Washington D.C., 16./17. April
IWF/Weltbank-Proteste
Chaos, Massenverhaftungen und staatliche Gewalt prägten die Proteste rund um die Tagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank mit Höhepunkt am 16. und 17. April in Washington D.C. Den DemonstrantInnen gelang es zwar nicht wie in Seattle anläßlich des vorjährigen WTO-Treffens die Tagung zum Scheitern zu bringen, aber die Delegierten hatten es auch diesmal mehr als schwer, von den Hotels in die Konferenzräume zu gelangen.
TATblatt
Die ersten Verhafteten gab es schon am 10. April, als sieben Leute mit einem Mietlastwagen versuchten vor dem Gebäude von IWF und Weltbank eine Kundgebung abzuhalten und Transparente am Gebäude zu befestigen.
Die Polizei war zu diesem Zeitpunkt schon voll mobilisiert. Als Vorsichtsmaßnahme wurden ab diesem Tag mehrere Straßenzüge für die folgende Woche vollständig gesperrt und alle Postkästen abmontiert. Bei den ersten Verhaftungen waren auch schon Agenten des US-Inlandsgeheimdienstes im Einsatz.
Einen Tag später verlautbarten alle mobilisierenden Gruppen, daß es ab nun eine Kampagne gibt, Institutionen wie Kirchen oder Gewerkschaften dazu zu bewegen, der Weltbank und dem IWF Anlagefonds zu entziehen, mit denen sich beide billig am Kapitalmarkt versorgen.
Nach kleineren Aktionen und Demonstrationen einschließlich intensiver handwerkerischer Vorbereitungsarbeit während der nächsten Tage stieg am 16. April das eigentliche Ereignis. Die schon aus Seattle bekannte Koalition aus Gewerkschaften, Umwelt-, Sozial-, Anarcho- und Entwicklungsgruppen begann mit frühmorgendlichen Blockaden und belagerte Hotels und den Tagungsort. Offizielle IWF/Weltbank-Delegierte wurden von IWF-Sicherheitsleuten gewarnt, das Gebäude zu verlassen, da sie sonst mit Tränengas eingenebelt würden. Die meisten Delegierten hatten sich schon sehr früh auf den Weg gemacht und konnten vor sieben Uhr morgens das Kongreßgebäude erreichen. Nur die Finanzminister von Frankreich, Portugal, Thailand und Brasilien versäumten den ersten halben Tag, weil sie im Hotel festsaßen. Das war insofern genial, weil Portugals Finanzminister derzeit der Vertreter der gesamten EU ist.
Draußen auf der Straße nahm die Polizei in den ersten Stunden des Tages mehr als 600 DemonstrantInnen fest, die wie in Seattle zum Teil auch diesmal während und nach der Festnahme mit Pfefferspray gequält wurden. Schon am Morgen hatte die Polizei zu einem Schlag ausgeholt, als sie das Zentrum der Gegenaktivitäten besetze und dort eine Razzia veranstaltete, weil "die Brandschutzvorschriften nicht eingehalten worden waren". Der Polizei ging es offensichtlich darum, jene Rohre zu beschlagnahmen, mit denen sich BlockiererInnen so zusammenhängen können, daß die Polizei mit speziellen Schneidegeräten Stunden benötigt, bis die Leute getrennt und festgenommen werden können.
Zusätzlich zur normalen Polizei kamen 70 Soldaten der Nationalgarde in gefleckten Kampfanzügen zum Einsatz. Die Polizei warf Rauchbomben und Tränengasgranaten in die Menge, zur Einschüchterung fuhren Polizeimotorräder mit vollem Tempo quer durch Demonstrationszüge, wie immer sprach auch die Gummiwurst. Über den Köpfen der DemonstrantInnen flogen Polizeihubschrauber im Tiefflug.
Trotzdem wurden dank der exzellenten Organisation der Gruppen 18 Straßenkreuzungen erfolgreich besetzt.
