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Ebergassing

Schafft dritte, vierte, ... Männer

 

Sogar dem Online-Redaktion des Suchdienstes Yahoo war es eine Schlagzeile wert:

Mutmaßlicher österreichischer Terrorist in Mexiko gefasst.
"Mexiko-Stadt (dpa) - Die mexikanische Polizei hat im Süden des Landes einen mutmaßlichen österreichischen Terroristen festgenommen. Wie die Generalbundesanwaltschaft von Mexiko mitteilte, handelt es sich um den 35-jährigen Bassam Al Taher. Er gehört zu den weltweit am meistgesuchten Verbrechern. Der Mann wird für einen Anschlag im österreichischen Ebergassing am 11. April 1995 sowie für fünf weitere Sprengstoffanschläge in Österreich zwischen 1988 und 1991 verantwortlich gemacht."

Tatsächlich hat eine gemischte Einheit der mexikanischen Polizei Bassam am 12.4.2001 in der Provinz Chiapas überwältigt und mit gezogenen Waffen vor den Augen seiner Angehörigen und FreundInnen abgeführt. Mittlerweile wurde er in ein Gefängnis in Mexiko-City gebracht, wo er auf das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Mexiko und Österreich bezüglich seiner Auslieferung warten muss. Mittlerweile kann er regelmäßig (mehrmals die Woche) von Angehörigen besucht werden. Ein österreichischer Anwalt und eine mexikanische Anwältin sind bereits in die Sache eingeschalten worden.

Wie alles anfing

Am 11. April 1995 wurden zwei Menschen beim Versuch einen Starkstrommasten in der Nähe der kleinen Ortschaft Ebergassing im Süden von Wien zu sprengen, getötet. Der Sprengsatz explodierte wahrscheinlich durch das starke Magnetfeld unterhalb der Hochspannungsleitung unbeabsichtigt. Es gab keinen BekennerInnenbrief und viele offene Fragen. Im Laufe der Zeit scheint sich allerdings zu bestätigen, dass die beiden Toten die Sprengladungen selbst am Mast anbringen wollten. Sie konnten nach Bekanntwerden ihrer Identität leicht dem "linken politischen Spektrum" zugeordnet werden. Viele von uns kannten sie. Das Objekt selbst stand damals im Kontext der politischen Diskussion. Eine 380-Kilovolt Leitung durch Niederösterreich, Burgenland und die Steiermark sollte errichtet werden, um billigen Atomstrom aus dem Osten in den Westen zu transferieren. Eine Reihe von Umweltinitiativen, engagierten Menschen, ExpertInnen und Bürgerinitiativen, lehnte das Projekt ab, und bereitete breiten Widerstand vor.

Das Konstrukt des Dritten Mannes

Einige Tage nach Bekanntwerden des Unfalls präsentierten Polizei, Medien und Politik die als Tatsache dargestellte Theorie, dass der "versuchte Anschlag" ohne "Dritten Mann" nicht hätte durchgeführt werden können. Bewusst wurden willkürlich die Namen Unbeteiligter kolportiert.

Dabei standen verschiedene Interessen hinter der Erschaffung des Phantoms von Ebergassing. Kurz zusammengefasst konnte
· die Polizei mit Hilfe der Suche nach dem "Dritten Mann", eine Durchleuchtung und Aufmischung der linken Szene betreiben,
· das Gespenst einer gewaltbereite linksterroristische Szene in Österreich an die Wand malen,
· Medien und FPÖ Minister Einem zusetzen, weil er des Täters nicht habhaft wurde,
· was wiederum viele Linke und Grüne bewog einen Schulterschluss mit Einem zu vollziehen.
· Der damalige Innenminister - Caspar Einem - hatte überdies dringend einen Fahndungserfolg nötig

Und so begann ein Verwirrspiel ersten Ranges. Es dürfte zum Beispiel der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit selbst gewesen sein, der Anwalt Dr. Prader bat, auf "bestimmte Personen" einzuwirken, sich "als Dritter Mann" zu stellen, um - wie Dr. Prader angibt - "den wilden Gerüchten, Spekulationen und Verdächtigungen ein Ende zu setzen...", was "aufgrund der aktuellen politischen Diskussionen rund um Ebergassing und Innenminister Dr. Einem von größter Wichtigkeit wäre".

