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Interimsregierung – der Kampf der Frauen in Afghanistan geht weiter

Letzte Woche wurden die Pläne für die politische Zukunft von Afghanistan geschmiedet. Am Verhandlungstisch Platz genommen haben auch fünf Frauen, von denen zwei auch einen MinisterInnenposten in der neuen Übergangsregierung übernehmen sollen. Erstaunlicherweise sind diese Frauen aber nicht Angehörige der Frauenorganisation in Afghanistan, der RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan). Erstaunlich ist das allerdings nur auf den ersten Blick.

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Der politische Plan für Afghanistan, der im Rahmen der Afghanistankonferenz unter Leitung der UNO in Bonn (Petersberg) beschlossen wurde, sieht folgendermaßen aus: Eine Interimsregierung, deren Besetzung bei eben dieser Konferenz beschlossen wurde, soll ihre Arbeit am 22. Dezember 2001 (vorerst auf 6 Monate befristet) beginnen. Die Nordallianz sollte am 22. Dezember die Regierungsgewalt an diese neue Interimsregierung abgeben, an deren Spitze sich wiederum (bisher nur männliche) Vertreter der Nordallianz durchgesetzt haben. Weiters soll in diesen ersten sechs Monaten ein Sonderausschuss mit der Einberufung der Sonder-Loya-Jirga (= große Ratsversammlung mit Mitgliedern aller Landesteile) beauftragt werden. Eine weitere Übergangsregierung bis Dezember 2003 braucht dann die Bestätigung dieser Sonder-Loya-Jirga. Im Moment wird davon ausgegangen, dass die erste Interimsregierung bestätigt wird und daher bis Winter 2003 im Amt ist. In der Zeit der zweiten Übergangsregierung soll dann eine Verfassungs-Loya-Jirga einberufen werden, die eine Verfassung und ein Wahlrecht aufstellen soll. Die ersten freien Parlamentswahlen sollen dann spätestens am 22. Juni 2004 stattfinden. So der Plan.

Den Vorsitz der Interimsregierung übernimmt der bisher weithin unbekannte Paschtune Hamid Karsai – ein Kompromisskandidat des CIA und der pakistanischen Armeeführung, also zumindest in diesen Kreisen kein Unbekannter. Die Nordallianz stellt 16 Minister und besetzt – außer dem Vorsitz – auch alle wichtige Posten (u.a. Inneres, Verteidigung, Äußeres, Arbeit und Soziales oder Handel). VertreterInnen der Rom-Delegation (= AnhängerInnen des Exilkönigs Mohammed Zahir Schah) haben 7 MinisterInnenposten inne. Sie haben als einzige Delegation auch zwei Frauen nominiert. Die Stellvertretende Vorsitzende und Frauensprecherin Sima Samar und Gesundheitsministerin Suhaila Seddiki. Beide Frauen sind ÄrztInnen und beide haben ihren Beruf trotz Verbot der Frauenerwerbstätigkeit auch unter dem Talibanregime ausgeübt. Die restlichen 6 Sitze gehen an Vertreter verschiedenster Minderheiten, die weder der Nordallianz noch der Rom-Delegation angehören. Manche mögen es als Erfolg werten, dass zwei der 29 Regierungsmitglieder Frauen sind und das Frauenministerium – im Unterschied zu Österreich – auch von einer Frau geleitet wird, die gleichzeitig auch noch Stellvertretende Vorsitzende dieser Interimsregierung ist.

Mensch kann darin aber auch das Versäumnis sehen, nicht eine Frauenorganisation in die Regierungsbildung einzubeziehen, mit eigener Programmatik und gezielten Forderungen, die nicht nur die Rechte der Frauen zum Ziel haben sondern auch einen langfristigen Frieden. Gerade RAWA hat es in den letzten Jahren wie keine andere Organisation in Afghanistan geschafft, ihre Interessen an die (westliche) Öffentlichkeit zu bringen. Ihre Beteiligung wäre nicht nur eine Beteiligung einzelner Frauen gewesen, sondern eine Beteiligung einer Frauenorganisation, die mit anderen westlichen Organisationen zusammenarbeitet und eine breite Aussenwirkung hat. Klar, leichter wären die Verhandlungen sicherlich nicht geworden, da die RAWA einer der härtesten KritikerInnen der Nordallianz ist und ihre Forderungen auch für andere Delegierte durchaus problematisch sind. Aber soll die Zusammensetzung einer Konferenz und weiterführend einer Übergangsregierung wirklich von einer möglichst schnellen und einfachen Konsensfindung bestimmt werden?

