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Bei Drucklegung dieses TATblatts toben in Israel/Palästina die Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und PalästinenserInnen, an die hundert Tote sind bereits zu beklagen. Der israelische Ministerpräsident Ehud Barak spricht vom "Verteidigungsfall" für sein Land, die palästinensische Organisation El Fatah ruft erneut zum "Volkskrieg" gegen Israel auf, und dazwischen irren höchste diplomatische VertreterInnen mit ihren Friedensangeboten umher. Aber die (radikale) Linke in Westeuropa hält still, und dies vielleicht mit gutem Grund.
Anfang der 90er Jahre veröffentlichten einige der Revolutionären
Zellen in Deutschland einen offenen Brief zum Tod ihres langjährigen
Genossen Gerd Albartus. Albartus war von einer palästinensischen Gruppe
hingerichtet worden, für die er gearbeitet und gekämpft hatte,
die Hintergründe dieser Ereignisse blieben ungeklärt. Für
die Revolutionären Zellen aber war die Ermordung - spät
aber doch - auch Anlass, ihre Politik der frühen Jahre, insbesondere
ihre Zusammenarbeit und Solidarität mit palästinensischen Gruppen
und den Umgang der (radikalen) Linken mit Israel öffentlich zu hinterfragen
und neu zu bestimmen. Gegipfelt hatte dieser Umgang in der Selektion von
jüdischen und nicht-jüdischen Menschen verschiedener Nationalitäten
während der Flugzeugentführung eines deutsch-palästinensischen
Kommandos 1976, mit der die Freilassung von GenossInnen in Deutschland
und Israel erreicht werden sollte. Nur jüdische Menschen wurden als
Geiseln im Flugzeug behalten (diese in Entebbe von einem GSG 9-Kommando
befreit und die vier FlugzeugentführerInnen erschossen). Diese Selektion
nach völkisch/rassistischen Kriterien widersprach freilich jeder revolutionären
Politik, der Umstand, dass "Revolutionäre" aus Deutschland an
dieser Aktion beteiligt waren, steht Pate für die historische Blindheit
und/oder den Antisemitismus, der sich innerhalb der Linken hartnäckig
hält und auf verschiedenste Arten offenbart.
Denn das oben erwähnte Beispiel ist nur eines der tragischsten.
Tatsächlich tritt der Antisemitismus unter den Menschen, die immerhin
vorgeben, seine größten KritikerInnen zu sein, oft verbrämt
zu Tage, und noch viel öfter wohl durch Auslassungen. So kritisiert
Günther Jacob (im Braunbuch Österreich; vgl. TATblatt 21/00)
zu Recht, dass selbst für große Teile des Widerstands gegen
die ÖVP/FPÖ-Koalition die ausstehenden Entschädigungszahlungen
an ehemalige NS-ZwangsarbeiterInnen kein Thema sind, oder das einst arisierte
Bärental nicht wirklich zum Skandal in Österreich wird. Oder
das Beispiel Bitburg: Als am 8. Mai 1985, dem "Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus",
der deutsche Kanzler Kohl den amerikanischen Präsidenten Reagan zwecks
Ehrung der Kriegstoten über den Bitburger Soldatenfriedhof führte,
und damit auch SS-Angehörige gemeint waren, demonstrierten in Bitburg
gerade 1.200 vorwiegend jüdische Menschen. Die radikale/autonome Linke
beschränkte sich auf Demonstrationen gegen Reagan und Weltwirtschaftsgipfel
in Bonn und Berlin, ein Anknüpfungspunkt mit den Überlebenden
der Shoah wurde hier und in vielen anderen Fällen nicht gesehen.
Wo sich diese Nichtwahrnehmung oder gar antisemitische Sichtweisen
nicht mehr verdecken ließen, das war natürlich das Verhältnis
der radikalen Linken zu Israel. Gar rasch und unhinterfragt verkehrte sich
schon Ende der sechziger Jahre das Bild vom "Land der Opfer" in das des
"imperialistischen Vorpostens", des "Militärstaates" Israel, ja, der
israelischen "Faschisten", die an den PalästinenserInnen wiederholten,
was ihnen selbst widerfahren war. Vieles, was da linken Federn entsprungen
ist, kann heute nur als eine versuchte Schuldumkehr, eine Nicht-Bewältigung
des Erbes der Shoah für die Kinder und Enkelkinder der Nazis gesehen
werden. Beziehungsweise als nie erkannte antisemitische Vorurteile bis
hin zum Vernichtungswahn. Eine Neuauflage erfuhr diese Art der zweifelhaften
"Solidarität mit dem palästinesischen Volk" zur Zeit der Intifada,
als allenorts zum Boykott von "Waren aus Israel, Kibbuzim und Stränden"
aufgerufen wurde. Die Kritik an solchen Formen des Antizionismus blieb
zumeist zaghaft, schreibt Stephan Grigat in seiner Untersuchung zu Antisemitismus
und Antizionismus in der österreichischen Linken (Heft 'Antisemitismus'
der Zeitschrift Weg und Ziel, Mai 1998), und meint damit zurecht auch das
TATblatt, das vor über zehn Jahren zwar schon die Texte zum Thema
eines Karam Khella und der "autonomen Palästinagruppe" ablehnte, aber
sich dem Reiz der erwähnten Parole doch nicht entziehen konnte.
