TATblatt
Ein militanter Abtreibungsgegner kaufte an eine auf Schwangerschaftsabbruch spezialisierte Klinik vermietete Räumlichkeiten in Wien 2 und reichte eine Räumungsklage ein. Seine Rechtsvertretung: die Kanzlei Böhmdorfer-Gheneff.
Die Geschichte der Klinik "Mairo" oder "Lucina", wie sie künftig heißen soll ist lang. Sie begann im Juni 1976 mit der Gründung einer Beratungsstelle für ungewollt schwangere Frauen. Bis 1992 konnten Frauen, die sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschlossen hatten, aber nur weiter geleitet werden. Dann wurde die Krankenanstalt Mairo ins Leben gerufen. Seitdem können die Behandlungen unter humanen und sozialen Bedingungen direkt bei Mairo durchgeführt werden. Im Jänner 2000 übersiedelte die Klinik von der Taborstraße in neue, hellere, freundlichere Räumlichkeiten in der Großen Sperlgasse. Diese waren bereits 1998 angemietet, zwei Jahre lang umgebaut und eingerichtet worden, und hätten einer Vereinbarung mit der Vermieterin gemäß nun von der Klinik angekauft werden sollen. Dann war die Vermieterin für Mairo aber nicht mehr zu erreichen. Es hieß, sie sei auf Urlaub. Die Mairo-Leiterin dachte sich nichts böses und wartete zu.
Bis zum 18. Februar 2000 war auch, wie zuvor in der Taborstraße, ein ungestörter
Betrieb der Klinik möglich. An diesem Tag zogen neue MieterInnen in einige
der anderen Wohnungen im Haus ein. An und für sich nichts Besonderes. Schon
am Abend kam jedoch der Klinikbetreiberin einer der neuen Nachbarn mit einem
riesigen Marienbild entgegen, und fragte hintergründig, ob sie sich denn
jetzt fürchte.
Obwohl die Frau bislang von militanten Abtreibungsgegnern verschont worden war,
wurde ihr klar, was es geschlagen hatte. Sicherheitshalber bestellte sie gleich
am nächsten Tag Sicherheitstüren und wenig später auf Anraten
der Polizei ein elektronisches Überwachungssystem.
In diesen Tagen fand sich in Aussendungen von "Human Life International"
(HLI) Spendenaufforderungen zur Finanzierung des Ankaufs von Wohnungen "im
Gebäude der 2.-größten Abtreibungsklinik". In anderen Flugblättern
rief die gleiche HLI auf zu einem "Gebetszug nach Golgotha = zur Abtreibungsstätte
Mairo", zu "mitopferndes Ausharren vor der Klinik" und zu gleichzeitiger
Anbetung des "Allerheiligsten". Diese seltsamen Kreuzzüge finden
seitdem jeden letzten Samstag im Monat statt. Aber auch an anderen Tagen postieren
sich Abtreibungsgegner vor dem Eingang zur Klinik, versuchen Patientinnen und
Begleiterinnen aufzuhalten, werfen ihnen übergroße Plastik-Embrios
zu, versperren ihnen den Weg, klammern sich an sie, beschimpfen und bedrohen
sie, fotografieren sie, schreiben Autonummern auf, kurz: machen sie psychisch
fertig. Die Fotos werden sie an Gemeindeämter und Kirchen weitergeben,
damit die "Mörderinnen" von der Kanzel gebrandmarkt werden, kündigen
sie an.
Auch im Stiegenhaus werden Frauen belästigt, in eine von den Abtreibungsgegnern
eingerichtete "Beratungsstelle" gedrängt, wo ihnen "Hilfe"
angeboten wird, oder was die Abtreibungsgegner eben dafür halten.
Dem Personal der Klinik ergeht es nicht besser. Die Leiterin bekommt laufend
Morddrohungen, schriftlich und telefonisch am Telefon im Büro, in der
Wohnung, beim Frisör, ... Die Abtreibungsgegner behaupten, über jeden
ihrer Schritte Bescheid zu wissen, und sie demonstrieren, dass sie das wirklich
tun. Weil Frisörbesuche werden selten vorher öffentlich verlautbart.
Mairo engagierte daher einen privaten Sicherheitsdienst, um Belästigungen
der PatientInnen und BegleiterInnen zu verhindern. Doch selbst die Wachleute
sind vor den Abtreibungsgegnern nicht sicher. Regelmäßig werde beim
Eskortieren von Patientinnen auf sie eingeprügelt und Morddrohungen stehen
an der Tagesordnung, berichtet die Leiterin der Klinik.
