"Arbeit" und Antisemitismus
hobo
Der deutsche Kanzler ist ein moderner Sozialdemokrat. Darum kann er auch so freimütig tönen, dass es in seinem Land "kein Recht auf Faulheit" gäbe. Der Zustimmung der Mehrheit kann er sich dabei sicher sein, denn die glaubt gerne, was sie täglich ertragen muss. Und so sind sich alle einig, dass "Arbeit adelt", weil sich "Arbeit macht frei" heute doch fast niemand mehr zu sagen traut. Zwischen den beiden Aussprüchen besteht jedoch ein Zusammenhang, der es wert ist, näher beleuchtet zu werden.
Als das Christentum in die Welt kam um den Menschen zu predigen, sie sollen beten und arbeiten ("ora et labora") war dies mehr als der Aufruf zu Frömmigkeit und Fleiß. Arbeit sollte keinem Selbstzweck dienen, sondern der Mühsal und des Lobes Gottes wegen betrieben werden. Damit wurden schon - die Weichen gestellt, damit in Zukunft nicht wesentlich sei, wie, sondern dass gearbeitet würde. Martin Luther schlug genau in diese Kerbe, als er in seiner Bibelübersetzung für das Wort Arbeit das Wort Beruf setzte. Beruf war nun gleichbedeutend mit göttlichem Willen, der vorgegebene Weg lautete sodann "Im Schweiße deines Angesichts ... durch Fleiß ... zur Sittlichkeit".
Bis ins 15. Jahrhundert hatten BettlerInnen als "pauper Christen" gegolten, sie hatten trotz ihrer "Nicht-Arbeit" als AdressatInnen der Barmherzigeit der Besitzenden in der mittelalterlichen Gesellschaft ihren Platz gehabt. Die Reformation ächtete nun alles, was ihr als "Nicht-Arbeit" erschien. Unter ihrem Einfluss entstanden erste Arbeits- und Zuchthäuser, in denen nicht arbeitende Menschen zur Arbeit "erzogen" werden sollten. Die zunehmend arbeitsteilig funktionierende Produktion setzte zudem neue Verbindlichkeiten der ProduzentInnen voraus, wobei die voranschreitende Manufakturisierung der Produktion mit einem nötigen Disziplinierungsprozess der ProduzentInnen einher ging.
Die neue Lehre eignete sich aber nicht nur dazu, die Menschen zur Arbeit anzuhalten. Mit Rückgriff auf die biblische Geschichte von der Vertreibung der Händler aus dem Tempel, mit der der Handel insbesondere mit Geld als unsittlich und als für die Seligkeit bedenklich festgeschrieben war, wurde mit Martin Luther der Vorstellung von "deutscher ehrlicher Arbeit" das Bild des "jüdischen Schmarotzertums und Wuchers" gegenüber gestellt. Indem "der Jude" Geld für sich arbeiten ließe, "stähle er Gott die Zeit".
Hatte schon im Mittelalter jede jüdische Geschäftstätigkeit als "Schacher" gegolten, so wandelte sich der Vorwurf in der Zeit eines sich entwickelnden Kapitalismus zu dem des "Wuchers". Die durch den gesellschaftlichen Umbau ausgelösten Ängste und Sorgen der Menschen konnten sich umso leicher darauf einschwören, als mit der Erfindung der "Rassen" und der Beschreibung der Juden und Jüdinnen als einer eigenständigen ethnischen Gruppe gegen Ende des 18. Jahrhunderts "die Juden" zu den Betreibern des kapitalistischen Systems ernannt und damit in einen Gegensatz zum "deutschen Volk" gestellt wurden. Der Wuchervorwurf war damit so omnipräsent wie ungerechtfertigt.
