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Wunderwelt der Technik Folge 4

Propaganda

Unter Technik ist nicht nur eine solche in materiellem Sinn zu verstehen, also in Form eines technischen Geräts. Soziale Techniken kontrollieren in weitaus stärkerem Ausmaß als technische Hilfsmittel. Wie sonst könnte eine kleine Gruppe von PolizistInnen mit einigen Gummiwürsten größere Gruppen sozial kontrollieren.
Doch selbst das sehr unmittelbare Beispiel des gummiwurstbewehrten Polizisten ist noch greifbar im Vergleich zu einer der effizientesten Kontrolltechniken, über die Machthabende einer Gesellschaft verfügen, nämlich der Propaganda. Deren Bedeutung wird meist dann sichtbar, wenn der sozialen Technik der Propaganda ein Gegenpol entgegengesetzt wird, die Gegenpropaganda. Um Gegenpropaganda erfolgreich einsetzen zu können, muß die soziale Technik der GegenpropagandistInnen technisch höherstehend sein.
Jedes Herrschaftssystem bedient sich der Propaganda, um Konsens zu erzeugen. Die dabei eingesetzte soziale Technik kann sehr plump sein, was jedoch relativ ist. Während die Hammer-und-Sichel-Durchhalteparolen der stalinistischen Länder bei Außenstehenden meist Gelächter oder Ärger hervorriefen, konnte die Propaganda in der UdSSR selbst durchaus auf Erfolg verweisen. Umgekehrt gibt es in Westeuropa kein vergleichbares Land zu Österreich, in dem ein Massenkonsens derartig autoritär auf passiver Zustimmung hergestellt werden konnte, der in den Gehirnen den Begriff Sozialpartnerschaft so fest einzementierte, daß BeobachterInnen aus anderen Ländern nur ungläubig den Kopf schütteln können. Wie erfolgreich die Propaganda der "Insel der Seligen" war, zeigen die hinter dem Irak höchste Parteibuchdichte der Welt und die geringste Streikhäufigkeit in Europa.
Propaganda ist ein alltägliches Phänomen, das durch Terminologie propagandistisch verschleiert wird. Da regionale und nationale Unterschiede zunehmend durch eine weltweite Ordnung, die alles zur Ware reduziert, ersetzt werden, wollen wir uns die Technik der Warenpropaganda, verharmlost als Werbung, ansehen. Plakatwände sind nicht nur eines der omnipräsenten Mittel dieser Technik, sondern auch ein beliebtes Angriffsziel von DissidentInnen und somit ein geeignetes Studienobjekt.
Plakate sind offensichtlich ein Machtinstrument. In der absolutistischen SPÖ-Bastion Wien gibt es Plakatwände ohne Zahl, mehrere tausend Kilometer, vergleichbar mit keiner anderen Stadt in Europa, eifersüchtig und fast monopolistisch verwaltet von der Gemeinde Wien durch die Firma Gewista. Dafür gibt es in Österreich keine Plakatwerbung an Autobahnen, weil Großplakate nachweislich durch Ablenkungseffekte die Unfallhäufigkeit steigern. In Österreich gibt es keine Konzerne, die es notwendig hätten ihre Marktmacht durch Propaganda zu erhöhen. Der Staat regelt das für sie. In den USA setzten die Konzerne jedoch entgegen diesen auch dort bekannten Untersuchungen Plakatwerbung an den Autobahnen durch.
Sind Plakate nicht nur in Zeiten von Wahlen Propagandainstrumente zur Absicherung des herrschenden Systems bzw. auch zur Eroberung von sozialen Räumen, so sind sie in sozial unruhigen Zeiten auch eines der primären Angriffsziele.
 
 

 

