Frauenministerin Herbert Haupt:
"...kann Abtreibung nicht die alleinige Entscheidung
der Frau sein."
Der von Bundeskanzler Schüssel bereits im vergangen Sommer angekündigte staatliche Griff in weibliche Bäuche nimmt deutliche Konturen an. Den Startschuss zur neuerlichen Ideologisierung der Abtreibungsregelung in Österreich kam vom Frauenministerin Haupt am 30. November 2000: In einem Interview mit dem ORF-Mittagsjournal räsonierte er fern jeglichen Realitätsbezugs über den Stellenwert der sogenannten eugenischen Indikation, um in Nebensätzen auf den Kern der Sache zu sprechen zu kommen: Abtreibung, so der Frauenministerin, könne "nicht die alleinige Entscheidung der Frau sein".
TATblatt
Im ORF-Interview gelang es dem Frauenministerin, mit seinem (wohl im
Beruf als Tierarzt erworbenem) Fachwissen über Abtreibung geradezu
zu glänzen: Ein "untragbarer Zustand" sei die neunmonatige Frist,
so Haupt, in der Abtreibungen nach einer eugenischen Indikation vorgenommen
werden könnten. Er wolle auf Gesprächsebene einen Zeitraum von
etwa drei Monaten erreichen. Die Fristenregelung als solche sei laut Haupt
"vorhanden", er lasse aber überlegen, ob Anpassungen möglich
wären. In Bezug auf die so genannte eugenische Indikation müsste
eine offene Diskussion stattfinden können. Neueste medizinische Erkenntnisse
sollten hierbei berücksichtigt werden.
Herbert Haupt - ein Mann vom Fach
Über neueste Erkenntnisse, zwar nicht unbedingt im medizinischen, so doch wenigstens im juristischen Bereich, scheint Haupt tatsächlich zu verfügen. Und zwar über derart neue, dass die rechtliche Realität diesen Erkenntnissen überhaupt erst angepasst werden müsste: Das mit der neunmonatigen Frist ist glatter Humbug!
Tatsächlich sieht das österreichische Strafrecht zwar eine
theoretische Möglichkeit vor, Föten bei Gefahr für das Leben
der Mutter bzw. bei Gefahr einer "ernsten Gefahr ...., dass das Kind geistig
oder körperlich schwer geschädigt sein" werde ohne Frist abzutreiben.
In der Praxis ist diese Bestimmung jedoch wirkungslos, weil sie von anderen
Rechtsnormen überlagert wird: Ungeborene Kinder sind ab der 24. Schwangerschaftswoche
auch außerhalb des Mutterleibes mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit
überlebensfähig. Jeder Arzt oder jede Ärztin, der/die ab
diesem Zeitpunkt eine Abtreibung ohne belegbare und klare Anzeichen dafür,
dass ein ungeborenes Kind nicht lebensfähig wäre, durchführt,
macht sich strafbar und würde die Berechtigung zur Ausübung des
ÄrztInnenberufs verlieren. Oder anders: Auch im Falle einer eugenischen
Indikation dürfen ab der 24. Schwangerschaftswoche nur jene Föten
abgetrieben werden, die aufgrund des Fehlens etwa wesentlicher Organe nach
der Geburt nicht lebensfähig wären.
War schon Haupts Kernargument gegen die bestehende Regelung der eugenischen
Indikation grundlegend falsch, so stellt die anvisierte Einschränkung
auf eine einzige 12-wöchige Frist (in der Praxis ohnehin höchstens
zehn Wochen) gerade das Gegenteil von der behaupteten Berücksichtigung
medizinischer Erkenntnisse dar: Es sind just jene medizinischen Untersuchungen,
die sehr schwere Behinderungen diagnostizierbar machen, die überhaupt
erst ab der 16. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden können.
Zu einem Zeitpunkt also, wo die ins Auge gefasste Frist bereits seit einem
Monat verstrichen ist. Dazu kommen noch rein bürokratische Probleme:
Eine Frau, die, etwa weil das gemeinsame Alter der Eltern 70 Jahre übersteigt
(und damit die Möglichkeit einer Behinderung des Kindes deutlich ansteigt),
in der 16. Schwangerschaftswoche ein Labor aufsucht, um ihr Kind untersuchen
zu lassen, muss noch zwei bis vier Wochen warten, bis die Untersuchung
überhaupt durchgeführt wird.
