TATblatt

S26 - gegen die Kriminalisierung des Widerstandes

Bei der Soli-Arbeit in Prag wurden in den letzten Wochen einige Erfolge erzielt. Bisher ist nur von einer Person bekannt, dass sie in erster Instanz rechtskräftig verurteilt wurde. Etliche Leute haben jedoch noch mit Anklagen zu rechnen, was besonders Leute aus der Tschechischen Republik betreffen wird. Die Soli-Aktionen gehen jedenfalls weiter, und für 17. November ist ein Aktionstag in Prag und anderswo geplant.
 

TATblatt

Wie in der letzten Ausgabe des TATblatts angekündigt, wurde einem 16-Jährigen aus Österreich Amnestie gewährt. Einem Aktivisten aus Polen ging es nicht so gut. Er wurde am Freitag, dem 27.10.00, zu einem Jahr unbedingter Haft verurteilt. Dieser Gefangene hat nun eine neue Rechtsvertretung und seine Chancen, dass sich das Urteil zu seinem Gunsten verändert, sind gestiegen.

Des Weiteren sitzt noch mindestens eine Person aus Dänemark im Gefängnis. Zu einer weiteren Person aus Dänemark gab die Staatsanwaltschaft an, dass sie sich noch immer in Haft befindet, wobei von der legal support group angenommen wird, dass diese Information falsch ist. Es kam mehrmals vor, dass einzelne Behörden Meldungen über Gefangene veröffentlichten, die nicht bestätigt werden konnten. Ob es sich dabei um gezielte Fehlinformation handelt, ist nicht klar. Als vermisst gelten jedenfalls noch vier Leute. Eine Frau aus der Ukraine, die nicht im Rahmen der Demonstrationen verhaftet wurde, aber im Deportationslager in Balkova die Bekanntschaft mit einigen AktivistInnen machte, wird weiterhin unterstützt, damit ihr Antrag auf Asyl gewährt wird. Diese Frau ist nur eine von vielen, die mit den Übergriffen der Polizei in tschechischen Gefängnissen konfrontiert sind. Das System von Illegalisierung, Internierung und Deportation wurde nicht extra für die S26-Proteste erfunden. Es ist jedenfalls erstrebenswert, gegen diese rassistische Praxis, die Teil der europäischen Abschottungspolitik ist, verstärkt vorzugehen.
 

legal actions
 

Die Legal Observer (Ob?anské právní hlídky - OPH) ersuchen alle Leute, die in Prag gefangen bzw. als gefangen gemeldet worden sind, sich zu melden, da noch immer mehr als 200 Leute auf den Gefangenenlisten geführt werden. Des Weiteren werden Leute, die verhaftet und misshandelt worden sind, ersucht, eine Anklage oder zumindest eine Beschwerde gegen die Polizei zu machen. Außerdem werden Leute, die freigelassen worden sind, ersucht, einen Bericht zu schreiben, der für Menschenrechtsbeschwerden und Anklagen verwendet werden kann. Diese Dinge sind sehr wichtig, um der wachsenden Kriminalisierung von Protesten entgegenzutreten.

AnwältInnen von OPH würden die Anklagen beim zuständigen Untersuchungsausschuss des Innenministeriums und der Staatsanwaltschaft einbringen. Um eine Anklage oder Beschwerde einzubringen, ist es nicht notwendig, in der Tschechischen Republik zu sein. OPH wird auf jeden Fall Anklagen wegen des Verbrechens von Folter und unmenschlicher, grausamer Behandlung, Missbrauch der Staatsgewalt und Einschränkung der persönlichen Freiheit einbringen.

Amnesty International wird ebenfalls über die Verletzungen der Menschenrechte in den Gefängnissen berichten, Vorfälle, die während der Proteste oder in der Öffentlichkeit passiert sind, werden nicht von ai behandelt.
 

Helden der Arbeit
 

Während von verschiedenen Seiten versucht wird, die Übergriffe der Polizei zu thematisieren und aufzudecken, gehen die Behörden in Tschechien einen anderen Weg. Laut Czech News Agency (27.10.) soll der Einsatzleiter Radislav Charvat 100.000 Kronen und ein silbernes Verdienstabzeichen "für die Vorbereitungen und Durchführungen der Sicherheitsangelegenheiten während des Treffens" erhalten. Die Beamten, die bei den Protesten verletzt worden sind, sollen mit bronzenen Medaillen ausgezeichnet werden und je 50.000 Kronen "für den Mut, den sie für die Aufrechterhaltung der Ordnung während des Treffens gezeigt haben" erhalten. Der Stadt Prag wird dies 1,5 Mio. Kronen kosten.

