Graz: Der Gebrauch des Wortes "Widerstand" ist strafbar!
Anzeigenflut für kritisches Transparent bei ÖVP-Veranstaltung:
Insgesamt 75 600 ÖS Strafe für 14 AktivistInnen
1800 ÖS Geldstrafe für den öffentlichen Gebrauch
des Wortes "Widerstand"
von: Mayday2000
Kostspielige Folgen hat der Polizeieinsatz vom 6.10. in Graz, bei dem eine "Taurus"-Einheit sich auf eine Gruppe von 10-15 jungen Leuten stürzte, die während einer ÖVP-Wahlkampfveranstaltung mit dem bayrischen Ministerpräsidenten E. Stoiber versucht hatte, ein Transparent hoch zu halten und ein paar Zwischenrufe zu machen. Die Polizisten trieben die AktivistInnen in eine Ecke, stießen Leute zu Boden und gegen Wände, misshandelten sie und zerrten zwei von ihnen in Handschellen in Seitengassen. Aufnahmen und Fotos wurden damals handgreiflich verhindert, besonders von Staatspolizisten, alle vom Polizeieinsatz Betroffenen mussten ihre Personalien angeben.
Inzwischen haben 14 Leute Strafverfügungen erhalten, insgesamt in der exorbitanten Höhe von 75 600 ÖS, die Hälfte der Angezeigten ist minderjährig. Jeder und jede müsste 5400 ÖS zahlen, auch die 15-und 16-jährigen Schüler (das ist selbst für Grazer Verhältnisse ausgesprochen hoch!), wie gesagt: für den völlig friedlichen Versuch, ein Transparent unter zahlreichen Pro-ÖVP-Transparenten zu entrollen, und ein paar mal "Stoiber ist ein Rassist!" und "Widerstand" zu rufen, was ein paar Meter weiter weg schon nicht mehr zu hören gewesen war.
Vorgeworfen wird den Leuten
·"Ordnungsstörung", indem sie "versuchten, in Richtung
Bühnenaufbau vorzudrängen" (also Hineingehen in eine öffentlich
zugängliche Veranstaltung am Hauptplatz!)
·"Lärmerregung" durch "Schreien der angeführten Worte"
(damit sind die erwähnten Zwischenrufe gemeint)
·und "Anstandsregelverletzung": "Sie haben durch den Gebrauch
der Worte ´Widerstand, Stoiber ist ein Faschist, Stoiber ist ein
Rassist!´" den öffentlichen Anstand verletzt. Das angeführte
Verhalten widersprach der herrschenden Sitte und hat die allgemein anerkannten
Grundsätze der Schicklichkeit verletzt."
Das heißt: Mit "Anstandsregelverletzung" wird allein die Tatsache, dass das Wort "Widerstand" in der Öffentlichkeit gebraucht wurde (und zwar nicht störend oder lautstark, sondern nur ausgesprochen), mit Geldstrafe belegt!!! Das ist demokratiepolitisch nicht nur bedenklich, das ist gefährlich und sollte auch jene, die sich von der Repression in Graz noch nicht betroffen fühlen ("uns trifft's ja nicht" oder "selber schuld"), endlich aufrütteln. Oder wollt ihr wirklich dieser Staatspolizei die Entscheidung überlassen, wo die Meinungsfreiheit und Menschenwürde aufhören?!
Der Bericht, der der Anzeige zu Grunde liegt, spricht ebenfalls für sich, er enthält laufend abfällige Bemerkungen und politische Wertungen. So wird Mayday 2000 ohne jede Begründung als "linksextreme Gruppierung" bezeichnet, über andere Personen heißt es: "...befanden sich auch einige Jugendliche, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach als so genannte Punker - =linksextrem. Jugendrandgruppe - erkennbar waren." Der Gruppe um das Transparent wird "ungehöriges Benehmen", "abweisendes und erregtes Verhalten", "abfälliges Grinsen" und das Rufen "beleidigender Parolen gegen Ministerpräsident Stoiber" vorgeworfen, und am Schluss hätte sie auch noch versucht, sich durch "lautstarke Hilferufe der Amtshandlung" zu entziehen. Ironischerweise lastet der Bericht den Leuten auch "rücksichtsloses" Hinausdrängen an, obwohl es ja gerade die Polizisten waren, die die Gruppe trotz der Bitte einiger SchülerInnen, langsamer gehen zu dürfen, gedrängt und geschoben hatten. Das Anlegen der Handfesseln wird absurderweise mit Fluchtgefahr gerechtfertigt, obwohl alle beiden Betroffenen versucht hatten, anderen zu helfen (sprich das Gegenteil von Weglaufen), bevor die Beamten sie wegzerrten. Abschließend heißt es: "Bezüglich der Absicht der Täter wird auf den Inhalt des Transparents ("Widerstand organisieren", Anm.), die Sprechchöre und auf die beigeschlossenen Internet-Nachrichten verwiesen". Letzteres bezieht sich auf die Auszüge aus der Homepage von Mayday und eines unserer E-Mails, die der Anzeige mal wieder beigelegt sind. Das E-Mail enthielt übrigens unsere Darstellung des Polizeieinsatzes vom 6.10. und war an die "Ökologische Linke" in Wien ergangen (und davor offenbar wo hängen geblieben). Den Bericht hat jener Staatspolizist verfasst, der beim Polizeieinsatz einem jungen Mann die Fotokamera aus der Hand gerissen und den Film gesucht hatte...
Die Angezeigten haben Einspruch erhoben. Außerdem haben sieben der vom Polizeieinsatz Betroffenen Beschwerde beim UVS wegen der Polizeiübergriffe eingereicht. Und an dieser Stelle gleich unser Ersuchen um Rechtshilfe (frühzeitig diesmal, damit wir nicht wieder in letzter Minute dran sind): Wir suchen dringend einen Rechtskundigen, der diese Beschwerde bei der UV-Verhandlung vertreten würde, und auf Grund unserer finanziellen Lage können wir uns keine bezahlte Vertretung leisten!!!
P.S. Nach wie vor würden wir uns über Spenden für die
Rechtshilfe freuen
>> TATblatt-Inhaltsverzeichnis | >> Widerstandschronologie (Wien) | >> weitere aktuelle Meldungen |
©TATblatt
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken, alternativen
und ähnlichen Medien ohne weiteres gestattet (Quellenangabe undBelegexemplar
erbeten)!
In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung
der Medieninhaberin (siehe Impressum)