Nakam
Jüdische Rache an NS-Tätern
Rezension:
Jim. G. Tobias, Peter Zinke: Nakam. Jüdische Rache an NS-Tätern
hobo
Die vorerst einmal als abgeschlossen angesehenen Restitutionsverhandlungen und die in Aussicht gestellten "Entschädigungszahlungen" an Opfer des NS-Regimes haben neben revisionistischen Kommentaren allerortens leider auch den Nachteil nach sich gezogen, dass die von den Nazis verfolgten, beraubten und gequälten Menschen ein weiteres Mal eben nur in dieser Rolle vorgeführt wurden. Mit den Rezensionen von Rich Cohens Geschichte der Wilnaer PartisanInnen, Nachtmarsch (siehe TATblatt +153), und Chaika Grossmans Die Untergrundarmee (siehe TATblatt +158) wurden an dieser Stelle jedoch bereits zwei gewichtige Belege dafür vorgelegt, dass Juden und Jüdinnen nicht nur "wie die Schafe zur Schlachtbank gingen", wie es Abba Kovner in seinem Kampfaufruf vor den Wilnaer PartisanInnen 1944 formuliert hatte.
Vielmehr bildeten sich neben den schon während der Nazi-Herrschaft aktiv und passiv Widerstand leistenden Juden und Jüdinnen insbesondere nach Kriegsende auch Gruppen, die nach Vergeltung für die an JüdInnen begangenen Verbrechen suchten. Eine israelische Studie zu diesem Thema kam zu dem Schluss, dass bei achtzig Prozent der Holocaust-Überlebenden kein Gefühl so mächtig gewesen sei, wie der Wunsch nach Rache, hebräisch: Nakam.
Während die lange Zeit unter unerträglichen Bedingungen kämpfenden PartisanInnen ursprünglich den Krieg aus den Dörfern des Ostens zurück in die deutschen Eigenheime tragen wollten, sahen sich die zur Rache bereiten nach '45 allerdings in einem gewaltigen moralischen Dilemma. "Sollen deutsche Säuglinge für die Sünden Hitlers getötet werden", fragte so ein Offizier der Jewish Brigade, "als Vergeltung für unsere Säuglinge, die vergast wurden? Ist Rache an den Deutschen das oberste Gebot, ein barbarisches Bedürfnis, oder aber: Ist es nicht Schwäche?" Gleichzeitig sahen sich die Rachegedanken bald in Widerspruch zu den offiziellen Bemühungen um die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina und der Aliya, der organisierten Einwanderung überlebender europäischer Juden und Jüdinnen. Andererseits sahen die RächerInnen im Fehlen eines eigenen Staates aber gerade einen gewichtigen Grund für ihr rasches Handeln: "Wenn bereits ein Staat Israel existiert hätte, wäre den Schuldigen dort der Prozess gemacht worden, doch es gab noch keinen Staat und die Täter machten sich aus dem Staub. (...) Hätten wir gesehen, dass die Nazis hinter Gitter gewandert wären, dann hätten wir nicht handeln müssen", beschreibt ein ehemaliger Rächer deren frühe Einsicht in die deutsche und österreichische Wirklichkeit.
Diese offenbarte sich den Überlebenden auf zweierlei Weise. Oft waren sie auch nach Kriegsende dem alltäglichen Judenhass der Bevölkerung ausgesetzt, ehemalige KZ-Häftlinge galten erneut als "asozial", als Schmarotzer oder Kriminelle, vielenorts wurde das Misslingen der Vernichtung des europäischen Judentums bedauert. Und gleichzeitig wurde der Unwille heimischer Gerichtsbarkeit offenbar, Nazitäter zu verfolgen und zu bestrafen (Die Gesamtzahl der in der BRD rechtskräftig verurteilten NS-Täter liegt bei etwa 6.000, wobei der größte Teil davon mit geringen Haftstrafen davonkam.), wie auch das Unvermögen der internationalen, den Greueln der Nazis gerecht zu werden. So war der Holocaust an den europäischen JüdInnen kein eigender Anklagepunkt im Nürnberger Prozess, sondern wurde unter den "Verbrechen gegen die Menschheit" zusammengefasst, und ProzessbeobachterInnen waren konfrontiert mit dem, was Hannah Arendt nach dem Eichmann-Prozess in Israel als die "Banalität des Bösen" beschrieben hat: "Der NS-Täter, der düsteren Aura des bestialischen Herrenmenschen entkleidet, wirkt in seiner müden Alltäglichkeit nicht als Vollstrecker seiner Verbrechen. Jene verblassen, und er bleibt zurück als grauer Angestellter eines historischen Dämons, der einmal in Adolf Hitler, ein anderes Mal in den Wirren der Zeit inkarniert scheint." (J. Friedrich)
Die überlebenden JüdInnen mussten diese allzurasche Rückkehr in den Sumpf deutscher/österreichischer Alltäglichkeit als Verhöhnung ihrer Trauer und ihres Schmerzes sehen. Einige entschlossen sich, auszuführen, was vielen in den Sinn kam.
Den spektakulärsten Racheplan ersann sicherlich die Gruppe Nakam unter Federführung Abba Kovners. Der sogenannte Plan A hatte sogar noch die Vergiftung der Wasserversorgung deutscher Großstädte beinhaltet, allerdings musste dieser wegen technischer wie moralischer Umstände fallen gelassen werden. Zur Durchführung kam somit Plan B, der die Vergiftung von an die 15.000 bei Nürnberg inhaftierten SS-lern und anderen prominenten Nazis vorsah. Hierbei war aber die verwendete Menge Arsen zu knapp bemessen, sodass es aller Wahrscheinichkeit nach keine Todesopfer unter den Nazis gab.
