LeserInnenbrief:Vom Töten, Leiden und Befreien
C.Ubiensis
Zugegeben, beim Lesen von "Tier?Rechte" habe ich oft den Kopf geschüttelt oder bin ärgerlich geworden. Allerlei Kritik würde mir zu den verschiedensten Aussagen einfallen. Trotzdem möchte ich mich aber auf einen zentralen Punkt konzentrieren. Im Folgenden befaßt sich diese Kritik mit dem Begriff der "Leidensfähigkeit" als moralische Kategorie und deren politischen Konsequenzen.
Die Positionen, die in "Tier?Rechte" vertreten werden, ergänzen sich manchmal, schließen sich aber wieder an anderer Stelle aus. Doch der grundlegende Begriff mit dem operiert wird, ist "Leidensfähigkeit", mit dem versucht wird, die Grenze zwischen Mensch und Tier aufzuheben. Dadurch wird das Tier dem Menschen gleichgestellt. Auch wenn manchmal versucht wird exakt diesem Begriff auszuweichen, weil die Nähe zu Peter Singer bekannt ist, werden dann synonyme Begriffe wie "Gefühl" oder "Schmerzempfinden" etc. gebraucht. (Tier?Rechte S.8) Die "StudentInnen für Tierrechte" distanzieren sich klar von Singer (ebd. S.19) und begründen ihre persönliche Moral - ein politisches Konzept ist für mich nicht ersichtlich - mit "Sympathie" für Tiere. Auch sie behaupten eine Gleichheit von Tier und Mensch, indem sie Parallelen zwischen Vergewaltigung und Fleischkonsum konstruieren. Diese Gleichstellung gründet wieder auf dem selben Argument: durch den Fleischkonsum wird "Leid erzeugt" (ebd. S.22). Die Konsequenz dieser Gleichsetzung führt uns "Einer vom OFT" vor. Er schreibt in seinem Artikel "Tier-KZ?", daß der Vergleich eines KZ mit der Massentierhaltung zwar historisch nicht zulässig, das individuell erlittene Leid aber durchaus gleichzusetzen sei. Denn, so schreibt er, "es ist kein überzeugender Grund hervorgebracht worden, warum die Opfer der Nazis mehr gelitten haben sollen, als die Opfer der heutigen Mord- und Ausbeutungsfarmen der Tierindustrie." (ebd. S.30)
WER LEIDET?
Daß Tiere Gefühle haben, Schmerzen empfinden, also leidensfähig
sind, ist also die Grundannahme und somit die Begründung der politischen
Praxen der Tierrechtsbewegten. Diese "Leidensfähigkeit" wird nicht
von den Tieren selbst postuliert, sondern von den Menschen festgestellt.
"Leidensfähigkeit" wird als moralisch verpflichtende Kategorie entworfen.
So wie "Leidensfähigkeit" zugesprochen wird, kann sie auch aberkannt
werden. Das wird auch von "Einem aus der OFT" getan, der beispielsweise
Schwämmen diese Eigenschaft abspricht. (ebd. S.15) Das Problem, welchen
Menschen und Tieren "Leidensfähigkeit" zugesprochen werden kann und
welchen nicht, ist etwa den DiskutantInnen im Artikel "Standpunkte,..."
durchaus bewußt, und trotzdem bleiben sie bei dieser Einteilung.
Peter Singer nimmt allerdings diese Grenzziehung vor. Er teilt Menschen
und Tiere in Personen und Nicht-Personen ein. Nicht-Personen sind demnach
unfähig zu leiden. Das sind nicht nur Schwämme sondern auch manche
Menschen. Daraus folgt, "daß etwa die Tötung eines Schimpansen
schlimmer ist als die Tötung eines schwer geistesgestörten Menschen,
der keine Person ist." (zit.n. Trus S. 201) Ich unterstelle nicht, daß
alle AktivistInnen der Tierrechtsbewegung diese menschenverachtende These
Singers befürworten, allerdings schon, daß die meisten dieses
Zitat kennen. Sie sind sich also bewußt, daß das Kriterium
der "Leidensfähigkeit" der ideologisch erste Schritt ist, auf den
Singer logischerweise den zweiten folgen läßt. Und Trotzdem
bleiben sie bei dieser Kategorie.
Ich höre schon, wie mir entgegengehalten wird, daß ich Singers
Utilitarismus unterschlage. Es stimmt, daß den Texten in "Tier?Rechte"
nicht der Vorwurf des Utilitarismus, d.h. die Bewertung des Individuums
nach seiner Nützlichkeit für die Gesamtheit, gemacht werden kann.
