Am 1. Juli dieses Jahres tritt eine Änderung des Fremdenrechts in Kraft, von der sich die Regierung ein "effizientes vereinfachtes Regelungsregime" bezüglich des "Phänomens der illegalen Migration" erhofft. Die neu formulierten Paragrafen lösen Erschütterung aus.
TATblatt
Auf den ersten Blick eine peinliche Wortverwechslung: "Illegale Migration" statt "illegalem Grenzübertritt". Der zweite Blick auf die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur Änderung des Fremdengesetzes und des Strafgesetzbuches geben Gewissheit: die Migration an sich ist es, die pönalisiert werden soll; und zwar unter allen Umständen...
Rechtsvereinheitlichung?
Formaler Anlass der Gesetzesänderung ist einerseits eine behauptete Vereinheitlichungstendenz innerhalb der EU, andererseits die Behebung der Aufsplitterung von Strafregelungen gegen Schlepperei in Fremdengesetz und Strafgesetzbuch. Etwas fadenscheinig: Die Tendenz zur Vereinheitlichung der Regelungen im Fremdenrecht, aus der die GesetzesautorInnen Handlungsbedarf ableiten, stammen aus den Jahren 1993 und davor; aus Zeiten also, in denen es noch kein Fremdengesetz im heutigen Sinn gegeben hat... ein akuter Handlungsbedarf - zumal das Fremdengesetz seit seinem Inkrafttreten bereits zweimal novelliert wurde - kann wohl kaum vorliegen.
Die Zusammenfassung der Strafbestimmungen aus Fremdengesetz und Strafgesetzbuch wiederum geben nichts als einen bürokratischen Vorwand zur Verschärfung der Rechtslage, zur Einführung neuer Straftatbestände.
Entkriminalisierung?
War im bisher gültigen Paragrafen 104 des Fremdengesetzes (FrG) jede Unterstützung der "rechtswidrigen Einreise" nach Deliktsschwere zwischen Verwaltungsstrafrecht (ist einer Anzeige wegen Falschparkens vergleichbar) und gerichtlichem Strafrecht abgestuft als "Schlepperei" unter Strafe gestellt, richtet sich der neue Paragraf 104 FrG nun ausschließlich gegen die Förderung der rechtswidrigen Einreise "gegen einen nicht bloß geringfügigen Vermögensvorteil" und sieht hiefür ausschließlich gerichtliche Strafen vor. Diese scheinbare "Entkriminalisierung" unentgeltlicher Unterstützung bei der rechtswidrigen Einreise geht jedoch einher mit einer exzessiven Ausweitung der strafbaren Handlungen: Strafbarkeit einer fördernden Handlung liegt nämlich nicht erst dann vor, wenn der oder die FörderIn für seine/ihre Handlung einen nicht bloß geringfügigen Vermögensvorteil erhält, sondern bereits dann, wenn irgendeine Person einen solchen Vermögensvorteil einstreift; und zwar unabhängig von Ort, Zeitpunkt oder Art der Unterstützung wie auch der Übergabe des Entgelts.
Nur wenig Fantasie bedarf es, um die Gedanken der GesetzesautorInnen zu Ende zu denken: "Der Begriff der Schlepperei bezieht sich - den Intentionen des Entwurfs folgend - auf den gesamten (Reise)weg des Fremden vom Ausgangsstaat bis zum Zielstaat".
Menschlichkeit unter Strafe
WelcheR in Zukunft also AutostopperInnen von Budapest nach Györ mitnimmt, sollte sich vergewissern, ob die MitfahrerInnen auch alle notwendigen Einreiseformalitäten in den EU-Bereich erledigt haben und, sollte dies nicht der Fall sein, ob sie möglicherweise nur mit Hilfe bezahlter "SchlepperInnen" etwa vor dem Terror der Taliban aus Afghanistan entkommen konnten. Wie kam der nette irakische Kurde, der in Hegyshalom nach einem Weg zur Grenze fragt, von seiner Heimat nach Moskau? Waren da "SchlepperInnen" im Spiel? Wenn Ja (und ein Nein kann aufgrund des langen Reisewegs und der Unmöglichkeit, ohne Bezahlung von "Schutzgeld" Konfliktzonen unbehelligt zu passieren, ausgeschlossen werden), dann machen sich jene, die bereitwillig Auskunft erteilen, eben gerichtlich strafbar.
Ungläubigkeit macht sich unter den werten LeserInnen breit? Nunja, leihen wir abermals den GesetzesautorInnen ein Ohr (eigentlich: ein bis zwei Augen): "In Frage kommt jede Handlung oder Unterlassung, die dem Fremden die Einreise ermöglicht, erleichtert oder unterstützt (sic!), unabhängig vom Zeitpunkt des Grenzübertritts; in Betracht kommen nicht nur die Beförderung des Fremden oder das Verschaffen von gefälschten Reisedokumenten, sondern zB auch die Bereitstellung und Vermittlung von Information für das Passieren der Grenze (Umgehung der Grenzkontrolle)." (...) Die Strafbarkeit der Schlepperei gegen Vermögensvorteil ist nicht gebunden an den Ort der Übergabe des Geldes oder sonstigen Vermögenswertes und auch nicht davon abhängig, ob diese für den gesamten Reiseweg zugewendet werden. Darüberhinaus ist es ohne Belang, ob der Vermögensvorteil vom Geschleppten selbst oder von einem Dritten dem Schlepper geleistet wird."
