Sound of Music-Tour 2001
WEF und Polizei terrorisieren Salzburg
Mehr als 4000 PolizistInnen versammelten sich Anfang Juni in Salzburg, um die potemkinsche Mozartkugelmetropole zu Göteborg zu machen: medial gut vorbereitet wartete Österreich auf den finalen Todesschuss für DemonstrantInnen und sonstige GegnerInnen des WEF-Kongresses. Einige vom Kulturverein Sägefisch berichten, warum die Erwartungen der KronenzeitungsleserInnen nicht erfüllt werden konnten...
Ein Demobericht von Leuten des KV Sägefisch
Im Vorfeld der Anti-WEF-Kundgebung setzte eine wahre Medienhetze ein.
Die schweren Ausschreitungen in Göteborg (150 Millionen öS Sachschaden,
die Polizei schoss einem Demonstranten in den Rücken) führten
dazu, dass auch in Salzburg mit Ausschreitungen gerechnet wurde. Zudem
war so der überdimensionierte Polizeieinsatz (4.000 BeamtInnen, Kontrollen
in der gesamten Stadt, Straßensperren, Grenzkontrollen etc.) leichter
zu rechtfertigen, obwohl den Sicherheitsbehörden schon im Vorhinein
klar sein musste, dass der Ansturm "tausender Chaoten" auf Salzburg ausbleiben
wird. Denn der größte Teil der GlobalisierungsgegnerInnen mobilisierte
erst gar nicht nach Salzburg - er wird am 20.7. bei den Protesten gegen
den G8-Gipfel in Genua anzutreffen sein. Trotzdem wurde für Salzburg
ein Demonstrationsverbot erlassen, lediglich eine Standkundgebung am Bahnhof
war genehmigt worden.
Die Höhepunkte der Berichterstattung reichten dann auch von "2.000 Chaoten" (News) über die Ergüsse der Kronen-Zeitung, deren RedakteurInnen den verzapften Schwachsinn mal selber ausprobieren sollten (Anarchos mit benzingetränkten T-Shirts, die sie auf Polizisten schleudern wollen - viel Spaß beim Anzünden!). Und so wurde auch nach dem 1.7. munter weitergelogen (Krone: 200 Chaoten liefern der Polizei brutale Straßenschlacht), die Berichterstattung in den österreichischen Medien war teilweise komplett übertrieben. Außer kleineren Auseinandersetzungen kam es nämlich zu keinerlei Krawallen.
Erste Proteste am Freitag und Samstag
Bereits am Freitag und Samstag war es zu spontanen Demonstrationen gekommen, Straßentheater und die Besetzung eines Mc Donalds durch die Sozialistische Jugend bildeten die ersten Höhepunkte der Gegenaktivitäten. Die Polizei ließ die friedlichen Proteste nach Perlustrierungen und Personalienaufnahmen zu - das Kräfteverhältnis in der Stadt hätte eine Verhinderung aller Proteste problemlos erlaubt (es herrschte zu dem Zeitpunkt Demonstrationsverbot!). Am Samstag hielt dann die Gruppe ATTAC einen Gegengipfel ab, der Alternativvorschläge zur Globalisierung behandeln sollte und durch seine prominente Besetzung (GewerkschafterInnen ...) auch mediale Aufmerksamkeit erhielt. Am Montagabend trafen sich schließlich bürgerliche WEF-GegnerInnen und WEF-VertreterInnen zu einer Diskussion. Diese war vonseiten der WEF-VertreterInnen durch NLP-Propaganda gekennzeichnet und wurde von WEF-KritikerInnen als "Farce" bezeichnet.
Die Demonstration
Doch zum Sonntag: Am Sonntag trafen sich ab 15 Uhr GlobalisierungsgegnerInnen auf dem Bahnhofsvorplatz in Salzburg. Die von der KPÖ angemeldete Kundgebung war erst in der Woche davor genehmigt worden. Rund 1.500 WEF-KritikerInnen trafen sich hier, Musik wurde aufgelegt und Reden gehalten. Gegen 15 Uhr 45 formierte sich um die Wiener "Linkswende" ein Demonstrationszug, durchbrach Polizeiabsperrungen und setzte sich in Richtung Kongresszentrum in Bewegung. Dabei hielt sich die Polizei vornehmlich zurück und verzichtete auf die Einkesselung der Demonstration, die mehrfach möglich gewesen wäre. Während es bei der ersten Bahnunterführung aufgrund mehrerer Polizeireihen mit Tretgittern unmöglich war, durchzubrechen, gelang später bei einer unbewachten Bahnunterführung der Übertritt in die Sperrzone. Dabei kam es zu kleineren Rangeleien, eine Mülltonne wurde in Brand gesetzt (und von anderen DemonstrantInnen wieder gelöscht) und die Scheibe eines Polizeibusses eingeschlagen. Das war übrigens - abgesehen von umgeschmissenen Mülltonnen etc. - die einzige Sachbeschädigung auf der ganzen Demonstration.
