Temelin: Die unendliche Geschichte
Zum insgesamt fünften Mal in diesem Jahr fanden am Freitag,
den 6. 10. von 6 bis 19 Uhr an allen Grenzübergängen zwischen
Österreich und Tschechien Blockadeaktionen statt. Die Blockaden konnten
diesmal (fast) lückenlos gehalten werden. Die Zahl der AktivistInnen
schwankte zwischen drei an einigen kleineren Übergängen in NÖ
und einigen hundert mit mehreren Traktoren und einer Vielzahl anderer Fahrzeugen
ausgerüsteten Menschen bei den oberösterreichischen Grenzübergängen.
Während die Blockaden in NÖ. wie angekündigt um 19 Uhr beendet
wurden, beschloss man in Oberösterreich eine Aufrechterhaltung bis
Samstagmittag. Zwischen 19 und 20 Uhr wurden jedoch auch an den oberösterreichischen
Grenzen die Blockaden von der Polizei aufgelöst.
Nachdem trotz aller Proteste am Montag die Aktivierung des Reaktors
eingeleitet wurde, versammelten sich spontan hunderte Menschen bei den
oberösterreichischen Grenzübergängen, um diese zu blockieren
- diese Blockade soll bis Anfang nächster Woche aufrechterhalten werden.
Inzwischen haben sich auch an einigen niederösterreichischen Grenzübergängen
wieder AktivistInnen eingefunden, und auch hier werden die Grenzen wieder
blockiert.
von einem AAI-Mitarbeiter
Die Forderungen sind:
Die unendliche Geschichte
Das Atomkraftwerk Temelin befindet sich in Südböhmen, etwa
25 km von Budweis und 50 km von der österreichischen Grenze entfernt.
Bereits im Jahr 1980 wurde von der damaligen CSSR-Regierung die Errichtung
von vier Druckwasserreaktoren des sowjetischen Bautyps WWER 1000 beschlossen.
- Zum Vergleich:. Ein WWER 1000 Reaktor liefert 1000 MW elektrische Leistung,
ein österreichisches Donaukraftwerk leistet im Durchschnitt 230 MW;
alle zusammen 2300 MW, also etwas mehr als zwei Blöcke in Temelin.
Im Jahr 1983 wurde mit Vorbereitungsarbeiten am zukünftigen Kraftwerksgelände
begonnen, vier Jahre später die Konstruktion der Blöcke eins
und zwei in Angriff genommen. Im Jahr 1989 wurde unter dem Eindruck der
drastisch veränderten politischen Situation (Zusammenbruch der UDSSR)
beschlossen, die Blöcke drei und vier - für die auch die Baugenehmigung
ausgelaufen war - nicht zu bauen. Die nächsten drei Jahre blieb auch
der Weiterbau der Blöcke eins und zwei ungewiss, sowohl in technischer
als auch in finanzieller Hinsicht, da die sowjetischen Konstrukteure nicht
mehr zur Verfügung standen. Im März 1993 beschloß die tschechische
Regierung die Fertigstellung von Reaktor eins und zwei. Sie schrieb die
technische Nachrüstung der Steuerungselektronik und die Versorgung
mit nuklearem Brennstoff aus. Westinghouse bekam gegen die Konkurrenz vieler
anderer Firmen den Zuschlag für beide Projekte. Seither werden immer
wieder Vorwürfe von Korruption und unlauterem Wettbewerb gegen Westinghouse
laut.
Die Höhe der von Westinghouse veranschlagten Arbeiten betrug 330
Millionen US $, die später durch eine Kreditgarantie über 317
Millionen $ der US Export-Import-Bank gesichert wurden. Ein erster Höhepunkt
des Widerstandes gegen die Fertigstellung von Temelin war der Besuch einer
österreichischen Regierungsdelegation in Washington in der Zeit der
Beschlußfassung durch die ExIm-Bank. Trotz Bedenken der zuständigen
Unterausschüsse des US-Parlaments stimmte die Bank am 10. März
1994 für die Vergabe der Kreditgarantie.