Verfremdung und Umdeutung

Dem Plakat als Mittel sozialer Kontrolltechnik wird, falls die Kontrolle von oben nachläßt oder versagt, ebenfalls technisch zu Leibe gerückt. Eine der ersten Gegenmaßnahmen ist durch Verfremdung die gewünschte Botschaft zu neutralisieren oder sogar in ihr Gegenteil zu verkehren. Der übliche Angriff erfolgt mittels Schablonen, Zusatzplakaten, u.ä. Die Grenzen zur direkten Zerstörung sind fließend. Durch die Verfremdung werden die Machtverhältnisse entlarvt und verdeutlicht. International bekannteste VerfremderInnen sind die seit den 80e Jahren tätigen BUGA UP-AktivistInnen in Australien, deren Ziel umweltzerstörende Firmen sind und die mit den Veränderungen der Plakate auf deren Tätigkeiten hinweisen. Von BUGA UP stammt die Hilfskonstruktion zum Besprühen von Plakaten in großer Höhe. Dabei wird die Sprühdose an einem längeren Stock befestigt und der Knopf der Dose mit einem kleinen Hebel, der durch einen Seilzug betätigt wird, heruntergedrückt, womit in mehren Meter Höhe ohne Leiter gesprüht werden kann. Alles was dafür benötigt wird ist ein Stiel, ein paar Winkeleisen, ein Hebel und ein Seil.
Als Vorlage sind Schablonen sehr beliebt, die aus Linoleum gemacht werden. Ausgeschnitten wird mit einem Teppichmesser. Damit sich die Schablone nicht wirft, was beim Malen häßliche Flächen gibt, sollte sie flach, etwa zwischen zwei Holzplatten geklemmt, aufbewahrt werden. Bei Gebrauch von Schablonen werden entweder Sprühdosen oder schnelltrocknende Farbe eingesetzt, da die Schablone am Beginn der Verwendung immer trocken sein sollte.

Fortgeschrittene Techniken

In den USA wurden erstmals 1971 Personen festgenommen und verurteilt, die 35 Plakatwände umgesägt hatten. Zum ersten Mal gesägt wurde allerdings schon 1958, als anonym gebliebene "billboarders" (Plakatierer) in Santa Fe, New Mexico, Plakatwände umlegten. Die "Billboard Bandits" brachten es 1970 in Michigan auf immerhin 200 Plakatwände. Daraus entwickelte sich ein Kult, der radikale Konsumkritik mit Ökoaktivismus verband und ganze Landstriche von Propagandawänden befreite. Die "Americans for Scenic Environment" ersetzten ein gefälltes Plakat durch einen an Ort und Stelle gepflanzten Baum. In den Jahren 1976 und 1977 sägte das "Vigilante Sign Committee" in der Umgebung von Jackson, Wyoming, im gesamten Teton County ausnahmslos jedes Werbeplakat an jeder Autobahn um.

Die Vorgangsweise ist über die Jahre gleich geblieben: Es sind mindestens drei Personen nötig, d.h. ein/e Fahrerin und zwei Sägende. Bei vier Personen können sich die Sägenden bei der Arbeit abwechseln, bei fünf Personen sägen schon zwei Teams mit dem Vorteil größerer Effektivität.
An Werkzeug werden eine Bügelsäge oder eine große Holzfällersäge, als Hilfsmittel eine Axt und zwei Seile benötigt. Die Seile werden von vorne über das Plakat geworfen und an der Hinterseite befestigt. Dann werden in die äußeren Pfosten Keile gesägt, wobei die Keile nach vorne zeigen. Die Pfosten werden nicht durchgesägt.
Beim Fällen der Plakatwand weht der Wind im Idealfall von der Hinterseite. Die Seile werden von zwei Personen, die vorne neben der zu fallenden Wand stehen, angezogen bis die (Rest)pfosten umknicken und die Wand nach vorne fällt.
Von der Verwendung von Kettensägen wird wegen des Lärms abgeraten, ebenso werden kaum Schweißbrenner verwendet werden können um Metallpfosten zu zerstören. Im übrigen wird von "billboard bandits" empfohlen, nach dem Fällen die Plakatfläche mit einer Axt zu durchlöchern da die Wand sonst einfach wieder aufgestellt wird.