Am folgenden Tag wäre ein normaler Arbeitstag gewesen, doch die
Regierung und die Stadtverwaltung gab allen Angestellten, die nicht unbedingt
gebraucht wurden, frei um ein Verkehrschaos zu vermeiden. Zugleich wurden
riesige Gebiete blockweise rund um das IWF-Weltbank-Gebäude zum Sperrgebiet
erklärt und abgeriegelt. Nach weiteren Verhaftungen summierte sich
die Gesamtzahl der Festgenommenen nach dem 17. April bereits auf 900, von
denen 300 mehr als einen Tag einsaßen.
Besondere Erwähnung fand in allen Medien der Schwarze Block. An
zahlreichen Stellen wurden Straßenbarrikaden errichtet. AnarchistInnen
waren bevorzugtes Ziel von Prügelattacken der Polizei. Während
der Demonstrationen erschien sogar in der regierungsnahen Tageszeitung
Washington Post ein begeisterter Artikel über den Mut des "Revolutionären
Anti-Kapitalistischen Blocks". "Erst prügelten sie auf uns höllisch
los und dann, als wir uns zurückzogen, verpaßten sie uns Tränengas",
erzählte ein Anarchist dem WP-Reporter von den Vorkommnissen an einer
Barrikade und zeigte ihm seine von Pfefferspray tiefrote Hand. Über
dem Schwarzen Block kreiste die gesamte Zeit mindestens (!) ein Polizeihubschrauber.
Als Antwort darauf wurden weitere Barrikaden aus Müllcontainern, Baumaterial,
Absperrungsketten oder Autos errichtet. Ein Anarchist wurde am Bauch von
einer Baggerschaufel gekratzt, als er sich einem Bagger in den Weg stellte,
der eine Barrikade von der Straße räumen sollte. Nachdem sich
rasch über 100 DemonstrantInnen gesammelt hatten, orderte die Polizei
den Bagger von der Barrikade weg.
Am 17. April nahmen deutlich weniger DemonstrantInnen als die 30.000
vom Vortag teil, was die Polizei zu erneuten Verhaftungen nützte.
Die Polizei ging wieder in erster Linie gegen den Schwarzen Block vor,
indem sie wieder Tränengasgranaten warf und festgenommene DemonstrantInnen
dazu zwang zu knien und sie mit Plastikhandfesseln fesselte. Bei den Festnahmen
wurden in erster Linie Gasmasken und Fläschchen mit Urin sichergestellt.
Auch an diesem Tag wurden wieder Delegierte von DemonstrantInnen festgesetzt,
was Polizeieinsätze mit Pfefferspray auslöste.
Insgesamt werden die Aktionen anläßlich der IWF-Weltbank-Tagung von den beteiligten Gruppen als großer Erfolg beurteilt, auch wenn die Tagung selbst nicht verhindert werden konnte. Nach den Protesten gegen IWF und Weltbank in Berlin hatten die Chefs der beiden Institutionen damals beschlossen, daß ab dann alle Tagungen nur noch in Washington abgehalten werden sollten. Nun gibt es auch dort kein ungestörtes Ausbeuten der Welt mehr.
Die Gruppe der 77, ein Zusammenschluß von mittlerweile 135 Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, solidarisierte sich geschlossen mit den Forderungen der DemonstrantInnen. Die VertreterInnen der Industrieländer legten die übliche Arroganz an den Tag, indem parallel zur Weltbank/IWF-Konferenz die offizielle Tagung der G7 (Italien, USA, Kanada, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien) in abgesonderten Gesprächen - selbstredend unter Ausschluß der G77 - stattfand, wo die eigentlichen weltwirtschaftlichen Maßnahmen, die traditionell von Weltbank und IWF nachvollzogen werden, beschlossen wurden. Trotzdem kam auch der Vorsitzende der G77, der nigerianische Präsident Obosanjo, zum Schluß, daß "es jetzt Zeit sei, unseren Kampfgeist wiederzugewinnen. Kein Zweifel, daß wir von hier vorwärtsgehen, entschlossen einen Unterschied zu machen".
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