Über den genauen Verlauf gibt es verschiedene Interpretationen. In einer Sachverhaltsdarstellung, die der Staatsanwaltschaft übermittelt wurde, heißt es jedenfalls, Dr. Prader habe gesagt, "es wäre denen gleichgültig, sie wären zufrieden, wenn sie irgendeinen bekämen..."

Ewald Stadler von der FPÖ war der erste, der damals einer breiten Öffentlichkeit einen Namen präsentierte: Bassam Al Taher. Dieser eignete sich als politischer Aktivist und Totalverweigerer mit palästinensischem Namen hervorragend um die Dinge im Fluss zu halten. Nachdem es allerdings schnell offensichtlich geworden war, dass Bassam Al Taher für die Behörde nicht auffindbar ist, und nachdem die FPÖ sich ihrer Sache anscheinend selbst plötzlich nicht mehr so sicher war, wirft Stadler Einem vor, den falschen "Dritten Mann" präsentiert zu haben, um vom wahren Täter abzulenken: "Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Unglaublich! Ein Minister versucht, sich über einen verdächtigen Mann [er meint den Journalisten Purtscheller], gegen den man bewusst nicht ermittelt, einen Ersatztäter zur Vorführung an die Öffentlichkeit zu organisieren. Und dieser Minister sorgt dann auch noch dafür, dass dieser Mann sich auch noch ins Ausland absetzen darf, damit er für die heimische Polizei nicht greifbar ist, meine Damen und Herren, Hohes Haus! Das ist ein Skandal erster Güte." Einem entgegnete Stadler hätte selbst Bassam Al Taher durch die Nennung seines Namens zur Flucht verholfen, was Stadler bestreitet...Die Medien stürzten sich jedenfalls auf die ungeprüfte Information.

Auf der Flucht

Die Medien- und Parteienhetze gegen alle, die damals etwas mit diesem "Dritten Mann" zu tun hätten haben können, war enorm. Dr. Prader etwa meinte damals: "Auf Grund der aufgeheizten Stimmung kann und werde ich als Rechtsanwalt derzeit niemandem, der in den Fall Ebergassing involviert ist, raten sich den Sicherheitsbehörden und der Justiz zu stellen, da aufgrund möglicher medialer Vorverurteilung ein faires Verfahren und eine angemessene Strafe zumindest fraglich sein könnte...." Es ist Bassam Al Taher nicht zu verdenken, sich in dieser Situation aus Österreich zurückgezogen zu haben. In den folgenden Jahren bat er nach Kontaktaufnahme mit österreichischen Behörden mehrfach um freies Geleit. Es wurde von Seiten Österreichs stets abgelehnt. Stattdessen wurde eine ganze Serie von Anschlägen Al Taher zugeschrieben. So wurde er auf eine Liste der Interpol als einer der 10 meistgesuchten Menschen der Welt gesetzt. In der 1995 fertig gestellten Strafanzeige gegen Bassam findet sich kein einziger Sachbeweis, keine einzige Zeugenaussage, die ihn mit den ihm zur Last gelegten Taten in Verbindung bringt.

Nachdem vor zwei Jahren ein Artikel in News eine Spur nach Mexiko legt, wurde Bassams Leben auf der Flucht nun tatsächlich dort durch die oben geschilderte Verhaftung beendet. Ob die mexikanischen Behörden der Auslieferung Bassams zustimmen, ist derzeit noch ungewiss; die Entscheidung kann bis zu einem Jahr dauern. Eventuell erscheint sogar eine Abschiebung wahrscheinlicher.

siehe auch:

>>TATblatt-Originaltextservice-Dokumentation: Ebergassing. Eine Untersuchung

aus TATblatt Nr. +164 vom 26. April 2001

 
>>TATblatt-Inhaltsverzeichnis

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