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Die Hunde bellen
...aber beißen sie?

hobo

Vor zwei Jahren, am 19. Dezember 1999, stürmten mehrere Hundertschaften der Polizei das Kulturzentrum Mehringhof in Berlin. Mehrere Verhaftungen im gesamten Bundesgebiet wurden von der deutschen Bundesanwaltschaft mit der angeblichen Mitgliedschaft der Verhafteten in den Revolutionären Zellen (RZ) begründet. Auslöser für die Durchsuchungen und Verhaftungen waren die belastenden Aussagen von Tarek Mousli, der nach zweimaliger Verhaftung der Bundesanwaltschaft als angeblicher Kopf der RZ und aussagewilliger Kronzeuge zur Verfügung steht.

Der Schlag der Behörden gegen angebliche Mitglieder der RZ erfolgte damit gut sieben Jahre nach deren Selbstauflösung, die eine RZ-Gruppe aus Nordrhein-Westfalen mit ihrem Diskussionspapier "Das Ende unserer Politik" im Jänner 1992 eingeleitet hatte. Zu diesem Zeitpunkt verbuchte das Bundesamt für Verfassungsschutz 285 militante Aktionen auf das Konto der Revolutionären Zellen bzw. der Roten Zora, die spätestens seit 1977 als eigenständige feministische Gruppierung mit Naheverhältnis zu den RZ aufgetreten waren. Unter dem Namen RZ waren so unterschiedliche Aktionen durchgeführt worden wie ein Sprengstoffanschlag auf eine israelische Firma gemeinsam mit der Gruppe Schwarzer September (1973), auf das Konsulat des chilenischen Pinochet-Putschregimes in Berlin (1974), gegen das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wegen des "Abtreibungsparagraphen 218" (Rote Zora; 1975), gegen die Berliner Ausländerbehörde (1975), gegen Fahrscheinautomaten des umkämpften Verkehrsverbundes in Frankfurt (1975), die Schwarzfahrerkartei desselben (1976), Anschläge gegen am Bau der Frankfurter Startbahn West beteiligten Firmen (1982), Schüsse in die Beine des Leiters der Berliner Ausländerbehörde (1986), ein Sprengstoffanschlag gegen die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylwerber in Berlin (1987), Brandsätze gegen neun Adler-Filialen wegen der Arbeitsbedingungen in Trikontländern (Rote Zora; 1987), Schüsse in die Beine eines Bundesverwaltungsrichters (1987), und viele andere mehr.

1975 war die erste Ausgabe des "Revolutionären Zorns" erschienen, in dem die RZ die Notwendigkeit illegaler Strukturen im weltweiten Kampf um Befreiung betonten. 1976 beteiligten sich Mitglieder der RZ gemeinsam mit PalästinenserInnen an der Entführung eines Flugzeuges nach Entebbe, die in der Aussonderung der jüdischen Fluggäste gipfelte und mit der Erschießung der EntführerInnen endete. Im Jahr darauf gab Hans-Joachim Klein seinen Ausstieg aus den RZ in einem offenen Brief bekannt. 1981 erschoss im Zuge der Auseinadersetzungen um die Startbahn West eine RZ-Gruppe den hessischen Wirtschaftsminister Karry unbeabsichtigter weise (auch diese Schüsse hätten nur den Beinen des Opfers gegolten). 1986 starteten die RZ ihre Flüchtlingskampagne, mit der sie auch neue Brücken zu anderen linken/revolutionären Gruppen schlagen wollten, doch 1987 holen die Behörden zu einem bundesweiten Schlag gegen Verdächtigte aus, denen Beschäftigung mit "anschlagsrelevanten Themen" wie Gen- und Reproduktionstechnologie nachgesagt wird. Eine schwere Krise innerhalb der Strukturen der RZ wird spätestens mit dem Text zum Tod des RZ-Mitgliedes Gerd Albartus 1991 offenbar, der sich einer palästinensischen Gruppe angeschlossen hatte und von deren Angehörigen erschossen worden sein dürfte.

Im Februar 1991 verüben die RZ anlässlich des Krieges gegen den Irak noch einen Sprengstoffanschlag auf die Berliner Siegessäule, ein knappes Jahr später erscheint jedoch der oben erwähnte Text zur Selbstauflösung einzelner RZ-Gruppen.

Schon ein Jahr davor war Hans-Joachim Klein verhaftet worden, der sich in Frankreich eine bescheidene Existenz aufgebaut hatte. Sein Fall hätte wahrscheinlich nicht für allzu viel Aufsehen gesorgt, hätte nicht der nunmehrige deutsche Außenminister Joschka Fischer im Rahmen des Prozesses gegen vermeintliche Beteiligte am Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975 zu seiner militanten Vergangenheit zu Zeiten des Frankfurter Häuserkampfes 1970-74 und sein damaliges Verhältnis zu den späteren RZ aussagen müssen.

Die Aussagen des angeblichen Rädelsführeres Tarek Mousil schließlich führten ab 1999 zur Verhaftung einer Reihe von Personen, die der Mitgliedschaft in den RZ bezichtigt werden.

Es sind die Umstände der Verhaftung Tarek Mousils, die Fragezeichen ob seiner wirklichen oder von den Behörden erfundenen Beziehungen zu den RZ sowie das Rätseln nach den Gründen seiner Zusammenarbeit mit der Bundesanwaltschaft nach jahrelangem Engagement in autonomen/antiimperialistischen/revolutionären Zusammenhängen, die vehemente Diskussionen auslösten, und die ihren Niederschlag in einer Sammlung von Texten im UNRAST Verlag fanden. Was zu diesem Zweck zusammengestellt wurde, ist eine Mischung aus dem Versuch, die turbulente Geschichte der RZ aus den militanten Kämpfen der 60er und 70er Jahre zu erklären, dem Versuch, die fatalen Folgen einer frühen antizionistischen Politik und den späten Einsichten in antisemitisches Handeln begreifbar zu machen, und Positionen zur Idee und zum Scheitern der RZ aus heutiger Sicht zu entwickeln.

Der Untertitel des Bandes verspricht Eine Zeitreise durch die 68er Revolution und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre, als HerausgeberInnen fungiert die autonome L.U.P.U.S.-Gruppe, die in viele der angesprochenen Kämpfe über die Jahre eingebunden war. Leider wurde dem Buch damit zuviel zugemutet. Der schmale Band kann auf 190 Seiten nicht leisten, was in den beiden Bänden Die Früchte des Zorns begonnen wurde. Vieles wird nur angeschnitten, manches verschwimmt unter den persönlichen Eindrücken der AutorInnen.

Was das Buch bieten kann, ist ein Überblick über die Geschichte der RZ und mit ihnen in Zusammenhang gestandener Entwicklungen. Denn dass wichtige Impulse von den Aktivitäten und Stellungnahmen der RZ ausgingen, ist unbestreitbar – in Anlehnung an sie wie in Abgrenzung zu ihnen. So wird vieles in Erinnerung gerufen, was sonst rasch der politischen Vergesslichkeit anheim fällt oder von MeinungsmacherInnen in Medien und Tagespolitik zurechtgebogen wird, erst recht wenn ehemalige Mitglieder der Frankfurter "Putztruppe" heute Minister spielen dürfen.

 

Autonome L.U.P.U.S.-Gruppe
Die Hunde bellen …
Von A bis RZ
Eine Zeitreise durch die 68 Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre

UNRAST Verlag, 2001
190 Seiten; ca. 13 Euro
Erhältlich auch im Infoladen X im EKH.

 

aus TATblatt Nr. +180 vom 18. Jänner 2002

 
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