Selektion, Gewissen, ... und der Alltag
"Es kann nicht angehen, dass behindertes Leben weniger wert ist als das von nicht-behinderten Menschen", assistierte ÖVP-Generalsekretärin Rauch-Kallat am 1. Dezember ihrem Ministerin. Gerade für behinderte Menschen sei es nicht nachvollziehbar, "dass behinderte Embryos weniger geschützt werden als Nicht-Behinderte". Die ÖVP-Generalsekretärin bedient sich damit eines Arguments, das prima vista von den Kindern und Enkeln der NS-Generation schwer verworfen werden kann. Selektion nach angenommenem Lebenswert im österreichischen Strafrecht?
Die Erhebung behinderter Menschen zu ZeugInnen der Anklage geht deutlich
am Thema vorbei: Es kann ja wohl kaum Ziel der Politik sein, pränatale
Diagnostik zu verbieten. Und selbst den schärfsten AbtreibungskritikerInnen
muss klar sein, dass der Einsatz pränataler Diagnostik weit mehr Abtreibungen
verhindert als anregt.
Kinderwunsch, "Normalitätswahn"
Die Gegenprobe schafft Gewissheit: Was ist denn mit einer Frau, die
im fünften Schwangerschaftsmonat erfährt, dass ihr Kind die Geburt
nicht überleben wird, die gesetzliche Abtreibungsfrist jedoch bereits
überschritten ist? Das Kind dennoch auszutragen, ist ja wohl nichts
anderes als Folter. Bleiben verschiedene illegale Formen der Abtreibung
mit all ihren Risken: Strafverfolgung in Österreich für all jene,
die über ausreichend Mittel verfügen und sich im Ausland dem
Eingriff unterziehen können, Strafverfolgung und möglicherweise
Lebensgefahr für jene, die das Geld nicht haben. Und es bleibt das
Bewusstsein, dass gerade Frauen in Extremsituationen per Gesetz die Unterstützung
verweigert wird...
Das erstaunliche an der von Haupt & Co. losgetretenen Debatte ist
die Tatsache, dass sie in ihrer Argumentation gegen Frauen gerichtet ist,
die sich grundsätzlich dafür entschieden haben, Kinder zu kriegen
(also nicht primär gegen jene, die sich innerhalb der gesetzlichen
Frist zur Durchführung einer Abtreibung entscheiden). Eine Einschränkung
der Frist zur Durchführung einer Abtreibung nach eugenischer Indikation
kann daher zwangsläufig nur zu mehr Abtreibungen führen: Jede
Frau, die nur im entferntesten Gründe für eine mögliche
Behinderung ihres Kindes sieht und gerade davor Angst hat (und mal ehrlich:
welche schwangere Frau hat das nicht), wird sich innerhalb der gesetzlichen
Frist für eine Abtreibung entscheiden, obwohl sie gar nicht wissen
kann, ob ihre Angst faktisch begründet ist oder nicht. Conclusio:
Haupt, Rauch-Kallat & Co. spielen hier ein zynisches Spiel mit den
Ängsten von Frauen!
Erklärlich wird die Scheindebatte um die eugenische Indikation
nur in Zusammenhang mit Haupts Feststellung, wonach "Abtreibung nicht die
alleinige Entscheidung der Frau sein" könne. FPÖ und ÖVP
zielen auf ganz grundsätzliche Einschränkungen der Möglichkeit,
eine Abtreibung durchzuführen, ab. Und dieser Eindruck verbessert
sich auch nicht durch Haupts aufgrund massiver Proteste nachgeschobenen
Erklärung, er plane nicht die Einführung einer Unterschrift des
Kindsvaters vor der Abtreibung. Bestimmungsmacht der Männer ist nur
eine Variante, dem Staat den direkten Zugriff auf weibliche Bäuche
zu gewähren. Eine mindestens ebenso aggressive ist der verpflichtende
Besuch von Beratungsinstitutionen, der zwischen den Zeilen (mit Verweis
auf das "deutsche Modell") angestrebt wird.
