Großbritannien: Freiheit stirbt mit Sicherheit
Die britische Regierung hat am Montag, den 12. November eine Gesetzesentwurf im Parlament eingebracht, mit dem Teile der Europäischen Menschenrechtskonvention außer Kraft gesetzt werden sollen. Die britische Regierung möchte in Zukunft "mutmaßliche Terroristen und ihre Helfer" ohne Gerichtsverfahren internieren. Großbritannien ist somit das erste europäische Land, das im "Kampf gegen den Terror" aus der Konvention aussteigen will. Artikel fünf der Europäischen Menschenrechtskonvention erlaubt die Internierung ohne Gerichtsverfahren nur in Zeiten des Krieges und des "öffentlichen Notstandes". Innenminister Blunkett informierte bereits den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, dass nach Ansicht der britischen Regierung nach dem 11. September (Anschläge in den USA, Angriff auf Afghanistan) ein solcher "öffentlicher Notstand" eingetreten sei.
Nach den Plänen der britischen Regierung soll der Ausstieg aus der Menschenrechtskonvention gemeinsam mit weiteren neuen "Anti-Terror"-Gesetzen noch in diesem Jahr in Kraft treten. Das Innenministerium gab an, dass vor allem AusländerInnen, die nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können (etwa wegen Foltergefahr oder drohender Todesstrafe), interniert werden sollen. Einige Abgeordnete der regierenden Labourpartei werden wohl gegen die Gesetzesinitiative stimmen. Der Entwurf wird jedoch mit Sicherheit eine Mehrheit finden da auch die oppositionellen Konservativen den Vorschlag unterstützen werden. In den siebziger Jahren wurden hunderte irische NationalistInnen aus Nordirland ohne Gerichtsverfahren interniert. Auch während des Golfkrieges wurden einige Personen interniert, denen Verbindungen zur irakischen Führung vorgeworfen wurde. Es ist jedoch das erste Mal, dass eine britische Regierung den Austritt aus der Menschenrechtskonvention plant. Menschenrechtsgruppen bereiten sich auf eine Anfechtung des Gesetzes beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg vor. Sie argumentieren, dass der von der Regierung angegebene "öffentliche Notstand" nicht belegt werden kann.
Um den genauen Wortlaut der "Anti-Terror"-Gesetze wird in der Öffentlichkeit und im Parlament noch gestritten. Als sehr wahrscheinlich gilt, dass Internierungen zeitlich nicht begrenzt werden und dass das Gesetz rückwirkend in Kraft treten soll. Nach Kritik von einigen Labourabgeordneten und Menschenrechtsgruppen hat der Innenminister inzwischen eine Passage gestrichen, die drakonische Strafen gegen jedwede Art von "Unterstützung" von "TerroristInnen" vorgesehen hätten. KritikerInnen hatten unter anderem aufgezeigt, dass mit einem solchen Gesetz z.B. auch LehrerInnen von Flugschulen angeklagt worden wären, hätten sie (auch unwissentlich) TerroristInnen im Fliegen ausgebildet.
Weitere "Anti-Terror"-Gesetze werden die totale vorbeugende Überwachung des email-Verkehrs und des Internets regeln. In diesem Bereich regt sich Widerstand in Wirtschaftskreisen, die sich um die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen Sorgen machen. Einige ProviderInnen prüfen, ob es rechtlich möglich ist, die technische Infrastruktur im Ausland zu betreiben, was eine vorbeugende Überwachung durch die britischen Behörden erschweren würde.
Das Innenministerium bereitet zur Zeit auch Gesetzesentwürfe zu Asylfragen und zur Auslieferung von Verdächtigten vor. Außerdem werden die Behörden die existierenden Anti-Hooligan-Gesetze auch auf britische Moslems anwenden. Moslemische Menschen, die verdächtigt werden, fundamentalistischen Gruppen zu unterstützen, sollen die Reisepässe entzogen werden.
aus TATblatt Nr. +177 vom 15. November 2001
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