Und gerade angesichts der sich jetzt schon abzeichnenden Probleme mit den Reformplänen, scheinen die Forderungen der RAWA so radikal wieder nicht. Denn schon eine Woche nach dieser Petersberger Konferenz in Bonn, weigert sich die Nordallianz, ihre Waffen niederzulegen und aus Kabul abzuziehen. Weiters lehnt die Nordallianz den in Bonn beschlossenen Einsatz einer UNO Friedenstruppe nun ab. In der Stadt Kandahar haben sich mehrere bewaffnete Gruppen eingefunden, um einen Anteil an der Macht zu sichern. Auch der usbekische Milizenführer General Abdul Rashid Dostum hat sich bereits quergestellt. Seine Fraktion bekam statt des geforderten Außenministeriums nur die Ressorts Landwirtschaft, Bergbau und Industrie. Er hat bereits angekündigt, den VertreterInnen der neuen Regierung den Zutritt in den Norden des Landes zu verweigern.

Die Forderungen der RAWA-Frauen sprachen und sprechen eben genau diese Probleme an und bieten durchaus vernünftige Lösungen, die in der Anfangsphase vielleicht schwieriger umzusetzen gewesen wären, dafür aber langfristig bessere Chancen auf Frieden verheißen. Ihr Ziel ist ein säkulares und demokratisches Afghanistan, in dem die Frauen in allen Belangen gleichberechtigt sind. Auf militärischer Ebene soll eine UNO Friedenstruppe mit internationaler und interkonfessioneller Beteiligung die alleinige Sicherung des Landes übernehmen. Gleichzeitig sollen alle Mudjahedingruppen entwaffnet werden und Kriegsverbrecher aller Fraktionen (auch der Nordallianz) vor ein Militärgericht gestellt werden. Forderungen, die angesichts des bereits entflammenden Machtkampfes durchaus sinnvoll erscheinen.

Auf politischer Ebene fordert RAWA die Miteinbeziehung des Königs als Integrationsfigur – auch wenn er sich bisher für Frauenrechtsfragen nicht besonders stark gemacht hat. Sie sprechen sich auch für eine Loya Jirga aus – diese sollte allerdings frei von jeglichen FundamentalistInnen sein, damit Frauen dort auch eine wichtige Rolle einnehmen können. Eine der wichtigsten Forderungen der RAWA, wegen derer sie wahrscheinlich auch nicht stärker in die Verhandlungen eingebunden waren, ist die Entmachtung der Nordallianz. Denn auch sie sind islamistische FundamentalistInnen, die die Macht in Verbindung mit Religion zur Unterdrückung von Männern und v.a. Frauen missbrauchten und wahrscheinlich wieder missbrauchen werden. Unter ihrer Macht gab es ebenfalls Vergewaltigungen, Plünderungen, Verschleppungen und Hinrichtungen. Vermutlich ist es auch zum Großteil der Nordallianz zu verdanken, dass die RAWA nicht an der Petersberger Konferenz teilnehmen durfte, geschweige denn einen Platz in der Interimsregierung einnehmen konnte.

Trotz (vorläufigem) Ausschluss aus der Regierung beteiligt sich die RAWA mit anderen Frauenorganisationen am 6. und 7. Dezember an einer gemeinsamen Konferenz – der "Afghan Women’s Summit for Democracy" – in Brüssel. Ziel ist eine gemeinsame Deklaration zur Rolle der Frauen im afghanischen Friedensprozess, sowie die Herstellung sozialer Absicherung für Frauen und ein Ende jeglicher Gewalt gegen Frauen. Nicht gerade radikale Forderungen, aber ein guter Anfang. Daraus zeigt sich ganz deutlich, dass die Rolle der RAWA auch weiterhin in der kritischen Haltung und massiver Zusammenarbeit und Öffentlichkeit mit westlichen Organisationen und Medien liegen muss. So können sie auch ohne Regierungsbeteiligung mit Hilfe internationalen Drucks Einfluss auf die Zukunft Afghanistans nehmen.

aus TATblatt Nr. +179 vom 14. Dezember 2001

 
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