TATblatt


... postfaschistische Intimität ...
Ein Nazi kommt selten allein
Rezension:
Hermann L. Gremliza (Hg.)
Braunbuch Österreich
Ein Nazi kommt selten allein
Konkret Texte 26
KVV konkret, 2000
168 Seiten; öS 166.-


hobo

Schon wieder ein Buch über Haider, lautete ein innerredaktioneller Kommentar zum hier besprochenen Band, dessen Umschlag das Konterfei Haiders in Siegerpose ziert. Dabei tut nichts mehr diesem Buch unrecht. Viel treffender als das Umschlagsfoto erweist sich nach der Lektüre des Braunbuch Österreich denn auch der Untertitel: Ein Nazi kommt selten allein. Denn im Unterschied zu anderen der zuletzt zahlreich erschienenen Bücher über Jörg Haider konzentriert sich das Braunbuch nicht auf dessen Person, sondern stellt diese in den Kontext österreichischer Politik seit 1945 und davor. Statt sich in biografischen Details oder der Person Haiders eigenen Zügen zu verstricken, beschreiben die Beiträge zum Buch Haider weniger als Betreiber denn als Auswuchs österreichischer Wirklichkeit.

Haider, andernorts gerne als Ausnahmeerscheinung dämonisiert, sei schlicht ein "Übertreiber österreichischer Zustände", wie Wolfgang Purtscheller den Politologen Anton Pelinka zitiert. Damit bewegt sich Haider freilich wie ein Fisch im Wasser, wo "das Verschweigen der eigenen Teilnahme an den Massenmorden der Vergangenheit, das Hüten eines schwerwiegenden Geheimnisses, eine besonders dichte, drückende Atmosphäre (schuf), eine spezifische postfaschistische Intimität. Es entwickelte sich eine bestimmte, von außen schwer durchschaubare Sprache der Andeutungen und des Zuzwinkerns, der Komplizenschaft und des Kupplerblicks, die Haider dann in erstaunlicher Virtuosität sich zu eigen gemacht hat (...)" (Gerhard Scheit). Haiders Biografie hält die AutorInnen des Braunbuches sodann nur soweit auf, als diese modellhaft für Generationen von Erben steht. Erben sowohl in ideologischer Hinsicht als auch und gerade in materieller, wie insbesondere Günther Jakob in seinem Beitrag zur "Industrialisierung der 'Ostmark', die Erben des Wirtschaftswunders und die Rätsel der Erinnerung" ausführt. Dass die Erben des "Wirtschaftswunders" die späten Früchte von "Arisierung", Zwangsarbeit und Massenmord genießen, so Jakob sinngemäß, erkläre den bekannten Umgang mit der Geschichte bis ins Heute, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg.

Diese, oder besser gesagt: das Fehlen solcher im Umgang mit "Ehemaligen" und Immer-noch-Nazis, untersucht auch Erwin Riess in zwei Beiträgen zur Geschichte der FPÖ und dem Struktur- und sozialen Wandel unter Bruno Kreiskys Regie in den 70er-Jahren - und der einhergehenden Förderung der FPÖ. Eine Förderung, die schon der F-Vorgängerin VDU keineswegs nur aus wahltaktischen Gründen widerfuhr, sondern in einen antisemitischen und rassistischen Konsens eingebettet ist, der neben dem produktiven Erbe des NS auch die personellen Kontinuitäten in Wirtschaft (gerade auch der Verstaatlichten) und Politik (Wie viele gestandene Nazis saßen als Minister in Kreiskys SP-Minderheitsregierung) sicherstellte.

Ein Konsens, der auch angesichts österreich-patriotischer Anflüge bei jenen Teilen des Widerstands noch weiter zu bestehen scheint, die sich in einer bloßen Kritik an der Regierungsbeteiligung der FPÖ erschöpfen, und das Rassistische und Antisemitische anderer Regierungskonstellationen in diesem Land ausblenden. Simone Dinah Hartmann und Sylvia Köchl untersuchen diese Frage in ihrem Beitrag zum "sogenannten Widerstand", und Heribert Schiedel beleuchtet Rassismus und Antisemitismus in Österreich seit 1986 - mit der Waldheim-Affäre und dem Innsbrucker Parteitag der FPÖ ein markanter Einschnitt - bis zum Tod Marcus Omofumas.

Die Person Haiders rückt erst wieder in den Mittelpunkt des Interesses, wo Kay Sokolowsky dessen "Geburt aus dem Geist des Fernsehens" analysiert: "Es gäbe die Figur Jörg Haider nicht, gäbe es nicht das Fernsehen." Womit Solokowsky ein Spannungsfeld von Faschismus und Bildern, Pop und Mode zeichnet, in dem sich Haider seiner Ansicht nach gekonnter bewegt als andere PolitikerInnen.
 
 

Mit weiteren Beiträgen zu den Nato-Träumen der FPÖ, der "sudetendeutschen Frage", dem Protest österreichischer KünstlerInnen sowie einem Interview mit Michael Scharang über Karl Kraus und dessen Verhältnis zu Austrofaschismus und Nationalsozialismus stellt das Braunbuch Österreich einen äußerst informationsreichen Kommentar zu den herrschenden Verhältnissen dar, unschätzbar vor allem in der Diskussion mit jenen "Demokraten", die "uns vor dem Nazi (retten) - um den Preis, daß Demokraten seine Politik machen" (Hermann L. Gremliza).
 

Hermann L. Gremliza (Hg.)
Braunbuch Österreich
Ein Nazi kommt selten allein
Konkret Texte 26
KVV konkret, 2000
168 Seiten; öS 166.-


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