tatblatt.net    

 

Selbstmordattentäter bringen mit entführten Flugzeugen die Türme des World Trade Center zum Einsturz, das Pentagon wird auf dieselbe Art angegriffen, ein voll besetztes Flugzeug wird von der Regierung der USA zum Abschuss freigegeben.... Die Erfindung solcher Szenarien waren bisher nur Hollywood zuzutrauen, oder eben den kranken Fantasien von GeheimdienstlerInnen, MilitaristInnen und anderen, die so ihre eigene Existenz rechtfertigten. Jetzt wurde etwas Wirklichkeit, was viele für uns nicht für möglich gehalten hatten.

Aus welchem Grund auch immer der Akt gesetzt wurde, die zu erwartenden Reaktionen blieben nicht aus. Vor allem der Schulterschluss der sich selbst als "westlich" oder oft auch "zivilisiert" bezeichnenden "Welt" ist bemerkenswert. Das zeigt sich besonders, wenn es um die militärische Option des "Gegenschlags" auf Ziele im mittleren Osten geht. Auch Österreich steht hier nicht hinten an. Nachdem Schüssel schon am Tag des Attentats die USA als "Verbündete" bezeichnete, gibt es hierzulande über die Überflugsgenehmigungen für NATO-Truppen keine Diskussion: dazu sei nicht einmal ein UN-Sicherheitsratsbeschluss notwendig.

Den "Schulterschluss der westlichen Welt" findet aber seit einer Woche auch in seiner alltäglichen Ausprägung seinen Ausdruck: die jahrzehntelang gehegten Vorurteile und diffusen Feindbilder gegen Menschen, "denen man ihre Herkunft allzu deutlich ansieht" folgen einem einheitlichen Schema.

"I'm proud to be American and I hate Arabs"

Die folgende Liste von Drohungen, Ausschreitungen und Anschlägen gegen Menschen, die "zur Seite des Bösen" gerechnet werden, kann natürlich nicht vollständig sein, und leider schon gar nicht abgeschlossen. Dennoch veranschaulicht diese Aneinanderreihung einigermaßen die Vehemenz und das Ausmaß der Ereignisse der vergangenen Tage:

Mittwochabends (12.9.) marschierte eine wütende Menge (ca. 300 Personen) mit wehenden US-Flaggen zur Moschee in Bridgeview und musste von hundert Polizisten gestoppt werden

In einem Vorort von Dallas wurden Schüsse auf eine Moschee abgefeuert.

In Chicago warf jemand einen Molotow-Cocktail auf ein arabisch-amerikanisches Gemeindezentrum.

In Virginia wurde ein arabischer Buchladen verwüstet.

In San Francisco wurde ein Beutel mit Blut vor das Islamische Zentrum gelegt, auf dem stand: "Schweineblut".

Ein streng-gläubige Marokkaner, der seit 1989 in einem religiösen Buchladen in New York arbeitet, berichtet, dass er seiner Tochter "zum ersten Mal in ihrem Leben" verboten habe, sich traditionell zu kleiden. Sie trägt nun Jeans und ein T-Shirt mit der amerikanischen Flagge...". Zwei Tage nachdem die Zwillingstürme des World Trade Centers in Schutt und Asche sanken, war das Mädchen vor der Schule von drei Jugendlichen mit einem Schäferhund angehalten worden: "Zieh den Moslem-Fummel aus oder wir lassen den Hund los." Die Polizei war rasch zur Stelle. "Das waren dumme Jungs aus der Bronx", sagt der schwarze Polizist Johnston Clark. Seit Jahren versieht er seinen Dienst im "Nahen Osten von New York". Inzwischen wurden hier die Streifen verstärkt. "Bis jetzt ist noch nichts sehr schlimmes passiert", sagt Clark. Aber immer öfter kämen Leute in Autos durch die Gegend und brüllten "Tod den Moslems" aus den Fenstern.

Zwei von Moslems bewohnte Häuser in Maryland gingen in Flammen auf.

In Evansville/Indiana rammte ein Neo-Nazi-Skin mit seinem Auto mehrmals ein Haus des lokalen Islamischen Centers.

In Chicago wurde ein Molotow-Cocktail gegen ein "Arab-American community center" geworfen.

In Texas wurden die Fensterscheiben einer Moschee von Schüssen getroffen, an einem islamischen Zentrum wurde eine Scheibe eingeworfen. Ähnliche Vorfälle betrafen weitere Moscheen in New Jersey.

Eine Mosche in Lynwood/Wash. wurde durch Vandalen zerstört.