Schon während des Krieges war in Palästina eine vierzigköpfige Gruppe vertriebener deutscher und österreichischer Juden ausgebildet worden, die unter der Bezeichnung "Deutsche Abteilung" hinter den deutschen Linien landen sollte, um Informationen über NS-Greueltaten zu sammeln und Verantwortliche dingfest zu machen. Ursprünglich waren dafür sogar hunderte von FallschirmspringerInnen vorgesehen gewesen, was allerdings von der britischen Mandatsmacht vereitelt wurde. Als die "Deutsche Abteilung" schließlich nach Europa entsandt wurde, war der Krieg jedoch vorbei. Sie nahm an keinen Kampfeinsätzen mehr teil.
Ganz im Gegensatz zur Jewish Brigade. Diese Freiwilligeneinheit der britischen Armee war ursprünglich als Unterstützungs- und Versorgungseinheit ins Leben gerufen geworden, ab Herbst 1944 nahm sie aber aktiv am Kampf gegen deutsche Einheiten in Italien teil und erwarb sich den Ruf von Kompromisslosigkeit. Diese brachte es auch mit sich, dass individuelle Racheaktionen an Nazis und deutschen Soldaten durchgeführt wurden, wie auch Vergewaltigungen deutscher Frauen. Übergriffe dieser Art wurden allerdings selbst innerhalb der Brigade rasch verurteilt und als persönliche Übergriffe demaskiert. Trotzdem sah sich die britische Militärführung veranlasst, die jüdischen Soldaten von deutschem Boden fernzuhalten, die Einheit wurde in Tarvisio nahe der österreichischen Grenze stationiert. Dort sorgte sie zuallererst für rasche Hilfe für Überlebende aus den KZs und schleuste im Rahmen der Bricha, der jüdischen Flucht aus Europa nach 1945, an die 15.000 Shoa-Üerlebende über Tarvisio nach Palästina.
Das Hauptquartier der Bricha befand sich übrigens in der Frankgasse 2 im neunten Wiener Gemeindebezirk. Die Mitglieder dieser "Wiener Gruppe" gehörten zu den KritikerInnen von einzelnen individuellen Vergeltungsaktionen. Sie forcierten vielmehr die Ausforschung von flüchtigen Nazi-Größen und waren auch an den Vorarbeiten zur späteren Festnahme Adolf Eichmanns beteiligt. Trotzdem gab es aber auch aus dem Kreis dieser Gruppe Vergeltungsaktionen an Nazis. Die meisten dieser Art werden heute jedoch Soldaten der Jewish Brigade zugeschrieben.
Manchmal wurden Nazis von mit britischen Militärpolizeiuniformen verkleideten Soldaten von Zuhause abgeholt und sogenannten "Standgerichten" übergeben. Besonders in Kärnten, Tirol und Südtirol verschwanden auf diese Weise SS-Offiziere, hochrangige Parteimitglieder und Gestapo-Beamte. Als zum Beispiel Brigadisten bei einer Fahrt über eine Alpenstraße zwei SS-Männer eines SS-Totenkopfverbandes stellen konnten, und diese Verbrechen an JüdInnen zugaben, stießen sie die beiden kurzerhand in eine Gletscherspalte. Im allgemeinen haben die improvisierten Gerichtsverhandlungen aber bis zu drei Stunden gedauert, und tatsächlich wurden auch zwei solcherart festgenommene Nazis wieder freigesprochen. Aufzeichnungen darüber gibt es allerdings nicht, und so kann keiner der beteiligten "Rächer" heute eine genaue Zahl der Hinrichtungen nennen. Die Schätzungen schwanken zwischen 100 und 300.
Über fünfzig Jahre haben die an den Vergeltungsmaßnahmen beteiligten über das Geschehene geschwiegen. Heute stehen sie ihren Taten kritisch gegenüber, und sie zeigen sich glücklich darüber, dass die Zivilbevölkerung letzendlich verschont geblieben ist. In aller Regel sind sie sich der historischen und moralischen Dimension ihres Handelns bewusst. Ollie Giveon, ein "Rächer", der auf die Auskundschaftung einer Nazi-Fluchtrute angesetzt war, liquidierte nach erfolgreicher Recherche einen stellvertretenden Leiter eines NS-Vernichtungslagers. Dessen Namen will er jedoch selbst heute nicht nennen, um dessen Nachkommen nicht zu belasten, wie er sagt.
Schlecht ist es um die Quellenlage zu den Ereignissen bestellt. Schriftliches existiert praktisch nicht, dieser Aspekt der Geschichte lebt fast ausschließlich in den Erinnerungen der Beteiligten. Jim G.Tobias und Peter Zinke haben nun für ihr Buch Nakam. Jüdische Rache an NS-Tätern diese Erinnerungen zusammengetragen, mit den spärlichen schriftlichen Quellen aus jener Zeit abgeglichen, und zu einem beeindruckenden Report über diesen bisher vernachlässigten Teil der Geschichte verdichtet.
Bereichert und nicht nur ergänzt wird das Buch durch Ausführungen über den Umgang deutscher Justiz mit NS-Tätern, eine Darstellung der wichtigsten Fluchtruten für Nazis nach 1945 und ihre Helfershelfer, sowie insbesondere durch kurze Vorstellungen einiger "Rächer" von damals im Leben danach.
Jim. G. Tobias, Peter Zinke
Nakam
Jüdische Rache an NS-Tätern
Konkret Literatur Verlag, 2000
176 Seiten, öS 219.-
aus TATblatt Nr. +162 vom 29. März 2001
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