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Meinungsmonopol im Namen des Antiterrors

Schon bald nach den Anschlägen auf World Trade Center und Pentagon wurden von Human-Right-Groups Bedenken geäußert, dass in den USA eine massive Schlechterstellung im Bereich Meinungsfreiheit und Privatsphäre zu befürchten sei. Und tatsächlich schlugen politische Hardliner in den USA und Europa inzwischen reichlich Kapital aus der bereitwilligen Zustimmung der Bevölkerung zu einschneidenden Maßnahmen im Namen der "Terrorismusbekämpfung". Bei näherem Hinsehen scheint es offensichtlich, dass unter diesem Deckmantel Gesetze und Maßnahmen beschlossen werden sollen, die sehr breit ausgelegt werden können und sich unter Umständen auch gegen Proteste wie in Genua oder Göteborg anwenden lassen. Entsprechende Gesetzesvorlagen (oder "Rahmenvorschläge") werden derzeit in EU und USA begutachtet und demnächst zur Beschlussfassung vorgelegt werden.

TATblatt

Die Definition

Die Europäische Variante des "Anti-Terror-Gesetzes" wurde beim Sondertreffen der EU-Justiz- und Innenminister am 20. September in Brüssel in Form einer Rahmenentscheidung zu Terrorismusbekämpfung vorgestellt. Rahmenentscheidungen sind Vorschläge für Gesetze, die schnell umgesetzt werden sollen. Ein zentraler Punkt des Gesetzes, nämlich die Definition von Terrorismus bzw. "terroristischer Verstößen", zeigt auch auf, wofür das Gesetz in Zukunft gebraucht werden kann: Als wesentlich werden:

"Die folgenden Verstöße ... welche absichtlich durch einen Einzelnen oder eine Gruppe gegen einen Staat oder mehrere Staaten, deren Einrichtung oder dessen Bevölkerung begangen werden, mit der Absicht diese einzuschüchtern oder zu zerstören" genannt. Darunter fallen neben Mord und Körperverletzung auch Delikte wie "die ungesetzliche Beschädigung von Regierungseinrichtungen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Infrastrukturen, öffentlichen Plätzen und Eigentum", "Angriffe durch die Verwendung eines Informationssystems" und "das Werben, Unterstützen oder die Teilnahme an einer terroristischen Gruppe".

Urban Violence

In einem Zusatz wird erklärt, dass es sich dabei durchaus auch um "urban violence" handeln könnte, ein Begriff der aus dem sehr rigiden englischen "Terrorism-Act" kommt, und von lokalen Protestbewegungen oft als "Selbstverteidigung" verstanden wird.

Bemerkenswerterweise zielt diese Definition aber nicht nur auf Gruppen oder Vereinigungen (wie bisher kriminelle oder terroristische Vereinigungen) ab, sondern soll sich neuerdings auch gegen Einzelne richten.

Die einzeln genannten Verstöße sind mit rigiden Höchststrafen belegt. Einige dieser Delikte durch das Strafrecht bereits abgedeckt, wie z.B. Mord (mindeste Höchststrafe sind 20 Jahre), Körperverletzung (4), Geiselnahme (10), [...]; andere Delikte beziehen sich schon eher auf den "breiten" Terrorismusbegriff: Ungesetzliche Aneignung oder Zerstörung von staatlichen Einrichtungen, Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs, der Infrastruktur, von Plätzen in öffentlichen Gebrauchs und Eigentum (5), Leitung einer Terrororganisation (15), Werbung für, Unterstützung einer oder Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung (7), oder einfach auch Attacken durch Störung eines Informationssystems (5 Jahre).

Manchmal kann an Stelle von Haftstrafen die Anordnung von "sozialem Dienst" oder auch der Verlust von Grundrechten treten.

