Wir haben diesen Artikel von Indymedia übernommen, weil er relevante Informationen bringt, die sonst so nicht bei uns zu lesen waren. Insbesondere die Übersetzungen samt Interpretationshilfen und Anmerkungen fanden wir wert, abgedruckt zu werden. Allerdings mussten wir den Originalartikel radikal kürzen, da er in seiner vollen Form überhaupt nicht auf einer tragbaren Linie liegt!
Ein nicht ganz stimmiges Gespräch.
Übersetzung des Originaltexts des (angeblich abgehörten) Gesprächs zwischen zwei österreichischen Inhaftierten der Volxtheaterkarawane.
Hier ist die Übersetzung des Originals des Gesprächs, daß zwei Österreicher angeblich im Knast von San Giuliani geführt haben sollen (1). Dieses im Verlauf einer regelrechten Desinformations- und Umdeutungskette sukzessive immer stärker veränderte und verzerrte Gebilde wurde im "Original" am 18. August in der römischen Tageszeitung "Il Messagero" veröffentlicht. Der Messagero ist in etwa mit der deutschen "Welt" zu vergleichen [...].
Aug und Ohr
Der Text berichtet zuerst davon, daß zwei einander bestätigen, daß sie anderen davon berichtet hatten, daß sie geschlagen wurden. Sie finden es ganz offen positiv, daß das in die Presse kommt. Daß die Frauen der Gruppe dies ebenfalls getan haben, war einem von einem Dritten mitgeteilt worden. Einer ist erschreckt, wie er von den sexistischen Belästigungen hört. Das ist der Inhalt des Gesprächs. An keinem Ort dieses Textes findet sich ein Hinweis, eine Bemerkung, eine Bekundung darüber, daß Vorwürfe erfunden worden seien.
Ein einziger Satz "speriamo che non ci scoprano" (hoffentlich kommen sie uns nicht drauf) steht auffallend isoliert, wie anderwärts bereits (1) bemerkt wurde, im Kontext. Ein logisch stringenter Zusammenhang dieses Satzes mit dem Kontext ist nicht gegeben. Es bestehen unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten des Satzes (4). Die deutschsprachige Transkription des deutschsprachigen Originals ist nicht bekannt, auch der Tonfall wird nirgends interpretiert. Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß es sich dabei überhaupt um ein künstliches Gebilde mit dem Zweck der politischen Verleumdung handelt, es kann aber auch nicht bewiesen werden.
Ein starker Hinweis auf einen im Grunde hinterhältigen und dolosen Grundcharakter dieses Produkts konzentriert sich in einer eindeutig falschen Zusammenfassung des Gespräches in der Titelzeile und in der tendenziösen, nicht belegten Zusammenfassung im Vorspann. Im Titel heißt es "Schiaffi e abusi, è vero?" ("Ohrfeigen und Mißhandlungen, nicht?"). Ein Satz, der im Text so nicht vorkommt; das è vero, das im Text die Bedeutung von "Was?, Tatsächlich? hat, wird in diesen künstlich geprägten Satz hinein entlehnt und an "Ohrfeigen" und "Mißhandlungen" angehängt, sodaß ein Gebilde entsteht, dessen Tonfall eher einer Äußerung entspricht, die mit "Ohrfeigen und Mißhandlungen, samma uns do einig?" zu umschreiben wäre. Diese Bedeutung teilt sich mittels des suggerierten Tonfalls dem italienischen Leser mit. Der Titel also lügt bereits den Inhalt um.
Der zweite Teil des Titels "... wir müssen halt einen Wirbel machen!" kann aber auch wörtlich übersetzt/interpretiert werden, und die Ambivalenz ist, wie wir meinen, intendiert, und dann hieße er: Es reicht aus, wenn wir Lärm schlagen! Als ob es den Leuten in erster Linie darum ginge. Und das soll mitsuggeriert werden. Es wird überhaupt nur mitsuggeriert!
Schließlich wird in der Titelkennzeichnung, durch den Text nicht belegt, behauptet, die Vorwürfe seien "zum Teil zurückgenommen", zurückgestuft (ridemensionate) worden.
Das Allerärgste findet sich im Vorspann, wo formuliert wird, die Vorwürfe könnten "übertrieben oder sogar bloß erfunden" worden sein. Das Ganze wird aber in der Schwebe gehalten durch die Anmerkung, "einige Bemerkungen" lägen diese Vermutung nahe. Weder die Übertreibung, noch auch die Erfindung geht irgendwo aus dem Text hervor, es handelt sich um eine pure Behauptung.
In verkrüppelter Form gelangt das ganze dann in die Repubblica und schließlich in die österreichische Presse, und schließlich - wie könnte es auch anders sein!" - in die Kronenzeitung.
Das ist eine exemplarisches zwischenstaatliches Desinformationsmanöver. Alles deutet darauf hin! Im Angesicht der systematischen Bedeutungsverzerrung von einer Meldung zur anderen erscheint uns der Ersttext, den wir hier vorlegen, nicht unwichtig.
Es ist auf diese Weise möglich gewesen, einen Text, der kaum Indizien enthält - ganz abgesehen davon, daß es keine Beweise dafür gibt, daß ein solches Gespräch stattgefunden hat! - zu einem Instrument der Stigmatisierung und Kriminalisierung umzufunktionalisieren.