Die Demonstration kam in Folge des "Katz-und-Maus-Spieles" mit der Polizei bis auf Sichtweite an das Kongresszentrum heran. Dort stoppte eine massive Polizeisperre die Demonstration, es flogen die ersten Gegenstände, Schlagstöcke wurden eingesetzt. Am Rand dieser Sperre wurde eine kleinere Gruppe der Einsatzeinheit von DemonstrantInnen halb eingekesselt und musste sich zurückziehen. Diese Gruppe von etwa 20 BeamtInnen zeigte sich in der Folge mehrfach überfordert (der Einsatzleiter machte seine BeamtInnen ständig zur Sau). Sie begleitete den Demonstrationszug (der sich von der Sperre wieder löste und die andere Richtung abziehen musste) seitlich und war später der Grund für die Eskalation. Doch vorerst ging die Demonstration weiter, mehrfach kam es an Polizeisperren zu kleineren Auseinandersetzungen, die sich wie folgt gestalteten: links und rechts stellten sich etwa je 20 JournalistInnen auf, in der Mitte griffen zehn Vermummte die Polizei mit Fahnenstangen an, der Rest der Demo hielt sich vornehmlich zurück - und die Krone etc. hatten die Fotos für ihre Gewaltstorys. Zu richtigen Durchbruchsversuchen oder gar Straßenschlachten kam es jedenfalls nicht.
Die Eskalation
Die Eskalation der Situation, die schließlich zur Einkesselung von über 900 DemonstrantInnen führte, spielte sich wie folgt ab: Jene Gruppe von 20 GendarmeriebeamtInnen, die die Demo seitlich begleitete, wurde an einer Hausecke durch die schmaler werdende Straße zwischen den beiden Seitentransparenten und der Hauswand eingeengt und bahnte sich den Weg mit Hilfe ihrer Schilde und Rempeleien. Daraufhin heizte sich die Stimmung auf, erste Getränkedosen flogen in Richtung der BeamtInnen. Diese zogen sich langsam seitlich gehend zurück. Lediglich zwei Beamten der Gruppe sorgten mit einem Schlagstockeinsatz dafür, dass sich der Abstand zwischen den Transparenten und den BeamtInnen vergrößerte. DemonstrantInnen reagierten darauf mit Wurfgeschossen (keine Steine), die Stimmung heizte sich auf und führte schließlich zu ersten schwereren Auseinandersetzungen. Dabei schlugen die BeamtInnen mit Schilden und Schlagstöcken auf die transparenttragenden DemonstrantInnen ein, diese antworteten mit Fahnenstangen, Fußtritten und dem Zurückdrängen der Polizei. Den BeamtInnen blieb kein anderer Ausweg mehr, als sich langsam rückwärts gehend die Wolf-Dietrich-Straße zurückzuziehen. Ein Teil der Demonstration bog daraufhin ebenfalls in die Straße ein und drängte die Polizei zurück, anstatt sich nicht weiter um die kleine Gruppe zu kümmern. Das ermöglichte es der Einsatzleitung, ausreichend Polizeikräfte für einen Kessel zusammenzuziehen, die Demonstration wurde eingekesselt und in die Wolf-Dietrich-Straße gedrängt. Dies ging ohne größere Auseinandersetzungen vor sich, ein Ausbruch aus dem Kessel war wegen der großen Übermacht der Polizei und dem Aufkreuzen von Hundestaffeln unmöglich.
Hoch die Internationale Solidarität?