Es geht mir nicht darum, die SchreiberInnen als AnhängerInnen Singers
Thesen zu outen oder ihnen das Befürworten des ärztlichen Tötens
vorzuwerfen. Mein Anliegen ist es zu zeigen, daß die Kategorie der
"Leidensfähigkeit" wichtiger Bestandteil der Bio-Ethik- , namentlich
der "Euthanasie"-Debatte ist. Diese Kategorie ist nicht nur ein Instrument,
mit dem versucht wird, die Grenze zwischen Tier und Mensch aufzuheben,
sondern stellt das Menschsein prinzipiell infrage. Das dürfte den
TierrechtlerInnen auch klar sein, wenn sie selbst darauf hinweisen, daß
diese Kathegorisierung zur Disposition stellt, ob ein Mensch im Koma ein
Mensch ist. (Tier?Rechte S.8) Damit sind wir dann genau dort, wo der Wert
des Menschen verhandelbar wird. Interessant ist auch, daß sie selbst
sehen, wie ihre eigene Argumentation die Straffreiheit der Abtreibung (wohlgemerkt
nicht die wegen einer "eugenischen Indikation") wieder infrage stellt und
damit in den reaktionären Kanon eingestimmt wird, der die feministische
Argumentation ignoriert und den Fötus als "autonomen Menschen" der
Schwangeren gegenübergestellt.
In der repressiven bis hin zur Vernichtung strebenden Körperpolitik
ist die Kategorie der "Leidensfähigkeit" schon seit über 100
Jahren ein wichtiges Instrument um die Verfolgung und Vernichtung von Menschen
zu legitimieren. Dessen ist sich auch Singer bewußt, wenn er sich
explizit auf das ärztliche Massenmorden unter den Nazis bezieht: "Die
Nazis haben fürchterliche Verbrechen begangen; aber das bedeutet nicht,
daß alles was die Nazis taten, fürchterlich war. Wir können
Euthanasie nicht nur deshalb verdammen, weil die Nazis sie durchgeführt
haben."(zit.n. Trus S. 201)
Das ärztliche Töten wurde für die Nazis maßgeblich
von Alfred Hoche und Karl Binding mit ihrer 1920 erschienen Schrift "Die
Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens" ideologisch vorbereitet.
Auch hier findet sich die Kategorie "Leidensfähigkeit", wenn Menschen
mit geistiger Behinderung als "leere Menschenhülsen" bezeichnet werden,
ihnen also diese Fähigkeit abgesprochen wird. Es wird von diesen Menschen
behauptet: "Sie haben weder den Willen zu leben noch zu sterben... Ihr
Tod reißt nicht die geringste Lücke."(zit.n. Klee S.22)
Die Kategorie "Leidensfähigkeit", auf die sich die TierrechtlerInnen
stützen, ist nicht nur prädestiniert dafür, daß sie
bis zu ihrer tödlichen Konsequenz weitergedacht wird, sondern sie
hat diesbezüglich bereits eine lange Tradition.
LEID VERHINDERN
Tierrechtsbewegte gehen davon aus, daß "leidensfähigen" Lebewesen
kein Leid angetan werden darf, daß es verhindert werden muß,
wenn sie leiden. Auch dieser moralische Anspruch hat seine mörderische
Analogie in der Körperpolitik, wenn nämlich das wirkliche oder
unterstellte Leid nicht aufzuheben ist.