Mit dieser juristischen Atombombe erfasst die Strafbestimmung jede noch so kleine Fliege in ihrem Einwirkungsbereich, etwa auch jenen "Fremden mit Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, (der) Geld in sein Heimatland für die Schleppung seines nicht in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen übermittelt". In solchen Fällen, meinen die AutorInnen, sei "davon auszugehen, dass die Mittel der Diversion (...) zur Anwendung kommen"; jener Diversion im Strafprozess, deren Rückdrängung sich ÖVP und FPÖ zum Ziel gesetzt haben.
Die Bestrafung von Familienangehörigen, die unter besonderen emotionalen Druck stehen, ihre Verwandten bei der Flucht vor unmenschlichen Lebensbedingungen zu unterstützen, verstößt sowohl gegen internationales Recht als auch gegen bisher als Grundsätze anerkannte Usancen im österreichischen Strafrecht. "Ein Strafausschließungsgrund ist jedoch wegen der damit verbundenen Signalwirkung zur Umgehung der österreichischen Zuwanderungsbestimmungen nicht zielführend."
Rechtsstaatliche und demokratische Grundregeln gelten eben nur so lange, als sie dem staatlichen Rassismus nicht im Wege stehen.
Spaßfaktor Flucht
Dass es sich bei der gewählten Form der neuen Strafbestimmungen um staatlichen Rassismus handelt, ist den GesetzesautorInnen bewusst. Ohne Umschweife wird in den "Erläuternden Bemerkungen" zur Regierungsvorlage darauf hingewiesen, dass jede Migration unabhängig von Ursache und Intention zu unterbinden ist. So monieren die AutorInnen etwa, dass die 1999 in Österreich aufgegriffenen Personen ohne Aufenthaltsberechtigung insbesondere aus Jugoslawien, Rumänien, der Ukraine, Bosnien-Herzegowina, dem Iran, Polen oder Afghanistan stammen; mit Ausnahme Polens keine Länder, in denen der Achtung der grundlegenden Menschenrechte nennenswerte Bedeutung zukommt. Und der Eingangs erwähnte sprachliche Fauxpas mit der "illegalen Migration" entpuppt sich als durchaus gewollt, wenn darauf hingewisen wird, dass "sich MigrantInnen, die sich rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalten oder rechtswidrig einreisen, in der Regel keine Illusionen über ihre bescheidenen Chancen im Zielstaat machen" und diese daher "ihre einzige Möglichkeit oft darin" sehen, "sich an Schlepper auszuliefern".
Die einen gehen eben Schwimmen, Paragleiten oder Canyoning, die anderen untwerfen sich offensichtlich des Spaßes wegen "menschenverachtenden Bedingungen".
Neuinterpretation
Vom Fremdengesetz als strafwürdig erfasst ist ab 1. Juli nicht mehr nur, wer einem Menschen die Einreise ermöglicht. Eine Verwaltungsstrafe von bis zu ATS 50.000,- riskiert, "wer vorsätzlich einem Fremden gegen einen Vermögensvorteil den unbefugten Aufenthalt im Bundesgebiet verschafft oder sonst erleichtert" (Gesetzestext). Getroffen werden sollen damit insbesondere WohnungsvermieterInnen. Strafbar wäre aber etwa auch, wer einem Menschen, von dem ihm bekannt ist, dass er/sie "illegal" in Österreich aufhältig ist, ein Auto oder Möbel verkauft oder gar gegen Kostenersatz borgt. Genau genommen könnte sogar der Verkauf von Lebensmittel nach Paragraf 107a FrG strafbar sein, da die für den Paragraf 104 Frg vorgesehene Einschränkung auf einen "nicht unbedeutenden" Vermögensvorteil hier keine Anwendung findet.
Im Zuge der rein theoretischen Abschaffung der unentgeltlichen Schlepperei regt die Gesetzesnovelle zur Neuinterpretation bereits bestehender Regelungen an: Die Unterstützung einer rechtswidrigen Einreise ohne Nachweis einer Bezahlung an SchlepperInnen bleibt nämlich immer noch strafbar, und zwar als Beihilfe zur Verwirklichung des Delikts des "unbefugten Aufenthalts im Bundesgebiet" nach Paragraf 107 FrG in Vbg mit Paragraf 7 VStG.
Nur nicht Anstreifen...!
Die Neuregelung der Strafbestimmungen im Fremdengesetz ist, und dass ist - siehe Zitate - selbst den AutorInnen klar, nicht geeignet, unmenschlicher Schlepperei Einhalt zu gebieten. Den deutlichsten Beweis für diese Behauptung traten zu Beginn dieser Woche 58 bei der Einreise nach England gestorbene Menschen an: Die Verschärfung des Grenzregimes ist das Moment, das Schlepperorganisationen den Profit sichert. Dennoch kann die beschriebene Gesetzesänderung eines bewirken: Eine allgemeine Neudefinition des Umgangs von ÖsterreicherInnen mit Menschen aus den drei Kontinenten. Da bereits "Anstreifen" strafbar ist, unterliegt der Kontakt zu "AusländerInnen" neuen Regeln. Segregation ist das einzige Wort, dass dieser neuen Situation gerecht wird. Und es hat fast so den Anschein, als ob das der neuen Regierung auch gar nicht so unrecht ist....
Fußnote:
*) alle kursiv gesetzen Zitate entstammen den erläuternden
Bemerkungen zur Regierungsvorlage.
In diesem Beitrag nicht weiter behandelt wird die neuformulierte Bestimmung
gegen "Ausbeutung", obwohl es auch zu dieser einiges zu sagen gäbe:
etwa, dass sie unanwendbar geworden ist...
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