Im Frühjahr 2000 musste die Leiterin der Klinik zu allem Überfluss
erfahren, dass sie die Räumlichkeiten nun doch nicht kaufen könne,
denn: die gehören seit 31. März einem Herrn Dietmar Fischer. Die Klinikleiterin
rief sofort bei der früheren Eigentümerin an und wies auf das vereinbarte
Vorkaufsrecht hin. "Jaja!", bekam sie zur Antwort, aber sie, die frühere
Eigentümerin, sei seit einem Jahr terrorisiert, genötigt und bedroht
worden, und das habe sie nicht mehr ausgehalten, und deswegen habe sie jetzt
an Fischer verkauft. Zufällig tritt Dietmar Fischer übrigens auch
als Obmann von HLI-Österreich bzw. einer "Christlichen Allianz"
bzw. von "Ja zum Leben" und vermutlich von noch einigen ähnlich
dubiosen Vereinigungen mehr auf.
Bereits im Jänner 2000 wandte sich Anton Fischer, der Bruder von Dietmar
Fischer, an Bundeskanzler Schüssel mit dem Appell, den Willen Gottes zu
respektieren: "Das Ultimatum endet mit dem Ablauf des Jahres Null = 2000.
Also müssen im Laufe der kommenden elf Monate die Abtreibungsgesetze revidiert
und abgeschafft werden", denn: "AEIOU": "Abtreibungspolitik
endet in Österreichs Untergang" oder "Arrogante Endlösung
ist Österreichs Untergang" oder "Amen, Erbarmen inkludiert oberstes
Ultimatum", so Fischer.
Schüssel bedankte sich am 2. Mai 2000 in einem Brief an Fischer. für
dessen Schreiben und erklärte: "Wir haben uneingeschränkte Achtung
vor dem ungeborenen Leben und lehnen Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich
ab. [...] Grundlage einer glaubwürdigen Politik ist der Schutz des Lebens
und eine entsprechende Änderung der gesetzlichen Regelungen wird von der
ÖVP angestrebt und entsprechende Gespräche, die einer Mehrheit bedürfen,
im Parlament geführt."
Vergeblich versuchte die Leiterin der Klinik, ein ernsthaftes Gespräch
mit Fischer zu führen. Einer Einladung zum Meinungsaustausch kam Fischer
zwar nach, auf Sachthemen wollte er allerdings nicht eingehen. Dafür erzählte
er von der "Hure Maria Magdalena", dass er für die "Bekehrung
der Huren" beten müsse, dass es "nur mehr ausländische Kinder
in Österreich" gebe, dass die Präsidentin der Aktion Leben, Kardinal
Franz König und Papst Johannes XXIII alles Sozialisten seien, "aber
mit der wahren Kirche nichts zu tun" haben, dass eine anwesende Mitarbeiterin
der Klinik, die er als nicht-katholisch entlarvte, deswegen "sofort bei
der Polizei angezeigt" werden müsse, und dass ihm im Übrigen
bald das ganze Haus gehöre.
Am 11. Dezember brachte die Kanzlei Böhmdorfer-Gheneff für Fischer
bei Gericht die Aufkündigung des unbefristeten Mietvertrags ein. Die Klinik
verleide das "friedliche Zusammenleben" mit den anderen Mietern, weil
"regelmäßig Frauen, welche diese Abtreibungsklinik aufsuchen,
im Stiegenhaus unter Schmerzen und Weinkrämpfen zusammenbrechen. Das lautstarke
Verhalten und die offensichtliche Verzweiflung dieser Patientinnen stört
in hohem Ausmaß das Zusammenleben der übrigen Mieter dieses Hauses."
Außerdem führe die Tätigkeit der Klinik zu einem Wertverlust
der Wohnungen. Dass allfällige Weinkrämpfe auf den Terror der Abtreibungsgegner
zurückzuführen sind, verschweigt die Kanzlei Böhmdorfer-Gheneff
freilich.
Mairo erhob gegen die Kündigung freilich Einwendungen: "Die geltend
gemachten Kündigungsgründe werden gänzlich bestritten, keiner
derselben liegt vor. Darüber hinaus ist die gerichtliche Aufkündigung
sittenwidrig, da die kündigende Partei das Eigentum an unseren Büroräumlichkeiten
allein zum Zweck erworben hat, den Betrieb unserer Krankenanstalt ehestmöglich
zu behindern und das Objekt aufkündigen zu können."
Eine Entscheidung steht noch aus.
Am 11. Jänner kam, um auf diese Vorgänge hinzuweisen, die Donnerstagsdemo bei der Klinik vorbei. Am 22. Jänner fand eine kleine Solidaritätskundgebung vor dem Eingang statt. Am 27. Jänner, als wie jeden letzten Samstag im Monat eine Prozession von AbtreibungsgegnerInnen vor die Klinik kam, demonstrierten UnterstützerInnen der Klinik für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen.
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