Die Farbbombe

Farbbomben werden häufig verwendet, weil die Methode simpel ist. Dazu nötig sind lediglich gewöhnlicher Lack, Verdünner und dünne Plastikbeutel. Zum Transport ist eine einfach Schachtel mit unterteilten Kammern praktisch. In einem leeren Getränkepackerl werden Farbe und Verdünner 50:50 gemischt und in die Säckchen gefüllt, wobei das Säckchen nicht mehr als ein Drittel gefüllt wird und als Verschluß kein Draht verwendet wird. Dann werden sie in die Abteile des Transportkartons sortiert.
Vor Ort werden solche Farbbomben auf Autos, Plakatwände oder auf Gebäudemauern geworfen. Der Verdünner sorgt für maximales Verspritzen des Lacks. Beim Werfen wissen WiederholungstäterInnen, daß sie nicht frontal sondern schräg von der Seite werfen müssen, um keine Spritzer abzubekommen.
In Fällen, in denen Farbbeutel illegal eingesetzt werden, etwa um Firmen zu schädigen, berichtet die Polizei davon, daß die TäterInnen schon beim Abfüllen, aber auch beim Werfen Handschuhe tragen, weshalb keine Fingerabdrücke festgestellt werden können.
Erfahrene FarbbomberInnen wie BUGA UP empfehlen auch gefüllte Christbaumkugeln oder ausgeblasene Eier. Selbst High-Tech-Einsatz ist möglich: Ein Feuerlöscher kann mit einer Farben-Verdünner-Mischung befüllt werden und ermöglicht großflächige Arbeiten. Erfindungsreiche Menschen haben auch schon gefüllte Luftballons eingesetzt. Von der Verwendung von Kondomen muß jedoch abgeraten werden, da diese dazu konzipiert sind, nicht zu platzen.

Extremtechniken

In der Praxis gegen propagandistische Gehirnwäsche greifen GegnerInnen auch zu vehementen Methoden. Die Industrie hat die Unsitte entwickelt, Plakatwände nächtlich zu beleuchten, um dem konsumerschöpften Geist keine Pause zu gönnen. Diese Lichter benötigen umweltbelastend erzeugten Strom, eine Verschwendung ersten Ranges. Dazu befindet sich häufig ein kleines Kästchen am oder beim Plakat, das die Stromzufuhr ermöglicht. Als Brutalmethode regiert ein Vorschlaghammer, der dem Treiben ein Ende setzt, wobei die eventuelle Möglichkeit besteht, einen elektrischen Schlag abzubekommen.
Eine chemische Lösung des Problems wählen AktivistInnen dadurch, indem sie Schwimmbadchlormittel (HTH) in Pulverform auf oder in das Kästchen schütten und dann Haargel daraufgeben. Die aktive Substanz heißt Calcium-Hypochlorit. Vorsicht vor den Chlordämpfen und nicht draufgreifen. Die Mischung ist hochgiftig und schwer aggressiv, zerstört also alles. Es sind nur geringe Mengen nötig.
Als technisch-chemischer Exkurs sei nur erwähnt, daß zwei Eßlöffel HTH plus Haargel (Menge eines ca. zwei Zentimeter gefüllten Kuverts) durch Selbstentzündung in etwa fünf Minuten einen chemischen Zeitzünder ergeben.

Brennende Botschaften

Womit wir bei einer Technik fundamentalradikaler Konsumkritik wären. Dabei werden die Pfosten schlicht mit Benzin oder Benzin-Diesel-Mischung oder sonstigen gängigen brennbaren Flüssigkeiten bekleckert. Um Selbstgefährdung auszuschließen bedienen sich solche PlaktwandfeindInnen einer der vielen Methoden zur Zeitverzögerung.

Eine neue Gesellschaft

All dies könnte neue kreative Möglichkeiten von Kommunikation auf Basis innovativer Kulturtechniken eröffnen. Wir hoffen damit erneut gezeigt zu haben, daß solche Vorgangsweisen zu einer demokratischeren Gesellschaft führen könnten, würden sie nur von genügend Menschen aufgegriffen werden. Selbstverständlich sind für manche Kulturtechniken zunächst Gesetzesänderungen nötig, um deren praktische Verwirklichung erst zu ermöglichen. Dieser Beitrag sollte daher auch als Gesetzgebungsinitiative für größere kulturelle Toleranz verstanden werden.

Literatur:
Als Grundlage dienten das bereits mehrfach erwähnte Handbuch Ecodefense, sowie das "Handbuch der Kommunikationsguerilla", erschienen beim VLA/Schwarze Risse/Rote Straße. Ecodefense ist mehr praktisch orientiert, die Kommunikationsguerilla verfügt über mehr ideologischen Überbau, aber auch über eine Fülle von Beispielen.
Weitere praktische Anleitungen sind zudem über die Internetseiten der Animal Liberation Front (www.animalliberation.net) und der britischen EF!-Gruppen (www.eco-action.org) zu erfahren.
 

aus TATblatt Nr. +165 vom 10. Mai 2001
 
 
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