Der Text
"Ohrfeigen und Mißhandlungen, nicht? Ich weiß nicht, wir müssen halt einen Wirbel machen!"
Zwei Deutsche (2) im Gespräch in ihrer Gefängniszelle in San Giuliano; die Behauptungen, es seien gewalttätige Übergriffe durch Carabinieri erfolgt, werden zum Teil zurückgenommen.
Gefängnis, Alessandria, Samstag, 11. August
Die Carabinieri des Ros (3) haben in einer Zelle "Wanzen" installiert. Dort sind einige der Jugendlichen in Haft, die zusammen mit der Gruppe der Wanderschauspieler verhaftet wurden. Mit Hilfe der Vorrichtung konnten einige Bemerkungen aufgenommen werden, die die Vermutung nahelegen, daß einige der mutmaßlichen Übergriffe in der Carabinieri-Kaserne San Giuliano in Genua unmittelbar nach der Verhaftung während des T-8-Treffens möglicherweise übertrieben oder sogar bloß erfunden wurden.
Das Gespräch wurde übersetzt und der Staatsanwältin Anna Canepa übergeben, die zusammen mit dem Stellvertretenden Staatsanwalt Pellegrino die Ermittlungen gegen den "Black Bloc" (sic!) führt. Ein deutschsprachiges Dokument, das zwischen zwei ausländischen Jugendlichen österreichischer Staatsbürgerschaft ablief. Hier ist es. Nennen wir sie A und B.
A.: Hast du ihm gesagt, daß wir geschlagen worden sind?
B.: Ja und du?
A.: Ich auch.
B.: Ich habīs dem Rechtsanwalt erzählt und auch dem österreichischen Politiker, dem Botschafter .. ich weiß seinen Namen jetzt nicht mehr. Das wird einen Wirbel geben. Ich hab gehört, daß das alles in die Zeitungen kommen wird.
A.: Das hab ich auch gemacht, und wie ich gehört hab, auch die Mädels, die sie in den anderen Knast gebracht haben.
B.: Hoffentlich kommen sie uns nicht drauf. (4)
A.: Wir haben ja keine Anzeige gemacht (5). Wir habenīs nur dem Botschafter und dem Rechtsanwalt gesagt. Es ist notwendig, daß diese Nachrichten in die Presse kommen.
B.: Haben die Mädels (6) auch dasselbe gesagt? (7)
A.: Sie haben von Ohrfeigen berichtet und von obszönen Anmachereien.
B.: Was? Haben sie nicht nur ein paar Hiebe abbekommen wie wir?
A.: Ich weiß es nicht. Wichtig ist, daß die Presse Lärm schlägt. Damit wir hier rauskommen...
Ende des "Dokuments"
Die Verteidiger der Wanderschauspieler stellen fest, daß niemand die Behauptung, mißhandelt worden zu sein, zurückgezogen hätte. Es hat übrigens zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand Klage erstattet, stellt Rechtsanwalt Sandra fest. Die Ereignisse hätten daher "in keinerlei Weise Einfluß auf die Entscheidungen des Gerichts genommen. Von der Staatsanwaltschaft aber wird bestätigt, daß es Abhörmaßnahmen gegeben hat. "Das ist der Beweis, daß einige der Beschuldigungen, die gegen die Carabinieri erhoben wurden, falsch waren."
Anmerkungen:
(1) Das Original befindet sich unter http://austria.indymedia.org/front.php3?article_id=2750&group=webcast unter den Kommentaren (Camillo 9:28pm Mon Aug 20 '01).
(2) Im Italienischen wird "tedeschi" (Deutsche) auch als Synonym für Österreicher verwendet.
(3) Raggruppamento operativo speciale, Task Force der Carabinieri, besonders gegen die Linken im Einsatz
(4) So könnte die Übersetzung lauten, wenn man eine kontextuelle Intention annimmt, die alles auf eine Absprache angelegt hat. Ohne diesen interpretativen Kontext könnte die Rückübersetzung auch lauten: Hoffentlich checken die das nicht. Mitgemeint wäre: Hoffentlich kriegen die das im Knast nicht mit, was wir denen berichtet haben, sonst gehtīs uns schlecht. Vorausgesetzt, das österreichische Original, das wohl wenige italienische Übersetzer - angesichts des Levels der Gerichtsdolmetscher dort - präzis zu übersetzen fähig sein werden, lautet nicht völlig anders, vorausgesetzt, es existiert überhaupt.
(5) Dies würde die vorhin genannte mögliche Zweitversion bestätigen, die besagt: Wir müssen uns hier in acht nehmen!
(6) Original: "ragazze". Ich nehme nicht an, daß sie, wenig feministisch, den Ausdruck "Mädchen" verwendet haben. Im Original dürfte doch eher das (auch nicht angenehme) umgangssprachliche Mädels oder auch Frauen verwendet worden sein, was die Italiener patriarchalisch nur mit Schwierigkeiten mit donne übersetzt hätten.
(7) Klingt nicht wie eine Verabredung.
aus TATblatt Nr. +172 vom 30.August 2001
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