Der nun als jüdisch angesehehenen Nicht-Arbeit stand bald ein Arbeitsethos gegenüber, das in vergleichbaren Ländern nur schwierig Entsprechung findet. Studien sprechen davon, dass die "Arbeitsfreude" zum eigentlichen Inhalt der deutschen Arbeit wurde, die "Freude" sich darüber hinaus zur zwanghaften Hingabe steigerte. Mit der bürgerlichen Revolution von 1848 wurde Arbeit zur staatsbürgerlichen Pflicht erklärt, und die "deutsche Arbeit" als ein "nützliches Schaffen zum Wohle des Volkes" definiert. Juden und Jüdinnen hingegen sollten unfähig sein, ihre Hände zur Arbeit zu gebrauchen. Sie galten den Deutschen als "fremd, weil sie nicht arbeiten würden". Das deutsche Arbeitsethos schärfte sich so an der Ausgrenzung der jüdischen Mitmenschen, und noch vor der Nationswerdung 1871 wurde gar der Ruf nach "Nationalsierung der Arbeit" laut. Einem ihrer frühesten Fürstreiter sollte die nationale deutsche Arbeit ein "Bollwerk gegen den jüdisch-materialistischen Geschäftsgeist" sein. Der "wirkliche Deutsche" fände Befriedigung, Freude und Verwirklichung nur in der pflichtgemäßen Ausübung seiner Arbeit. Diese, der er/sie sich aufopferungsbereit hingeben sollte, galt als die "schaffende" Arbeit in Abgrenzung zur "raffenden" der "jüdischen Wucherer". Indem diese dichotome Sicht von Arbeit bis auf das (deutsche) industrielle Kapital (als Nachfolgerin des deutschen Handwerks) ausgedehnt wurde, konnten so alle durch die kapitalistische Entwicklung erfahrenen Nachteile als die Schuld des internationalen/jüdischen Finanzkapitals projeziert werden. Klassengegensätze konnten in der entstehenden "Volksgemeinschaft" aufgehen, was vom Antikapitalismus blieb, wurde in Antisemitismus umgemünzt. Noch 1879 wurde entlarvend festgestellt: "Die soziale Frage ist die Judenfrage", womit auch festgeschrieben war: "Die Juden sind unser Unglück."
Als sich später die Nazis daran machten, ein radikal-völkisches Verständnis von Arbeit zu begründen, war der Boden also bereitet. Während spätestens mit dem 1. Mai 1933 die ArbeiterInnenbewegung zerschlagen wurde, wurde die "nationale Arbeit" inszeniert und gefeiert. In der nun ausgerufenen Volksgemeinschaft als horizontal gegeliederten Ständegemeinschaft dienten nun "Arbeiter-Soldaten" dem nationalen Ganzen bzw. dem mit dem "Volk" "organisch" verflochtenen deutschen Kapital. Umgekehrt wurde das "raffende" Kapital nicht nach sozialen und wirtschaftlichen Größen bestimmt, sondern "rassisch" definiert. "Die Vernichtung erschien somit gewissermaßen als eine antikapitalistische Mission, welche die Erlösung der Welt von der Wurzel allen Übels (...) versprach. Insofern kann Auschwitz - als Synonym für die industrielle Vernichtung - folgendermaßen beschrieben werden: Eine kapitalistische Fabrik ist ein Ort, an dem Wert produziert wird (...). Die Ausrottungslager waren demgegenüber keine entsetzliche Version einer solchen Fabrik, sondern müssen eher als ihre groteske arische antikapitalistische Negation gesehen werden. Auschwitz war eine Fabrik zur Vernichtung des Werts, das heißt zur Vernichtung der Personifizierung des Abstrakten".
Freiheit und Wahn deutscher Arbeit. Zur historischen Aktualität einer folgenreichen antisemitischen Projektion lautet der Titel eines neuen Bandes aus der reihe antifaschistischer texte im UNRAST-Verlag. Das Buch liest sich keineswegs in allen Abschnitten so sperrig wie der Titel meinen lassen könnte. Insbesondere die hier allzu gerafft wiedergegeben historischen Entwicklungslinien ermöglichen einen guten Einstieg in das umfassende Thema. Wie umfassend dieses eigentlich sein kann, das schneiden die AutorInnen selbst in so genannten Exkursen an, in denen u.a. die Konstituierung von Ware, Wert und Arbeit im Kapitalimus anhand marxistischer Terminologie, die fetischisierte Wahrnehmung oder erkenntnistheoretische Grenzen der Antisemitismusforschung behandelt werden. (Diese Abschnitte neigen jedoch dazu, mit Zitaten und Begrifflichkeiten überladen zu sein. Sie dienen vielleicht noch mehr als Hinweise auf die zitierte Primärliteratur als auf deren Zusammenfassung, geschweige denn Erklärung.) Selbst damit gaben sich die AutorInnen aber noch nicht zufrieden und dehnten ihre Betrachtungen bis zum Stand "deutscher Arbeit" im Jahr 2000 aus. Wenn da auch immer die Rede ist von der "deutschen Arbeit", so drängen sich natürlich trotzdem viele Parallelen zum hiesigen Sumpf auf.
Holger Schatz, Andrea Woeldike
Freiheit und Wahn deutscher Arbeit
Zur historischen Aktualtät einer folgenreichen antisemitischen Projektion
Unrast Verlag, 2001
200 Seiten; ca. öS 240.-
Erhältlich auch im Infoladen X im EKH.
aus TATblatt Nr. +174 vom 20.September 2001
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