Einen wichtigen Schritt in Richtung Zeitreisen machten dieser Tage ÖVP und FPÖ im Nationalrat: Die beiden Regierungsparteien sind drauf und dran, die Vergangenheit nachträglich zu verändern.
Veränderungsbedarf wurde erkannt, nachdem den "ExpertInnen" der beiden Parteien ein schwerwiegender Redaktionsfehler in Zusammenhang mit der Pensionsanpassung 2002 unterlaufen war. Sie hatten ihrer Pensionsberechnung eine Anpassung von 1,1% im Jahr 2000 zu Grunde gelegt und im zuständigen Beirat absegnen lassen. Doch dem war nicht so: Im Jahr 2000 waren die Pensionen um einen Fixbetrag von 0,6% sowie Pensionen bis etwa ATS 16000,- um einen Zusatzbetrag erhöht worden, die sich aus einer höchst unüberschaubaren Regelung des § 584 ASVG ergeben hatte. So alles in allem betrug diese Erhöhung durchschnittlich 1,1%.
Der Teufel steckt jedoch im Detail: In Wirklichkeit waren sehr niedrige Pensionen in der Höhe des Ausgleichszulagensatzes um etwa 2,6%, höhere Pensionen aber wieder nur um 0,6% erhöht worden. Eine gesetzeskonforme Berechnung der Pensionserhöhung 2002 auf Basis der Pensionen 2000 wäre daher erstens extrem kompliziert gewesen und hätte zweitens bewirkt, dass höhere Pensionen weit stärker angehoben werden müssten als niedrige. Also griff mensch zum im Gesetz nicht vorgesehenen Betrag von 1,1% als Berechnungsgrundlage.
Irgendwann scheint gedämmert zu sein, dass diese Vorgangsweise Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof Tür und Tor öffnet (witzigerweise hatten gerade die ÖVP-PensionistInnen eine VfGH-Beschwerde angekündigt). Also griffen die Koalitionsparteien noch tiefer in die Trickkiste und versuchten, den Durchschnittsbetrag von 1,1%, der nie ausbezahlt worden war, nachträglich im ASVG zu verankern. Dummerweise stellte sich heraus, dass die Regierungsparteien mangels eigener Gesetzesanträge (die erst im Plenum des Nationalrats eingebracht, dann Ausschüssen zugewiesen und erst nach einer Behandlung im Ausschuss schließlich im Plenum beschlossen werden können) keine Möglichkeit fanden, einen Abänderungsantrag zum ASVG einzubringen. Also wurde ein Uralt-Antrag der Grünen ausgekramt und auf die Tagesordnung des Wirtschaftsausschusses gesetzt.
Die Grünen auch nicht ganz blöd überringelten den Schmäh und zogen ihren eigenen Antrag zurück, womit die blau-schwarzen ParlamentarierInnen ziemlich bescheuert im Regen standen. Schließlich fanden sie doch noch eine Lösung: Im Zuge der Behandlung eines Gesundheitsgesetzes ließen sie zwei völlig unsinnige Worte per Abänderungsantrag aufnehmen und verknüpften diesen Antrag mit einer geringfügigen und völlig unbedeutenden Änderung im ASVG (es handelte sich um die Worte: "und Sanitäter"). Auf diese Weise kam das ASVG auf die Tagesordnung des Gesundheitsausschusses und ermöglichte einen weiteren Antrag zur Änderung des ASVG: eben die Festschreibung der 1,1% Pensionserhöhung im Jahr 2000.
Die Regierung dürfte jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben: Laut ÖVP-PensionistInnenorganisation stehen jene PensionistInnen, die nie 1,1% Pensionserhöhung gesehen haben, Schlange, um das Gesetz aufheben zu lassen. Gute Chancen hätten sie: Die Realität, also die geringere Pensionsanpassung, lässt sich eben nicht per rückwirkender Gesetzesänderung umdeuten.
Das Beispiel sollte uns vielleicht einfallen, wenn ÖVP- und FPÖ-PolitikerInnen wieder einmal behaupten, RegierungskritikerInnen hätten keinen Respekt vor den Regeln der Demokratie....
aus TATblatt Nr. +179 vom 14. Dezember 2001
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