionen von des Autofahrers zorniger Hand oder Reifen gnädig regelnd verhindert, zu demonstrieren, haben nach eigenen Aussagen kein anderes Ziel, als schnellstmöglich einer neuen Regierung, natürlich einer rot-grünen, zur Macht zu verhelfen. Daß eine solche Regierung umgehend geordnete Zustände installieren und 30 wenig sanfte Festnahmen anordnen würde, dieser Gedanke erregt bei den an einer nicht angemeldeten und somit illegalen Demo Teilnehmenden höchstens ungläubiges Staunen.
 
 

Unbestritten soll hier sein, daß manches sich zum Guten gewendet hat, doch ein wenig nüchternes Bedenken kann nicht schaden. Die derzeitigen Aktionen sind primär nicht deswegen erfolgreich, weil der Widerstand alle Widrigkeiten hinwegfegen würde, sondern weil die GegnerInnen so schwach sind. Die SPÖ taumelt gemeinsam mit der ÖVP durch die schwerste Sinnkrise ihrer Nachkriegsgeschichte. Mehrere Ministerien, gemeint sind besonders das Sozial- und das Justizministerium, aber auch das Finanzministerium, sind ohne Führung und de facto weitgehend arbeitsunfähig. Sämtliche anderen Ministerien sind durch die Einschränkung des Ermessensspielraums bei den Ausgaben fast ohne Handlungsmöglichkeit. Die Polizei ist zumindest in Wien politisch offen gespalten. Außerdem ist die Wiener Polizei seit Monaten pleite und kann Autoreperaturen, die Stromrechnung und Benzinrechnungen nicht mehr zahlen. Durch die massiven Polizeieinsätze der letzten Wochen sind Millionenansprüche an Überstunden dazugekommen, deren Auszahlung in den Sternen steht. Und die Boykottfolgen des Auslands sind heftig: Österreich hat etwa derzeit keinen amtierenden Botschafter in Portugal, da der portugiesische Staatspräsident einen Termin für eine Akkreditierung verweigert. Der frühere österreichische Konsul in Costa Rica, das sich von Anbeginn den Sanktionen angeschlossen hatte, hat das Konsulat mittlerweile geschlossen und seine Funktion zurückgelegt, auch weil seine Tochter Justizministerin von Costa Rica ist.
 

Rot-grüner Segen?
 

Wie hätte eine erfolgreiche Gegenbewegung gegen eine geschlossene Regierung samt intakter Polizeigewalt ausgesehen? Möglicherweise so, wie jene des "Karneval gegen Kapitalismus" in London am 18. Juni des Vorjahres. Über fast ein Jahr lang hatten AktivistInnen aus allen Gesellschaftsbreichen und Widerstandsgruppen Vorbereitungen getroffen, auch gegen ein massives Polizeiaufgebot und gegen monatelange Hetze in den Medien eine Großdemonstration durchzusetzen. Dazu verknüpften sich schon bestehende Initiativen zu einer Bewegung, die gezielt ihre Feinde attackierte und der Polizei eine taktische Niederlage zufügte. Als Voraussetzung übten Bezugsgruppen monatelang, wie Blockaden errichtet, Gebäude erobert und Festgenommene befreit werden können. Inhaltliche Auseinandersetzung, die zum Schluß führte, die Börse oder Büros von Multis und Banken zu stürmen, verband sich auf kreative Art zu taktischen Überlegungen gegen eine hochmilitarisierte Polizei, die eine blamable Niederlage erlitt.
 
 

In Österreich ist es sicher nicht so weit, denn einer schwachen Staatsmacht stehen unerfahrene und unorganisierte DemonstrantInnen gegenüber, was wohl viel zu den gegenseitigen Beteuerungen von gewaltlosem Vorgehen beiträgt. Eine eventuelle rot-grüne Regierung wird mit Sicherheit versuchen, dieses machtpolitische Vakuum durch entschiedenes Vorgehen zu schließen. Aber egal, welche Regierung an der Macht ist, in die angeblich seligen Zeiten der Sozialabbau-Latschdemos der 80er Jahre gibt es kein zurück. Am 19. Februar marschierte, einige Zeit bevor Autonome und andere Linke losgingen, ein Block der FSG vom Westbahnhof los, ca. 50 GewerkschafterInnen in roten FSG-Jacken. Die FSG-Gruppe wurde an beiden Seiten von Polizei mit Helm (Visier herunten), Gummiwurst und Schild im Spalier begleitet, was in früheren Jahren nur den Autonomen zuteil geworden war. So ändern sich die Zeiten, auch insofern, daß die Autonomen während der Demo von in Gruppen stehenden GewerkschafterInnen gegrüßt und beklatscht wurden.

Egal wie die zukünftigen Regierungen aussehen werden, sie sind gewissen Zwängen ausgesetzt, die sie durch Polizeigewalt nach unten weitergeben und versuchen werden, allfälligen Widerstand zu brechen. "Gegen Schwarzblau" kann nur der Anfang gewesen sein, aber zur Übung ist diese Regierung von unschätzbarem Wert. Hoffentlich hält sie noch ein bißchen durch.
 



mehr zum Widerstand gegen die österreichische Rechts-Rechtsextrem-Koalition
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aus: TATblatt nr. +135  (6/2000) vom 9. märz 2000
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