Lediglich die Sozialistische Jugend (SJ) erreichte mit einer unsolidarischen Glanzleistung ihren Rückzug aus dem Kessel: Durch separate Verhandlungen mit der Polizeiführung verhandelten die oberrevolutionären TrotzkistInnen um die Zeitung "Der Funke" die Freilassung des SJ-Blocks nach wenigen Minuten Einkesselung. Als sich einzelne DemonstrantInnen in den Block einhaken wollten, wurden sie einfach zu Seite geschubst, nur wenige Personen konnten sich einreihen. Dieses unsolidarische Verhalten disqualifiziert die Sozialistische Jugend, die per "Funke" verbreitete Rechtfertigung ist inakzeptabel (so nach dem Motto: wären alle DemonstrantInnen bei der SJ organisiert, hätte es das nicht gegeben. Außerdem hätten sie die Verantwortung für viele junge AktivistInnen in ihrem Block gehabt). Denn im Grunde genommen geht es den SJ-Trotzkis ausschließlich um "ihre Organisation", was mit dem Rest der DemonstrantInnen passiert, ist den autoritären SJ-Kadern völlig egal. In Zukunft sollte es dann auch von unserer Seite aus so gehandhabt werden, dass die von den "Autonomen" auf die Beine gestellte Rechtshilfe und die Demo-SanitäterInnen für die "Sozialistische" Jugend eben nicht zur Verfügung steht. Sollen die SJ-Kader sich doch selbst verarzten und sich selbst aus dem Knast holen! Nee, Solidarität sieht anders aus! Macht in Zukunft eure eigene Demo, denn euer "Hoch die Internationale Solidarität!" ist unter solchen unsolidarischen Umständen nur eine lächerliche Farce. Die Eingekesselten jedenfalls waren vom Verhalten der SJ schwer enttäuscht.
Bereits am Samstag hatte sich die Sozialistische Jugend ziemlich unbeliebt gemacht: Die Nachricht von der Besetzung eines MC Donalds durch die SJ erreichte auch den ATTAC-Gegengipfel, woraufhin sich von dort eine spontane Demonstration mit etwa 100 AktivistInnen in Richtung Mc Donalds auf den Weg machte. Diese Spontandemo musste sich den Weg mittels Sitzblockaden, Verhandlungen etc. durch Polizeisperren zum Mc Donalds bahnen und war schließlich nur durch eine Polizeikette von der SJ-Demo entfernt. Diese hatte inzwischen im Mc Donalds Referate abgehalten, die Aktion war mit dem Filialleiter so vor Ort ausgemacht worden (kurzzeitige friedliche Besetzung). Doch statt dass es nun zur Vereinigung der beiden Demos gekommen wäre, zog die SJ einfach ab. Die anderen DemonstrantInnen kamen sich da ziemlich verarscht vor...
Der Kessel wird angegriffen
Im Polizeikessel selbst war die Stimmung friedlich und gut, Leute trommelten und tanzten, immer wieder wurden Sprechchöre ("Lasst uns frei!") gerufen. AnwohnerInnen erklärten sich mit uns solidarisch, brachten Wasser und Essen und jemand hängte sogar ein Transparent aus dem Fenster ("Lasst sie frei!"). Die Polizei versprach mehrfach, dass wir den Kessel bald verlassen können, hielt sich aber trotz zusagen der DemonstrantInnen (alle Fahnenstöcke wurden abgegeben etc.) an keine der Abmachungen. Den Höhepunkt der Verarschungstaktik der Polizei stellte die Zusage dar, wer freiwillig und einzeln des Kessel verlasse, können nach einer Personalienaufnahme gehen: jene Handvoll Personen, die sich auf das Polizeiangebot einließ, wurde komplett verhaftet. Das bestärkte die eingekesselten DemonstrantInnen nur noch, den Kessel entweder gemeinsam oder gar nicht zu verlassen.