In Gary/Ind feuerte ein maskierter Mann mit einem Gewehr auf einen in Jemen geborenen Amerikaner.

Bezeichnenderweise betraf die Welle der Gewalt in Amerika mehrmals auch indische Sikhs: Ein Sikh wurde in Richmond Hills/NY von einem Angreifer mit einem Baseballschläger schwer verletzt. Zwei weitere Sikhs wurden mit Pistolen bedroht.

In Mesa Arizona schließlich wurde ein in den USA lebender Inder wegen seines Turbans und Bartes erschossen. Auch dieses Opfer gehörte der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Er versah gerade Dienst auf seiner Tankstelle, als er aus einem fahrenden Auto mit drei Schüssen getötet wurde. Derselbe Täter, der unerkannt entkommen konnte, schoss in einer weiteren Tankstelle auf einen Angestellten libanesischer Abstammung, ohne diesen jedoch zu treffen.

Solche Berichte gibt es natürlich nicht nur aus den USA selbst. Hier einige Auszüge des Alltagsterrors außerhalb der USA:

Aus Kanada wurden mehrere Vorfälle gemeldet, unter anderem wurde ein Brandsatz auf eine Moschee geworfen.

Schweden: die Moschee in der Stockholmer Innenstadt wurde schriftlich mit den Worten "Wir werden eure Moschee niederreißen! Ihr habt Zehntausende von Menschen getötet" bedroht. Ein von PalästinenserInnen geleitetes Restaurant in der schwedischen Stadt Södertälje wurde in der Nacht auf Freitag verwüstet, anti-moslemische Slogans auf die Wände gesprüht und Fenster eingeschlagen. Auch ein Imbissstand, von der gleichen Familie gepachtet, wurde teilweise zerstört. Ein iranischer Taxifahrer zeigte Freitag Nachmittag eine Gruppe Jugendlicher, die ihn bedrohte, bei der Polizei an.

Großbritannien: London: Nach den Terroranschlägen in den USA haben rassistische Beleidigungen und Drohungen gegen Moslems in Großbritannien nach Einschätzung einer moslemischer Zeitung stark zugenommen. In ganz Großbritannien seien moslemische Kultstätten beschädigt worden. In der größten Moschee in London wurde Donnerstag Nachmittag Bombenalarm ausgelöst.

Auch in Australien kam es zu Übergriffen auf Moslems. In Brisbane wurde ein mit moslemischen Kindern besetzter Schulbus durch Stein- und Flaschenwürfe beschädigt, wie der Vorsitzende des islamischen Rates im Staat Queensland am Donnerstag mitteilte. Die Kinder seien verängstigt, es habe aber keine Verletzten gegeben. In Sydney versuchten RandaliererInnen in der Nacht, Polizeiangaben zufolge, eine christlich-libanesische Kirche in Brand zu stecken. Eine andere libanesische Kirche sei mit Hakenkreuzen und rassistischen Parolen beschmiert worden. Weiters wurde ein mit moslemischen Kindern besetzter Bus mit Glasflaschen und Steinen angegriffen.

Anti-Islamische Demonstrationen gab es dieser Tage nicht nur in der sogenannten "Westlichen Welt": Bei Ausschreitungen gegen die islamische Minderheit in Indien sind vor dem Hintergrund der Terroranschläge in den USA zwei Menschen getötet und 50 verletzt worden. Rund 50.000 fundamentalistische Hindus zogen am Samstag durch die südindische Stadt Hubli, wie die Behörden am Sonntag mitteilten. Die Teilnehmer riefen Beschimpfungen gegen die Taliban-Führung in Afghanistan und gegen Pakistan.

Einige hundert Demonstranten griffen Polizisten an, die eine Gebetsstätte für Moslems sicherten. Mehrere Autos, darunter ein Polizeifahrzeug, wurden in Brand gesetzt. In Teilen der rund 400 Kilometer nördlich von Bangalore gelegenen Stadt wurde ein Ausgehverbot verhängt.

In dieser Aufstellung fehlen die zahlreichen Bomben- und Morddrohungen sowie Beschimpfungen, die sich auf Anrufbeantwortern, im Internet und auf öffentlichen Plätzen finden. Hier zwei Beispiele, die alles sagen: "The only good Arab is a dead Arab wrapped in pig skin," (E-mail an prominente Mitglieder der "Dearborn's Muslim community"); "Death to the Sand Niggers." (Aufschrift auf einem LKW in Marlboro/NJ).