Innenminister Stanislav Gross und Premierminister Milos Zeman wiesen Berichte über Polizeibrutalität und Provokateure als internationale Verleumdungskampagne ab (siehe TATblatt plus 152). Bislang hat das Innenministerium den Einsatz von Polizeiprovokateuren strikt verneint. In einer tschechischen Wochenzeitschrift wurden jedoch ein Bericht und Bilder veröffentlicht, die zeigen, wie ein Polizist in Zivil mit einem Holzknüppel auf einen Demonstranten losgeht. Das Innenministerium hat sich unserem Stand des Wissens nach dazu noch nicht geäußert. Ex-Innenminister Jan Ruml sagte zu diesem Vorfall: "Ein Zivilpolizist darf sich nicht wie ein Mitglied einer Einsatztruppe verhalten." Außerdem müsse er sich bei Verhaftungen als Polizist ausweisen, laut ZeugInnenaussagen hat das der Zivilpolizist nicht gemacht. "Falls er jemanden verletzt hat, kann er wegen Amtsmissbrauch und Körperverletzung bestraft werden", vermutete der Ex-Innenminister. Dass Innenministerium müsse diesen Vorfall auf jeden Fall untersuchen.

Sicher ist, dass dies nicht der einzige derartige Fall ist, es dauert jedoch, bis die bereits bekannt gemachten Vorfälle auch aufgegriffen werden. Die OPH werden jedenfalls weiter daran arbeiten. Bei einem Treffen zwischen Miklàs Toman, Chef der Untersuchungen durch das Innenministerium und dem OPH, wurde auf Grund der Unzahl weiterer Informationen zu illegalen Polizeiübergriffen eine Untersuchungskommission zu den Vorfällen vorgeschlagen. Diese Kommission, der RepräsentantInnen des Innenministeriums, der Polizei, von Menschenrechtsorganisationen und Mitglieder des Menschenrechtsrates der tschechischen Regierung angehören sollen, hätte die Aufgabe der öffentlichen Kontrolle. Irgendwie erinnert diese Kommission ein wenig an den Menschenrechtsbeirat, der in Österreich in Folge des Todes Marcus Omofumas im Gewahrsam der österreichischen Polizei eingeführt wurde und der sich als sehr zahnlos erwies.
 

N17
 

Der 17. November ist bedeutend für die Tschechische Republik. 1989 gaben Studierendenproteste einen Anstoß zur "sanften Revolution". Vieles hat sich nach dieser "sanften Revolution" jedoch nicht zum Besseren geändert. Die Macht ist noch immer konzentriert, die sozialen Bedingungen vieler Menschen verschlechtern sich von Tag zu Tag, der Staat behält nach wie vor eine aktiv repressive Maschinerie bei, die durch die von den Medien verbreitete Kriminalisierung politisch aktiver sowie finanziell armer Menschen verstärkt wird. Mit Demonstrationen und einer internationalen Erklärung an die tschechische Regierung von Menschen und Organisationen aus der ganzen Welt soll dieser Kriminalisierung entgegengewirkt werden. Wenngleich dies sehr utopisch klingt, zeigen die Erfolge bei der Entkriminalisierung einiger Gefangener der S26-Proteste, dass mit gezielten Aktionen etwas erreicht werden kann.

Zur Unterstützung der N17-Proteste in Prag wird weltweit zu Aktionen gegen Repression aufgerufen. Es wurde auch angeregt, das Thema der Kriminalisierung im Allgemeinen zu thematisieren und die konkrete Situation in Prag in Aktionen aufzunehmen, die vielleicht ohnehin schon rund um N17 geplant sind. Es sollte Aktionen zu verschiedenen Anlässen geben, weil es sich bei der Kriminalisierung um ein globales Problem handelt (siehe dazu auch den Aufruf gegen die Kriminalisierung unserer Bewegungen, der mittlerweile in deutscher Übersetzung auf www.no-racism.net/s26 zu finden ist). In allen Ländern werden soziale Bewegungen als potenziell kriminell hingestellt und die Gesetzgebungen zielen mit steigender Repression gegen sie ab. Die Mobilisierung nach Prag war international, so wie dies nun die Liste jener Personen ist, die Anklagen gegenüberstehen. Es soll gezeigt werden, dass Menschen auf der ganzen Welt über den Prozess der langsamen und unterschwelligen Verschärfung sozialer Kontrolle besorgt sind. Des Weiteren gilt es mit den tschechischen Bewegungen in ihren Bestrebungen, repressive Gesetzgebungen zu stoppen, solidarisch zu sein.
 
 

weitere Informationen im Internet:

www.no-racism.net/s26
www.crosswinds.net/~jailsolidarity
www.prague.indymedia.org
www.oph.cz
 
 

aus TATblatt +153, S. 2–3
 
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