Die Formen, wie sich antisemitische Einstellungen innerhalb der radikalen
Linken äußern sind also wahrlich mannigfaltig. Ob sich da auf
Plakaten kapitalistische Kraken die Welt einverleiben (in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts waren diese noch mit "Hakennasen" versehen), von "schamlosen
und heimatlosen" Finanzzentren (beides antisemitische Vorurteile über
die Jahrhunderte) in Zeiten der Globalisierung gesprochen wird (auch bei
Subcommandante Marcos zu finden), ob unhinterfragt Abdullah Öcalan
Solidarität geheuchelt wird oder sein wie so vieler Antisemitismus
einfach nicht gesehen wird, die radikale Linke, oder was sich so nennt,
ist dabei erfinderisch.
Doch auch ausgetretene Pfade werden weiterhin gerne beschritten. Am
6. Oktober fanden sich laut rkl-Pressemeldung (die Revolutionär Kommunistische
Liga sieht sich als Sektion der Internationalen Leninistischen Strömung
ILS; in der erwähnten Erklärung der Revolutionären Zellen
erwähnen diese explizit ihre Abkehr von leninistisch-stalinistischen
Theorien zur nationalen Befreiung) dreihundert "vor allem arabische Jugendliche"
zu einer antiimperialistischen Kundgebung am Wiener Stephansplatz ein.
"Der kapitalistisch-imperialistische Völkermord an den Juden könne
den kapitalistisch-imperialistischen Völkermord an den Palästinensern
nicht rechtfertigen", heißt es zu den auf der Kundgebung gehaltenen
Redebeiträgen in der Presseerklärung. Und: "Die Opfer des Faschismus
würden in der Form des Zionismus zu neuen Tätern."
Nachdem schon in den 80er Jahren Henryk M. Broder mit seinem Buch Der
ewige Antisemit den Antisemitismus innerhalb der Linken zum Thema gemacht
hatte, und Mitte der 90er Ingrid Strobl mit ihrem Band Das Feld des Vergessens
die Diskussion wieder aufgenommen hat, hat sich nach den Ereignissen rund
um die sogenannte Walser-Rede 1998 der Unrast-Verlag zu einer Nabelschau
in Sachen Antisemitismus in den eigenen Reihen unter dem Titel Wir sind
die Guten; Antisemitismus in der radikalen Linken aufgemacht.
Das Buch, durchzogen von vielen persönlichen Anmerkungen und mitunter
biographischen Details der AutorInnen, beginnt etwas autonom-chaotisch
(von der Satzzeichensetzung bis hin zur Wiedergabe von internen Diskussionen,
die ich mir gerne erspart hätte), wird aber mit jeder Seite besser.
Frank Lohscheller treibt noch zu viel Aufwand, seinen Abschied von der
"Szene" bekanntzugeben, erwähnt aber interessante Details zum nazistischen
Erziehungsstil und seine Nachwirkungen. Die gruppe demontage gibt die auf
ihrer Lesereise (zum von ihr verfassten Band Postfordistische Guerrilla
- Vom Mythos nationaler Befreiung; Unrast Verlag) gemachten Erfahrungen
mit nationalen und antisemitischen linken Geistern wieder. Irit Neidharts
Beitrag, eine Chronologie des Verhältnisses der radikalen Linken zum
Palästina-Konflikt ist vielleicht der beste, ehe der oben erwähnte
Text der Revolutionären Zellen im Anhang folgt. Die Beiträge
zeigen, dass Kritik an der Politik Israels erlaubt und notwendig sein muss,
dass diese aber mit den historischen Begebenheiten insbesondere für
deutsche/österreichische Linke abgeglichen werden muss. Insgesamt
ein wertvoller Beitrag und Arbeitsauftrag für die radikale Linke.
Willi Bischof, Irit Neidhardt (Hg.)In den nächsten TATblättern:
Wir sind die Guten
Antisemitismus in der radikalen Linken
Unrast Verlag, 2000
188 Seiten; ca. öS 150.-
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