Seither hat sich das Datum der projektierten Inbetriebnahme von Temelin
immer wieder verschoben: Noch im Jahr 1993 war mit einer Fertigstellung
von Reaktor eins bis 1995 geplant, danach wurde das Jahr 1997 als Termin
genannt. Im Herbst 1996 wurde die Inbetriebnahme mit Ende 1999 ins Auge
gefaßt. Seitdem steht Temelin immer kurz vor Inbetriebnahme, die
sich aber durch eine Reihe von technischen Pannen, swie durch wachsenden
Widerstand immer weiter verzögert. Derzeit (Anfang Oktober 2000) ist
der Aktivierungsprozess wieder mal unterbrochen - diesmal wegen undichter
Sicherheitsventile -, aber mit einer Genehmigung der Aktivierung durch
die tschechische Atomaufsichtsbehörde ist jederzeit zu rechnen.
September 1998 begann eine internationale Expertenkommission, in der
auch zwei österreichische Mitglieder vertreten waren, die Wirtschaftlichkeit
des Temelin-Projekts zu prüfen. Nach Abschluss der Untersuchung gelangte
die Kommission zu einer kritischen Stellungnahme.
Trotzdem beschloss die tschechische Regierung am 13. Mai 1999 mit dem
denkbar knappen Ergebnis von 11 zu 8 Stimmen den Weiterbau von Temelin.
Damit geht die "unendliche Geschichte" von Temelin weiter.
Im März 2000 konnten Einwendungen gegen die Umweltverträglichkeitsprüfung
(UVP) über eine Atommüllbehandlungsanlage im AKW eingebracht
werden. Dieses UVP-Verfahren ist das Resultat einer Entscheidung des Obersten
Gerichtshofes in Prag. Dieser stellte im Februar 1999 fest, daß alle
nachträglichen Bauänderungen in Temelin einer Umweltverträglichkeitsprüfung
unterzogen werden müssen. Dadurch kann es noch zu einem weiteren Dutzend
solcher Verfahren kommen.
Einige Argumente gegen Temelin:
Abgesehen von prinzipiellen Bedenken gegen die Kerntechnologie lassen sich speziell gegen Temelin folgende Argumente anführen:
1. Politische und wirtschaftliche Argumente:
Nachdem eine Besichtigung durch österreichische Parlamentarier
und internationale Experten am Mittwoch, den 4. 10. Im wesentlichen ergebnislos
blieb – laut Eva Glawischnig (Umweltsprecherin der Grünen im Parlament)
wurde die Besichtigung wesentlicher Teile des Kraftwerks mit fadenscheinigen
Argumenten verweigert, und die geplante Aktivierung des Reaktors für
die nächsten Tage bestätigt. Auf die wiederholt gestellten Forderungen,
vor Inbetriebnahme des Kraftwerks eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung
durchzuführen, und – unabhängig davon – eine mindestens sechsmonatige
Nachdenkpause einzuhalten, wurde nicht eingegangen.
Am Freitag, den 6. 10. fand daher wieder eine Blockadeaktion statt,
bei der alle Grenzen zwischen Österreich und Tschechien von sechs
bis neunzehn Uhr blockiert wurden. Die Aktion verlief aus der Sicht der
Veranstalter durchaus erfolgreich, löste aber wie zu erwarten auch
nicht die gewünschte Reaktion aus. In Oberösterreich war eine
Verlängerung der Blockaden bis Samstag mittag geplant, Diese wurden
jedoch zwischen 19 und 20 Uhr von der Polizei aufgelöst.
Obwohl die Aktivierung nicht mehr aufzuhalten scheint, bestehen durchaus
Chancen, durch breiten Widerstand auf allen Ebenen ein baldiges Aus für
Temelin zu erwirken.
Gerade jetzt ist es notwendig, nicht zu resignieren, sondern den Widerstand gegen das AKW Temelin aufrechtzuerhalten.
Weitere Informationen bei Anti Atom International:
http://www.aai.at
aai@blackbox.net
Tel.:01/5229102
(das Büro ist Mo., Di. und Fr. von 9 bis 13 Uhr und Do. von 14
bis 19 Uhr besetzt).
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