Auch in Österreich wurde ein starkes Ansteigen in dieser Richtung verzeichnet. Die Afghanische Botschaft musste nach einer Bombendrohung geräumt werden.

Von der Schwierigkeit des politischen Diskurses

Das jetzt ein Umdenkprozess im politischen Selbstverständnis stattfinden würde, war ja gar nicht zu erwarten; aber folgende Aussage eines linken Intellektuellen trifft den Nagel auf den Kopf: "Auch wenn der Anschlag auf das WTC durch den in letzter Zeit propagierten Ausbau des amerikanischen Raketenabwehrsystems in keiner Weise verhindert hätte werden können, werden die Angriffe doch als Argument zur Aufrüstung in dieser Richtung herangezogen werden. Und zwar höchstwahrscheinlich mit Erfolg." So ist plötzlich einfach durchzusetzen, was bisher durch den Widerstand der Bevölkerung in Frage stand.

Besonders in der seit längerem umstrittenen Überwachung des Internet-Mail- und des Telefonverkehrs, kam es bereits zwei Tage nach dem Anschlag zu einem bemerkenswerten Gesetzesbeschluss in den USA: dem "Combating Terrorism Act of 2001". Neben vielen anderen Punkten erleichtert er es dem FBI, das System "Carnivore" in Betrieb zu nehmen. "Carnivore" ist in der Lage, Millionen von E-Mails in Echtzeit auf Stichworte zu durchsuchen. Dabei wird ein Computer mit der FBI-Software, der in einem Käfig gegen Manipulationen von außen geschützt ist, bei einem Provider installiert und mit dessen Servern verbunden. So können wichtige Knoten der Internetkommunikation komplett überwacht werden. "In Zeiten wie diesen kann sich kaum ein Internetprovider gegen eine Installation von ,Carnivore' wehren", meint der deutsche Sicherheitsexperte Christoph Fischer von der Uni Karlsruhe

Mehrere Onlinedienste, darunter AOL und Earthlink, räumten bereits ein, dass sie mit dem FBI zusammenarbeiten. "Wir kooperieren in den laufenden Ermittlungen", sagte AOL-Sprecher Nicholas Graham dem Onlinedienst CNET. Britische und deutsche Behörden forderten Telefongesellschaften und Internet Service Provider dazu auf, alle am Tag des Terroranschlages gespeicherten Kommunikationsdaten herauszurücken.

Auch Hotmail, ein microsoftnaher Gratis-E-Mail-Dienst ist eine Zusammenarbeit mit dem FBI eingegangen: zumindest mehrere Mailboxen von arabischsprachigen UserInnen wurden den Behörden geöffnet.

Beunruhigend für Personen, die sich mit Datenschutz und Privatsphäre im Internet beschäftigen, ist vor allem auch der "vorauseilende Gehorsam", den BetreiberInnen von "anonymen Mail-Servern" im Internet an den Tag legen. Medien berichten folgendes: "Einer der meist diskutierten Punkte, die Anonymität im Netz, scheint derzeit einem baldigen Ende geweiht. Erste Anzeichen für ein Umdenken und Einlenken sind die Vielzahl von 'Anonymous Mail Servern', die ihre Dienste einstellen werden. [...] Die Betreiber von Randseed sprechen nach der Einstellung ihres Dienstes nur von einer 'vorübergehenden Vorsichtsmaßnahme'. Allerdings weniger aus der Befürchtung, dass TerroristInnen die Server nutzen könnten, sondern vielmehr aus Angst vor Angriffen und Übergriffen von Leuten, die 'falsche Drohungen, Hinweise und anderes Gedöns an News-Gruppen, Ämter und Verantwortliche schicken'."

Aber auch, wenn sich im Bereich Rede- und Meinungsfreiheit sachte Kritik regt, und auch wenn sich Protest gegen die Kriegsvorbereitungen der USA langsam zu formieren beginnt, wird das Totschlagargument der "tausenden Toten" jegliche Form von Widerstand sehr schwierig machen, nicht zuletzt auch für zukünftige Anti-Globalisierungskampagnen.

Welche Schwierigkeiten da auf soziale und linke Bewegungen auch im eigenen Diskurs zukommen, zeigt folgender Ausschnitt eines Postings einer seit Jahren irgendwo im linken Spektrum beheimateten Gruppe auf Indymedia Austria: "Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!"

aus TATblatt Nr. +174 vom 20.September 2001

 
>>TATblatt-Inhaltsverzeichnis

©TATblatt, 2001
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken alternativen Medien ohne weiteres gestattet (Quellenangabe und Belegexemplar erbeten)!
In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin (siehe Impressum)