Menschen mit v.a. körperlicher Behinderung - wenn sie als "leidensfähig"
eingestuft werden - wird oft prinzipiell Leid unterstellt. Ihnen wird der
Tod gewünscht, denn dieser erlöst sie von ihrem Leben, das mit
Leid gleichgesetzt wird. Singer schreibt in dieser Logik: "Es gibt Fälle,
in denen es besser ist, z.B. für ein schwerbehindertes Kind, daß
das Kind nicht lebt, weil das Leben ist so voll von Leid, ohne Gelegenheit
für eine bessere Situation, so daß es wirklich besser ist, wenn
das Kind stirbt."(zit.n. Sierck/Danquart S.120f.) Auch diese Argumentation
hat eine lange historische Kontinuität. Der dt. Sozialdarwinist Ernst
Haeckl erklärte 1904: "Hunderttausende von unheilbar Kranken, namentlich
Geisteskranken, Aussätzige, Krebskranke usw. werden in unseren modernen
Kulturstaaten künstlich am Leben erhalten und ihre beständige
Qual sorgfältig verlängert."(zit.n. Trus S.31)
Doch es muß gar nicht mit so drastischen Zitaten gearbeitet werden,
um zu zeigen, daß der Wunsch und moralische Anspruch Leid nicht zuzulassen
in Tötungswünschen mündet. Wer hat nach dem Tod eines Menschen,
der lange an einer Krankheit gelitten hat, noch nicht die Sätze gehört:"
Nun ist sie/er erlöst. Es ist besser für sie/ihn."? Klaus Dörner
bemerkt dazu: "Das qualvolle Vegetieren an Schläuchen von Intensivstationen
gibt heute ein noch suggestiveres Bild dafür als das qualvolle Vegetieren
von geistig Toten in den Anstalten. [...]. Die Medienwirksamkeit solcher
Bilder von der neuen Unerträglichkeit menschlichen Lebens, abgeleitet
vom moralisch hoch bewerteten Mitleid mit der leidenden Kreatur, ist groß"(ebd.
S.193). Hier sind wir wieder beim zur Disposition gestellten Leben eines
komatösen Menschen.
DIE KONSEQUENZ
Abschließend möchte ich bemerken, daß mir hier nicht
daran liegt, gewisse Aspekte oder bestimmte Organisationen der Tierrechtsbewegung
zu kritisieren. Ich will vielmehr ausführen, warum ich deren Grundannahme
für gefährlich erachte.
Ich habe versucht zu zeigen, daß die Kategorie "Leidensfähigkeit"
ein inhärenter Bestandteil (freilich nicht der einzige) der Diskurse
zur Legitimierung ärztlichen Tötens ist. Diese Legitimierungsversuche
sind nicht ein Mißbrauch der Kategorie sondern ihre logische Konsequenz.
Meines Erachtens genügt es nicht sich von Singer und Konsorten
zu distanzieren. Operiert mensch weiter mit dem Begriff "Leidensfähigkeit"
um Mensch und Tier gleichzustellen, so stellt mensch sich bewußt
oder unbewußt in den Dienst von BefürworterInnen und BetreiberInnen
des ärztlichen Tötens. Es wird in Kauf genommen, daß der
Wert des Menschen verhandelbar wird.
Als Singers Vorträge in Deutschland 1990 gestört wurden,
protestierten Berliner Philosophen mit einer Erklärung gegen die Sprengung
der Veranstaltungen. Darin halten diese Steigbügelhalter der praktisch
mörderischen Ethik fest: "Singers Positionen zu diesen unterschiedlichen
Problemen ergeben sich jedoch zusammenhängend aus seinem Personenbegriff
und der Grundverpflichtung, Leiden zu vermeiden. Wer nur einige von Singers
Positionen teilt und andere nicht, steht vor der schwierigen Aufgabe zu
zeigen, daß dies widerspruchsfrei möglich ist."(ebd. S.202).
Das dürfte auch einigen in der Tierrechtsbewegung klar sein. Darauf
angesprochen antwortet der Tierrechtler Xaver: "Jedes mal wenn du Grenzen
infrage stellst, machst du Tore auf... Aber dazu sind wir ja auch da, daß
die Tore sozusagen nicht offen bleiben, sondern daß wir sehr wohl
auch sagen, in diese Richtung geht es nicht weiter."(Tier?Rechte S.8)
Ich will keiner/keinem Qualitäten als ideologischeN TürlsteherIn
absprechen, jedoch ist eine Tür immer nur offen oder geschlossen.
Ein bißchen offen gibt es nicht. Außerdem ist ein Gedanke immer
nur gut, wenn er zu Ende gedacht auch noch gut ist. Zu sagen, ich denke
bis hierher und nicht weiter, ist Unsinn.
Solange die Tierrechtsbewegung ihre Grundthese nicht aufgibt und kein
neues analytisches Werkzeug findet, ist ihr Agieren politisch gefährlich.
Literatur:
TATblatt +140-143. Tier?Rechte
U. Sierck/D. Danquart: Der Pannwitzblick
A. Trus: ...vom Leid erlösen
E. Klee: "Euthanasie" im NS-Staat
siehe auch
>> Übersicht über LeserInnenbriefe und andere kritische Reaktionen auf die Schwerpunktsnummer Tier?Rechte
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