Im Interesse der Inneren Sicherheit

Aus der Betrachtung all dieser Punkte, ergibt sich fast zwangsläufig der Eindruck, das hier ein Instrument zur Schaffung von "Innerer Sicherheit" geschaffen werden soll, das genau auf die wachsenden Protestbewegungen der letzten Jahre (Stichwort "Globalisierungsgegner") zugeschnitten ist. Jeder einzelne dieser Punkte birgt ein nicht auzulotendes Potential für überwachungs- und polizeistaatliche Strömungen. Denken wir an die Blockade einer Hauptverkehrsstraße durch eine Gruppe von ImmigrantInnen. Die Besetzung des öffentlichen Platzes würde den Verlust bestimmter BürgerInnenrechte nach sich ziehen, zum Beispiel des Aufenthaltsrechts. Oder das Eindringen in fremde Informationssysteme im günstigsten Fall vielleicht den Verlust des Wahlrechts, oder das Besprühen der Pallas Athene 5 Jahre Haft...?! Hier kann leicht die Phantasie durchgehen - aber die Phantasien der Hardliner, die sich solche Vorschläge auskennen, dürften dem in nichts nachstehen.

Auch wenn die hier neu aus dem Hut gezauberten Delikte einiges an beunruhigendem Potential bieten, erscheint die "Spezialbehandlung" von Delikten sobald sie in Zusammenhang mit "Terrorismus" stehen besonders fragwürdig; insbesondere wenn es sich um eine Terrorismus-Definition wie oben zitiert handelt.

Dieser Rahmenvorschlag wird in der vorliegenden Version zwar keine Mehrheit finden, aber dass eine "entschärfte" Fassung substanziell anderes bringt, kann nur bezweifelt werden.

Die europäische Union lehnt sich hier eindeutig an die schon erwähnte englische Gesetzgebung an, aktuell dürfte das Gesetz aber mit dem US-amerikanischen Vorschlag zum "Anti-Terrorism Act 2001" koordiniert werden (In unserer letzten Ausgabe haben wir diesen Vorschlag voreilig als beschlossenes Gesetz präsentiert, er hatte aber erst - oder bereits - eine der gesetzgeberischen Hürden in Amerika mit Leichtigkeit genommen). Die amerikanische Variante der Anti-Terrorgesetzgebung ist in diesem Vorschlag noch viel umfassender, denn hier geht es nicht nur um Definition von Terrorismus und von terroristischen Straftaten, sondern vor allem auch um die technischen und gesetzlichen Grundlagen zur Terrorismusbekämpfung.

Der Anti-Terrorism Act 2001

Einiges wurde dabei vor allem aus dem Bereich der Überwachung im Internet schon kurz nach den Anschlägen bekannt. Hier dürfte die Sensibilisierung der AmerikanerInnen besonders hoch ein. Allerdings ist das nur ein Punkt auf einer ganzen Liste von "Anpassungen" in Straf- und Polizeirecht. Grob teilt sich der Anti-Terrorism Act in vier Punkte auf: Informationsbeschaffung, Strafrecht, Finanzinfrastruktur und nicht zuletzt Einwanderung.

Allein die Aufzählung und kurze Kommentare zu den Änderungsvorschlägen machen 10 TATblattseiten aus. Nicht ganz wahllos greifen wir deshalb nur einige bemerkenswerte Punkte heraus:

Vor allem die Rechte von Polizei und insbesondere FBI sollen umfassend ausgedehnt werden, um TerroristInnen und SympathisantInnen aufspüren zu können: Das Abhören von Telefonen soll einfacher (das heißt leichter durchsetzbar) werden, Verdächtige sollen länger beobachtet werden, Wohnungen ohne Wissen der BewohnerInnen durchsucht werden, Finanzinfos (z.B. Kontoauszüge) weitergegeben werden können.

