Wipe out WEF!
Das erste Auto, das an diesem Samstag brannte, hatte ein österreichisches Kennzeichen. Ob dies ein Akt antifaschistische Solidarität oder einfach Zufall war, das wird selbst das TATblatt nicht mehr nachrecherchieren können!
von einem Antifa aus Zürich; Quellen: Neue Zürcher Zeitung, Blick, indymedia; überarbeitet
Doch der Reihe nach. Am Samstag, dem 27.1.01 sollte eine Demonstration in Davos gegen das dort stattfindende World Economic Forum (siehe TATblatt plus 158). Diese Demonstration wollte die Polizei verhindern, unter Einsatz des größten Polizeiaufgebots in der Schweizer Geschichte. Über 2000 PolizistInnen errichteten schon Tage vorher mehrere Straßensperren und verweigerten wahllos verschiedenen Personen die Weiterreise. Am Donnerstag erreichten von ca. 200 Aktivistlnnen nur etwa 15 ihr Ziel. Alle anderen wurden durchsucht, registriert, photographiert und dann zurückgeschickt. Auch zahllose Besucherlnnen des NGO-Gegenkongresses "Public Eye on Davos" wurden behindert. Am Mittwoch, dem ersten der Aktionstage gegen das WEF, kam es in Zürich zu ersten Spontandemonstrationen, am Donnerstag erhöhten einige Aktivistlnnen die Verkehrssicherheit auf der Autobahn nach Davos durch konsequentes Langsamfahren. Dabei wurden sie jedoch von der Polizei attackiert: Ein Polizist sprang aus seinem Wagen, schlug dem erstbesten Fahrzeug das Seitenfenster ein und richtete seine Dienstwaffe auf den Kopf des Lenkers. Dieser wurde durch Splitter leicht verletzt, und gemeinsam mit ca. 15 anderen verhaftet.
Im Vorfeld der Demonstrationen begann die Polizei auch damit, die Arbeit von JournalistInnen massiv zu behindern. Ein Indymediabus wurde lange Zeit daran gehindert, nach Davos zu fahren und dann dort mehrmals durchsucht. JournalistInnen wurden observiert, umzingelt und abgewiesen.
Am Freitag fand in Zürich ein Kongress statt, der sich mit Fragen der Globalisierung, der Alternativen und des Widerstandes beschäftigte. Die Veranstaltung im Volkshaus Zürich wurde unter anderem von attac organisiert und von 500 bis 1000 Menschen besucht. Dabei gab es mehrere Diskussionsrunden und Workshops, die eines gemeinsam hatten: Alte Männer saßen am Podium. Bis auf einen Workshop zum Thema Globalisierung und Frauen; dort durften dann fünf Frauen sprechen. Das ergab ein Rednerlnnenverhältnis von 40 zu 5. Am Abend kam es dann noch zu einer skandalösen Palästinadiskussionsrunde, wo mehrere hundert SchweizerInnen aufgefordert wurden, eine Bewegung gegen Israel zu gründen.
Die LinksneokeynesianistInnen von attac organisierten ein Geschwader von sieben (!) Autobussen, die am Samstag nach Davos rollen sollten. Doch eine Sprecherin der Gruppe stellte bereits am Freitag in einem Fernsehinterview klar: "Wenn uns die Polizei aufhält, dann werden wir umdrehen!"
Am Freitag Abend brach im Kanton Graubünden teilweise die Telefonverbindung zusammen. Später stellte sich heraus, dass ein Glasfaserkabel beschädigt worden war.
Am Morgen des 27. Jänners wurde das Büro der Welthandelsorganisation von 200 AktivistInnen in Genf gestürmt, besprüht und bepisst.
Am Samstag gab es dann verschiedene Versuche, nach Davos zu kommen. Viele kamen mit Bussen und Autos. Einige wurden bereits an der Grenze zurückgewiesen. Am Grenzübergang Chiasso wurden 40 ItalienerInnen in weißen Overalls mit einem Wasserwerfer an der Einreise gehindert. Der Grenzübergang musste geschlossen werden, zahlreiches Publikum aus den angrenzenden Orten beobachtete das Spektakel.