Den Einstieg in die "Ausstiegsdebatte" dankbar angenommen haben fundamentalistische
Theologen wie der Salzburger Weihbischof Laun und der St. Pöltner
Bischof Krenn. Laun zeichnete in der News-Ausgabe vom 6. Dezember 2000
Parallelen zwischen der in Österreich gültigen Fristenlösung
und dem NS-Staat: "Die Fristenlösung hat einen gemeinsamen Nenner
mit dem Geist der Nazis und des Kommunismus: Wir dürfen töten".
Diese Polemik gegen die Fristenlösung nutzte der Geistliche, das Strafverfahren
gegen den Arzt Dr. Heinrich Gross, der 1943/44 an der Ermordung mehrerer
hundert Kinder beteiligt gewesen war, als "Heuchelei" zu bezeichnen. "Dr.
Gross hat als Naziarzt behinderte Kinder getötet - nur vier Wochen
später als wir. Muss Dr. Gross ins Gefängnis nur weil er zu spät
dran war? Denn das machen wir auch. Das ist pure Heuchelei." Am 11. Dezember
2000 legt Kurt Krenn, ein Schäuferl nach: "Ich bin froh über
den Schritt des Sozialministers. Aber das, was wir wollen, nämlich
die Aufhebung der Fristenlösung, ist das sicher nicht. Wir brauchen
das Ganze, ohne das können wir nicht zufrieden sein. ... Österreich
braucht nach so vielen Jahren Fristenlösung eine Umerziehung, denn
viele können zwischen Gut und Böse nicht mehr unterscheiden.
Laun, Krenn und der verbale Totschlag
Laun und Krenn haben sich mit Schwung in die Argumentationsschienen
geworfen, die ihnen FPÖ- und ÖVP-PolitikerInnen gelegt haben.
Die Dank Haupt & Co. hergestellte mediale Präsenz der Rechtsaußen-Bischöfe
muss in Zusammenhang mit außerhalb der Amtskirche agierenden, fundamentalistischen
AbtreibungsgegnerInnen betrachtet werden, die seit einigen Jahren regelrechten
Psychoterror gegen Besucherinnen jener Wiener Kliniken ausüben, in
den Abtreibungen vorgenommen werden. Ein Baustein dieses Psychoterrors
ist auch die Gleichsetzung der Fristenlösung mit den NS-Mordprogramm
"T4", die jeglicher historischen Grundlage entbehrt: "T4" richtete sich
nicht gegen ungeborenes Leben, sondern gegen bereits geborene Kinder, die
- aus welchem Grund auch immer - nicht ins gesellschaftliche Konzept des
Nationalsozialismus passten, weil sie entweder als "behindert" oder "asozial"
abgestempelt worden waren.
Nazi-Deutschland: Todesstrafe auf Abtreibung
Besonders zynisch ist der Laun-Vergleich hinsichtlich der Tatsache, dass Abtreibung in Nazi-Deutschland bei Todesstrafe verboten war und derartige Urteile auch vollstreckt wurden. Gerade mit dieser Regelung hatten die Nazis ein besonders effektives Sanktionsmittel gegen Frauen zur Verfügung, die sich mit ihrer sozialen und gesellschaftlichen Rolle nicht einfach abfinden wollten (immerhin vertschüsste sich ein beträchtlicher Teil der männlichen Bevölkerung in den Krieg und brauchte daher keinerlei Verantwortung für den Nachwuchs übernehmen). Von obligatorischem Zwang zur Abtreibung hingegen waren Zwangsarbeiterinnen betroffen. Laun (und Krenn) stellen die Realität auf den Kopf: Die Fristenlösung ist ein (mit Sicherheit unzureichender) Versuch, Betroffenen möglichst viele Ansätze zur Entscheidung und Selbstbestimmung einzuräumen und ist damit klar zu unterscheiden von den NS-Regelungen, die den Bauch einer Frau zu Staatsbesitz erklärten...
aus TATblatt +155/+156 S. 1 u.15–16
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