AusländerInnen werden es besonders zu spüren bekommen. Sie sollen stärker überwacht werden, verdächtige ImmigrantInnen unbegrenzt lange festgehalten werden und leichter abgeschoben werden dürfen. Wie einige Fälle in den USA zeigen, wird mit der noch bestehenden Höchstgrenze von 48 Stunden Haft ohne "Beweise" bereits jetzt nicht sehr genau umgegangen, besonders wenn es sich um MigrantInnen handelt. In Jersey City beispielsweise wurde ein Mann im Zuge einer Durchsuchung eines Mietshauses festgenommen. Sein Visum war Anfang September abgelaufen. Seine Frau sagt, sie habe eine Woche lang nicht gewusst, wohin er gebracht worden war. Ein anderer Fall betrifft Washington: ein Zeuge wurde erst 10 Tage nach seiner Festnahme wieder auf freien Fuss gesetzt. Der Arzt musste die ersten Tage im Arrest ohne jeden Außenkontakt zubringen. Beide gehören zu den ca. 350 Menschen, die bis Ende September im Zuge der Fahndung festgenommen worden waren - meist in Bezug auf die Einwanderungsgesetze. Und gerade diese Gesetze sollen durch den Vorschlag noch weiter verschärft werden - besonders was die Möglichkeit zur unbegrenzten (!) Inhaftierung von des Terrors verdächtigen ImmigrantInnen betrifft. Und die nachfolgende Ausweisung soll natürlich auch vereinfacht werden.

Allem vorangestellt ist jedoch das Kapitel Elektronische Überwachung. Die Installation des Systems Carnivore ist bereits abgemachte Sache (siehe Kasten). Das verpflichtende Aufstellen solcher Maschinen soll bei Providern in Zukunft leichter durchsetzbar sein. Ebenso verhält es sich mit traditionellen Methoden wie Telefon- und Handyabhören, sowie den US-amerikanischen Pendants zu Lauschangriff und Rasterfahndung. Überall sollen sukzessive Hürden beseitigt werden, die den Ermittlern bisher Schranken setzten. Zusätzlich sollen verschiedenste Berufsgruppen und Wirtschaftszweige von ihrer Geheimhaltungspflicht von privaten KundInnendaten bei Terrorismusverdacht enthoben werden.

In die selbe Kerbe schlägt die Öffnung der "educational records", die mit den hierzulande berüchtigten SchülerInnenbeschreibungsbögen gleichzusetzen sind.

Gemeinsamer Deckmantel: Sicherheit vor Terroristen

Auch wenn die Gesetzesvorschläge auf EU-Ebene nicht so umfassend sind wie der Anti-Terrorism Act in den USA darf folgendes nicht übersehen werden: neben den Gesetzesplänen, die sich offiziell gegen Terrorismus richten (und in allen Fällen gegen die Anschläge gegen das World Trade Center und Pentagon nichts ausrichten hätten können), werden auch gleichzeitig und unter demselben Deckmantel eine Unzahl anderer Gesetze hinterfragt und - geht es nach Regierungsplänen - verschärft. Österreich mischt hier ganz vorne mit: Verschärfung der Asylgesetze, bevölkerungsweites Abnehmen von Fingerabdrücken, flächendeckende E-Mailüberwachung,...Alles wird jetzt diskutierbar, vieles durchsetzbar, wie verpflichtende Schnittstellen zur Handyüberwachung, und unbefristeter Beschluss von Rasterfahndung und Lauschangriff oder der bereits beschlossene Integrations"vertrag".

Infowar

Während dieser Artikel entsteht, zerstören amerikanische Bomben und Raketen Teile der drei größten Städte Afghanistans. Angesichts der Flüchtlingskolonnen und er ersten anzunehmenden Toten in Folge des Kriegs, erscheint die Verteidigung der "bürgerlichen" Freiheiten im sogenannten "Westen" fast wie eine nebensächliche Spitzfindigkeit. Aber der Angriff Europas und Amerikas ist nicht nur ein Angriff mit Bomben und Raketen. Ein guter Teil des Krieges wird mit dem Schlagwort Info-War zu bezeichnen sein, und direkt hier stattfinden. Die Verteidigung von Rede-, Presse-, Meinungsfreiheit und Privatsphäre ist auch Widerstand gegen die Bilder, die uns die monopolisierte öffentliche Meinung vorgaukeln will und wird.

 

Zu empfehlen: >>>www.statewatch.org

 

aus TATblatt Nr. +175 vom 12. Oktober 2001

 
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