Eine Gruppe von ca. 300 Personen wollte mit dem Zug von Zürich nach Davos reisen. Die Bahn hatte schon vorher angekündigt, dass sie die Züge am 27. Jänner, dem Tag der angekündigten Großdemonstration, einstellen würde. Es fuhren dann auch keine Züge nach Davos. So kamen die DemonstrantInnen nur bis Landquart und wurden dort in einem weiträumigen Stacheldrahtverhau festgehalten. Nach langer Blockade des Bahnhofs und einigen Attacken auf die Polizei stellte diese einen Sonderzug nach Zürich bereit. Als dieser den Bahnhof Landquart verließ, sahen die AktivistInnen, dass die nahe Autobahn ebenfalls blockiert wurde und zogen die Notbremse. Als noch ein weiterer Demozug von zurückgewiesenen KapitalismusgegnerInnen dort eintraf, war die Freude groß und das Chaos perfekt. Die Aktivistlnnen protestierten aus verschiedensten Gründen: Einige richteten ihr Augenmerk auf die Ideologie des "homo oeconomicus" (don't feed him, cook him!), andere auf die Tatsache, das all die Herren, die sich beim WEF treffen, keinerlei Legitimation haben, dort irgendwas zu entscheiden. Feministinnen betonten den Gegensatz zwischen männlicher Machtausübung und weiblicher Reproduktionsarbeit, Schweizer BürgerInnen demonstrierten gegen die Polizeidiktatur, Jugendliche kamen aus ganz Europa um ihre generelle Ablehnung von Ausbeutung und Unterdrückung kundzutun. Türkische und kurdische Gruppen erinnerten an ihre ermordeten Genosslnnen, andere wiesen auf den Krieg gegen die sozialen Bewegungen in Kolumbien hin.
Es kam zu kilometerlangen Staus und Verspätungen im Zugverkehr. Alle Aktivistlnnen einigten sich darauf, sich in Zürich wieder zu treffen und traten den Rückweg an. In Davos selbst kam es zur selben Zeit zu einer Demonstration von ca. 300 Menschen, die die Polizei ausgetrickst hatten und dortgeblieben waren. Die Demo wurde mittels Wasserwerfereinsatz aufgelöst.
In Zürich angekommen, ging die Zuggruppe zum vereinbarten Treffpunkt am Bützliplatz. Dort sollte eine Musikveranstaltung unter dem Titel "Radical Rave Reclaim the Streets" stattfinden. Das Soundsystem und Busgruppen kamen jedoch zum Hauptbahnhof. Also ging die Zuggruppe dorthin zurück, wurde jedoch von der Polizei mit Gummischrot, Tränengas und Wasserwerfern angegriffen, als sie durch die Bahnhofstraße, die teuerste Einkaufsstraße von Zürich, gehen wollte. Die ersten Steine flogen auf eine Gruppe von Zivilpolizisten, danach wurde ein Block mit Nobelgeschäften komplett entglast, und eine WEF-Limousine schwer beschädigt. Die Polizei drängte die Demo in die Altstadt, durch enge Gassen musste ein Umweg zum Bahnhof gegangen werden. Am Weg wurden ein McDonald's, ein Nachtclub, Sexshops, ein Juwelier und einiges anderes getrashed. Die Polizei griff weiter etwas planlos mit Tränengas an. Am Hauptbahnhof vereinigten sich die Demos, das Soundsystem auf einem LKW ging seiner Aufgabe nach, und die gesamte Radical Rave Party versuchte zum Bützliplatz zu gelangen. Das war der Punkt, an dem die Polizei dann durchdrehte. Von mehreren Seiten griff die Staatsmacht an, die Partygäste schleuderten in ihrer Wut Steine zurück. Einige Cops verschanzten sich im Hauptbahnhof, das sah dann nach Darstellung der NZZ so aus: "Fast der ganze Hauptbahnhof wurde in der Folge in einen Reiznebel eingehüllt, so dass hunderte unbescholtene Zugpassagiere in Mitleidenschaft gezogen wurden. Dies veranlasste viele Unbeteiligte, sich mit den Demonstranten zu solidarisieren und im Chor Parolen gegen die Polizei zu schreien, die auf dem von