Festival der Verfolgung:
Italienische AnwältInnen ermitteln in Berlin
Als auf der Berlinale unlängst der italienische Dokumentarfilm "Eine andere Welt ist möglich" über die Proteste gegen den G 8-Gipfel in Genua vorgeführt wurde, war der Andrang so riesig, dass man den Streifen gleich ein zweites Mal zeigte.
Jungle World
Kaum ist das Festival vorbei, kümmert sich nun eine weitere Berliner Institution um die Ereignisse jener Julitage: die Staatsanwaltschaft. Um ihren italienischen Kollegen Rechtshilfe zu geben, verhören die Strafverfolger am Amtsgericht Moabit noch bis Freitag 16 Berliner GlobalisierungskritikerInnen, die zu den Opfern des brutalen Polizeiüberfalls auf die Escuola Diaz in Genua gehören. "Ich werte die Ermittlungen als positiv", freut sich Hans-Christian Ströbele von den Grünen.
Eine "Berlinale" der Gerechtigkeit, so mag man mitjubeln, könnte nun doch endlich auch Bewegung in die Ermittlungen gegen jene Polizeibeamten bringen, die Menschen in ihren Schlafsäcken verletzten, bespuckten und mit Vergewaltigung bedrohten. Doch zum Optimismus gibt es wenig Anlass. Denn Staatsanwalt Jürgen Heinke, der die Verhöre im Beisein seiner italienischen Amtskollegen leitet, ist als Linkenhasser bekannt. Der Angehörige der Staatsschutzabteilung kümmert sich um "politische Straftaten und Extremismus" und wird die Betroffenen keineswegs nur als Zeugen befragen. Zunächst sind acht Personen auch als Beschuldigte einbestellt, die von der italienischen Justiz verschiedener "Straftaten am Rande des Weltwirtschaftsgipfels" verdächtigt werden, darunter auch der "Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung black bloc".
Gerade das Konstrukt des so genannten Schwarzen Blocks verdeutlicht, dass in Italien der politische Verfolgungswille stark genug ist, um auf tatsächliche Beweise zu pfeifen. Ein simples schwarzes T-Shirt reichte mitunter aus, um den Terrorismusverdacht zu begründen. Diese Praxis ist auch in Deutschland gang und gäbe. Bereits Ende August meldete Spiegel-Online, die BKA-Abteilung "Polizeilicher Staatsschutz" habe während des G 8-Gipfels Erkenntnisse über GlobalisierungsgegnerInnen aus "deutschen Behördencomputern an ihre italienischen Kollegen geliefert - darunter offensichtlich auch Falschmeldungen".
Doch einen Medienrummel wie bei der Berlinale wird es in Moabit nicht geben. Meldungen wie jene, dass die an den Polizeiübergriffen beteiligten Beamten im Amt bleiben durften (Jungle World, 52/01), oder der Befund einer jüngst in Italien veröffentlichten Untersuchung, das in Genua eingesetzte Tränengas sei geeignet, bleibende gesundheitliche Schäden zu verursachen, locken hierzulande keinen Journalisten mehr hinter dem Ofen hervor. Was also wird von einer Abteilung der Staatsanwaltschaft zu erwarten sein, der nachgesagt wird, fast ausschließlich im linken Spektrum zu ermitteln? Sie wird versuchen, jenen, die "eine andere Welt" für möglich halten, genau diesen Optimismus auszutreiben. Die sich häufenden Meldeauflagen für AktivistInnen sowie der Einsatz von BKA-Beamten, die bei keinem Gipfel fehlen, verdeutlichen, dass auch ohne Sicherheitspakete genügend repressive Register zur Verfügung stehen. Dabei macht sich der deutsche Staat keineswegs nur zum "Handlanger des Berlusconi-Regimes", wie die Berliner Betroffenen in einer Erklärung schreiben, sondern er verfolgt ureigene Interessen. Schließlich treibt die Bundesregierung unter der Regie von Innenminister Otto Schily die internationale Kooperation der Sicherheitsbehörden so nachdrücklich voran wie kein anderes EU-Land.
"Unsere Waffe heißt Solidarität", lautet eine Zeile im Aufruf anlässlich der Vernehmungen. Bleibt zu hoffen, dass möglichst viele den Betroffenen dabei helfen, diese Waffe einzusetzen.
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aus TATblatt Nr. +182 vom 21.Februar 2002
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