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"Mit 'Nie wieder Faschismus' legitimieren sie alles, was sie dem Faschismus verdanken; mit der Forderung, Auschwitz dürfe sich nicht wiederholen, wird alles gutgeheißen, was durch Auschwitz möglich geworden ist - damit auch die Voraussetzung, dass es sich wiederholen kann." (G. Scheit)

Die Meister der Krise

hobo

Im Vergleich zum Zweiten war der Erste Weltkrieg unvollkommen geblieben. Weder die Vernichtungsgewalt des Krieges von 1914-18 noch der damit einhergehende Modernisierungsschub vermochten den Erben des Krieges Wohlstand und Glückseligkeit zu bescheren. Alle kriegsführenden Länder schlitterten in eine Rezession, allen voran jedoch die eigentlichen Verlierer des Krieges. Den Menschen blieb nicht viel. Was vielen aber blieb, war ihr Wahn, Schuldige dingfest machen zu können, und zwar als ein Phänomen der Natur. Eine jüdische Rasse, im Judenhass immer schon mit Geld identifiziert und als Vaterlandsverräter gebrandmarkt, sollte nun für Dolchstoßlegende, Schandfrieden und Weltverschwörung verantwortlich gemacht werden.

Das Management der wirtschaftlichen Krise, die der erste Krieg nicht hatte auflösen können, verlangte aber nach mehr, sollte der soziale Frieden zugunsten der Eliten gewahrt bleiben. In Ausrufung der Volksgemeinschaft wurde also die soziale Frage ausgeblendet, die Arbeitskraft wie ihre Reproduktion - "Kraft durch Freude" - verstaatlicht. Angetrieben durch die Aufrüstung wurde die Integration aller Schichten der Gesellschaft vorangetrieben und durch den Ausbau eines weltweit neuartigen Sozialsystems gestützt. Die Identifikation mit Staat und Kapital wurde total, jede Maßnahme zur Überwindung der Krise diente jedoch der Vorbereitung auf den totalen Krieg. Dieser wäre aber selbst in Deutschland nicht ohne das alles umspannende Feindbild der "jüdischen Gegenrasse" zu führen gewesen. Die totale Identifikation mit dem Staat wurde nur möglich durch die Phantasie der Vernichtung, die in den deutschen Lagern ihre Verdinglichung erfuhr.

"Die deutsche Volksgemeinschaft", schreibt Gerhard Scheit, "fand in der Vernichtung der Juden zu sich selbst". Die Vernichtungsphantasien und ihre Umsetzung wären nicht nur substantiell für das Dritte Reich gewesen, führt er weiter aus, sondern gerade auch für die erfolgreiche Nachkriegsentwicklung in den NS-Nachfolgestaaten. Die Vernichtung war die Voraussetzung für den Wohlstand, für Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Die Kriegsgeneration und ihre Nachkommen sind die ErbInnen der Vernichtung und des daraus entsprungenen Profits.

Die Fähigkeit der deutschen und österreichischen Gesellschaft, sich so rasch von den Zerstörungen des Krieges zu erholen, der Aufschwung, der unmittelbar einsetzte, fußten nicht etwa auf dem Fleiß und der Schufterei der "Aufbaugeneration", die eben noch die Vernichtungsgeneration gewesen war, sondern auf der Beute aus Weltkrieg und Massenmord, auf den Früchten von Zwangs- und Sklavenarbeit. "Mit dieser Beute konnten - ganz anders als nach dem Ersten Weltkrieg - in der Währungsreform von 1948 die übriggebliebenen Schulden des Dritten Reichs gegengerechnet werden. Die deutsche Bevölkerung verlor dabei angeblich noch immer neun Zehntel ihrer Ersparnisse, der große Gewinn sprang jedoch dadurch (auch für sie) heraus, dass das industrielle Sachvermögen zum vollen Wert in die DM-Eröffnungsbilanz eingesetzt werden konnte. Und dieses Sachvermögen war durch den einzigartigen Investitionsschub des Nationalsozialismus, durch Aufrüstung und Krieg, beträchtlich gesteigert worden."

Zur Führung des Vernichtungskrieges waren die Bedingungen geschaffen worden, die deutsche Arbeitsgesellschaft durchzurationalisieren, ihre innovativsten Kräfte freizusetzen. Firmen wie Krupp konnten ihren Jahresumsatz in den Kriegsjahren verzwanzigfachen, der Umfang der Investitionen konnte die Kriegsschäden tatsächlich aufwiegen, und Deutschland stand nach dem Krieg mit einem stärkeren industriellen Potential da als davor.

Es waren aber nicht nur die materiellen Werte, die den naht- und schadlosen Übergang von der NS- zur erfolgreichen Nachkriegsgesellschaft ermöglichten. Dass den Wiederaufbau die alten Funktionseliten bewerkstelligten, steht für die personelle Kontinuität, wesentlicher aber für das Klima des sozialen Friedens war die homogene Arbeitsgesellschaft, die Eintracht aus Eliten, Angestellten und ArbeiterInnen, die auf nichts geringerem fußte als der Volksgemeinschaft. Eines der Flaggschiffe des Aufschwungs und des sozialen Friedens im Nachkriegsösterreich verband das eine mit dem anderen auf quasi ideale Weise: Die verstaatlichte VÖEST, unter dem Namen Hermann Göring-Werke als der Nazis größtes Industrieprojekt im Land gegründet, stand jahrzehntelang für den harmonischen Verlauf der Sozialpartnerschaft und die Stabilität der Gesellschaft.

Angesichts einer postmodernen Vereinzelung der ZivilgesellschaftsbürgerInnen attestiert der Autor zwar eine "Atomisierung der Volksgemeinschaft", die aber einer Verinnerlichung derselben gleichkomme. Mit A. Benl im Einklang zieht Scheit den Schluss: "Der materielle und psychische Mehrwert, den die VolksgenossInnen daraus (Anm: der Vernichtung) zogen, gab ihrer Selbstverpflichtung gegenüber dem staatlich definierten Gemeinwohl eine Kontinuität, die z.B. das Franco- oder Mussolini-Regime nie durchgesetzt haben ... Die im In- und Ausland bewunderte Stabilität der bundesdeutschen und österreichischen Demokratien beruht auf der phantasmatischen Substantialisierung der abstrakten Gleichheit der Bürger zur pseudokonkreten Homogenität der rassistischen Volksgemeinschaft im Nationalsozialismus."

Gerhard Scheit
Die Meister der Krise
Über den Zusammenhang von Vernichtung und Volkswohlstand
ça ira Verlag, 2001
223 Seiten; ca. 18 Euro.
Wahrscheinlich auch im Infoladen X im EKH erhältlich.

 

P.S.: Die hier vorliegende Buchbesprechung behandelt den ersten Teil von Gerhard Scheits neuem Buch Die Meister der Krise. Der zweite Teil untersucht die selbe Frage, allerdings aus einem ganz anderen Blickwinkel. Dabei versucht Scheit die "Meisterdenker der Krise" in einer Auseinandersetzung mit Kant, Schelling, Lessing, Fichte, Marx, Hegel, Weininger, Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger und vielen anderen auszumachen. Es stellt sich dabei der Eindruck ein, Scheit wolle mit den Herren gerne unter sich bleiben. In meinem Fall haben sie das auch geschafft.

aus TATblatt Nr. +182 vom 21.Februar 2002

 
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