zersplitterten Schottersteinen übersäten Bahnhofsboden zwischen demolierten Streifenwagen stand." Zufällig kam gerade ein ICE aus Deutschland an, der besprüht und entglast wurde. Die Polizei schoss nun Richtung Demo und ZugpassagierInnen. Die Demo wurde in einen Stadtteil abgedrängt, wo es weniger Nobelgeschäfte gibt. Der Wasserwerfer konnte dann nicht mehr weiter, weil einige Leute Barrikaden bauten. Als die Polizei noch immer nicht aufhörte, Tränengas über die Barrikaden zu schießen, wurden diese durch einige PKW der Marken BMW und Mercedes verstärkt. Danach wurde in der reichsten Finanzmetropole der Erde noch etwas getanzt. Die Party löste sich dann langsam in Kleingruppen auf, die zur Roten Fabrik gehen wollten, wo ein Konzert stattfand. Am Weg kam es noch zu Scharmützeln, ein weiterer McDonald's wurde entglast, weitere Sachbeschädigungen folgten. Die meisten Sachbeschädigungen erfolgten sehr zielgerichtet, öfter kam es zu Diskussionen zwischen den DemonstrantInnen. Eine Tram wurde von der Polizei umstellt und die lnsassInnen wahllos festgenommen. Es kam in der Nacht Iaut NZZ zu 121 Verhaftungen, die meisten SchweizerInnen, aber auch Menschen mit französischen, spanischen, deutschen, finnischen, kanadischen, türkischen, polnischen, portugiesischen und österreichischen Pässen wurden von der Polizei verschleppt. Die meisten Festgenommenen kamen am Sonntag auf freien Fuß, einige wurden in Abschiebegewahrsam genommen. Einem Demonstranten hat die Schweizer Polizei mit Gummischrott ein Auge herausgeschossen. Für die zahlreichen schweren Verletzungen, die einige DemonstrantInnen davontrugen, ist sicher der übertriebene Einsatz von Gummischrot verantwortlich.
An zahlreichen Orten kam es kam zu Solidaritätsaktionen. Im brasilianischen Porto Alegre wurde ein Büro des Gentechmultis Monsanto verwüstet. Dort fand zeitgleich mit dem WEF in Davos das erste Weltwirtschaftsforum statt, an dem Alternativen zur Globalisierung von mehreren tausend TeilnehmerInnen diskutiert wurden.
Die Schweizer Öffentlichkeit diskutiert jetzt über den Polizeieinsatz, über die Verletzung der Grundrechte, über das WEF und seine Bedeutung und über die Konsequenzen fürs nächste Jahr.
Der berühmte "Geist von Davos" scheint tot. Wenn es nächstes Jahr wirkIich noch ein WEF-Treffen geben sollte, dann werden sicher noch mehr Leute als in diesem Jahr hinfahren, und in Davos ihrem Unmut Ausdruck verleihen! Smash capitalism!
Ergänzung TATblatt:
Einige Leute, die aus dem Gefängnis entlassen wurden, wurden ausgewiesen und erhielten zum Teil ein Landesverbot für Einreise bzw. Aufenthalt in die Schweiz. Einige Leute sitzen weiterhin in Haft. Enthaftete berichteten über Repression in den Gefängnissen.
Am Montag Abend kam es im Anschluss an eine Kundgebung gegen das WEF in Bern zu Sachbeschädigungen an einem McDonald's Restaurant und 13 Verhaftungen.
An sehr vielen Orten gab es Soliaktionen mit den AktivistInnen in der Schweiz. In Lyon wurde das schweizerische Konsulat besetzt, in Rom veranstalteten Leute ein mehrstündiges Sitting vor der Schweizer Botschaft. In Zürich wurde bei einem "Knallern" vor dem Kasernen-Gefängnis, in dem AktivistInnen inhaftiert waren, eine Person verhaftet.
siehe auch:
Umfassendste Nachrichtenübersicht über den Widerstand gegen den WEF-Gipfel in Davos:
>> www.davos.indymedia.org
aus TATblatt +159 vom 1. 2. 2001
>> TATblatt-Inhaltsverzeichnis | >> WiderstandsChronologie (Wien) |
©TATblatt, 2001
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