Gegen neun Uhr eskalierte die Situation noch einmal. Die Schuld an dieser Eskalation liegt ausschließlich bei der Polizei. Zu Gewalttätigkeiten durch DemonstrantInnen kam es nämlich nicht, was durch Videoaufnahmen deutlich belegt ist. Zuerst drängte die Polizei in den Kessel und griff sich am Rande mehrere DemonstrantInnen heraus. Dies wurde von den Eingekesselten ausschließlich mit Sprechchören beantwortet, die Situation konnte wieder beruhigt werden. Doch nur wenige Minuten darauf startete die Polizei eine brutale Attacke, in deren Verlauf mehrere Personen verletzt wurden. Ein einzelner Demonstrant wollte dabei einem Polizisten einen Schuh übergeben, den eine Verhaftete verloren hatte (der Polizist deute ihm auch mit der Hand, dass er ihm den Schuh geben soll). Im selben Moment, in dem der Demonstrant dem Polizisten den Schuh übergab, wurde er von einem weiteren Beamten zu Boden gerissen und von mehreren Polizisten zusammengeschlagen. Der Rest der Polizeikette begann zeitgleich wie blöd auf die Eingekesselten einzuschlagen. Lediglich einige türkische KommunistInnen wehrten sich dagegen mit Fahnenstangen, die Situation beruhigte sich nach zwei Minuten wieder. Zurück blieben mehrere durch den Knüppeleinsatz verletzte DemonstrantInnen. Insgesamt mussten im Verlauf der Demo 13 DemonstrantInnen von den autonomen DemosanitäterInnen verarztet werden. Sie hatten durch den Schlagstockeinsatz Platzwunden und Prellungen erlitten, schwerere Verletzungen gab es keine.
Als Begründung für den stundelangen Kessel musste ein "schwer verletzter Polizist" herhalten. Das [auch von der Polizei selbst bald dementierte; Anm. Tb] Märchen über den Polizisten mit dem "Schädel-Hirn-Trauma" wurde in allen Medien verbreitet, teilweise auch noch Tage danach. Dort stand bereits fest, dass sich der Gendarm ein leichte Gehirnerschütterung zugezogen hatte - er stand am Montag bereits wieder im Dienst! Der Kessel wurde schließlich nach langen und zähen Verhandlungen - in die sich auch der Salzburger SPÖ-Bürgermeister einschaltete - mit einem Kompromiss aufgelöst. Gerade bei den Verhandlungen hätte die SJ als SPÖ-Jugendorganisation wertvolle Vermittlungsdienste leisten können, anstatt den Kessel vorzeitig zu verlassen. Der Kompromiss sah vor, dass die DemonstrantInnen in 10er-Reihen in ein Polizeispalier laufen sollten. Dort wurden sie von der Polizei gefilmt, die sich auch einzelne Leute herausgriff und deren Personalien aufnahm. Verhaftet wurde allerdings niemand, nach der Personalienaufnahme kamen alle wieder frei. Schließlich zog die Demonstration von einem Polizeispalier begleitet zum Bahnhof, wo ein Sonderzug nach Wien bereitstand. Dieser wurde auch von vielen DemonstrantInnen genützt, sodass es am Montag zu keinen weiteren Aktionen mehr kam. Insgesamt kam es zu 13 Verhaftungen (u.a. von Grünen Gemeinderäten...), bis zum Morgen des nächsten Tages waren allerdings alle Verhafteten wieder frei. Der Versuch eines Straßenfestes am Montag musste nach der Erlaubnis vom Einsatzleiter vor Ort durch "Druck von Oben" abgebrochen werden. Lediglich am Vorplatz des KPÖ-Hauses kam es zu einem Straßenfest, das bald von Kindern aus den umliegenden Straßenzügen erobert wurde.
Die Kosten
Insgesamt hat der Polizeieinsatz etwa 80 Millionen öS gekostet,
von denen das WEF über 10% bezahlen wird müssen. Das "Schengener
Abkommen" wurde außer Kraft gesetzt, die Grenzkontrollen führten
zu kilometerlangen Staus (über 100 Personen wurden an den Grenzen
zurückgewiesen). Salzburg selbst war ein einziges Staugebiet, PassantInnen
und TouristInnen mussten sich an jeder Ecke kontrollieren lassen, Teile
der Innenstadt waren Sperrgebiet. Die eingesetzten PolizeibeamtInnen und
besonders die Wiener WEGA waren für Salzburg mit komplett neuer Ausrüstung
im Millionenwert eingedeckt worden. Und das alles wegen 1500 DemonstrantInnen.
Die kleinen Scharmützel rechtfertigen diesen Ausnahmezustand jedenfalls
nicht!
Das WEF wird die nächsten fünf Jahre wieder in Salzburg stattfinden.
Die Verantwortlichen hoffen, dass es in Zukunft zu keinen millionenteuren
Polizeieinsätzen kommen wird. Da können sie lange warten...
...denn nächstes Jahr kommen wir wieder! Smash the WEF!
aus TATblatt Nr. +170 vom 19. Juli 2001 (22.Jahrestag
der Revolution in Nicaragua)
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