Am 26. Februar 2002 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einer Beschwerde des TATblatt-TrägerInnenvereins stattgegeben: Die Republik Österreich, so der Gerichtshof, hat im Jahr 1993 das Grundrecht der freien Meinungsäußerung verletzt, in dem sie dem TATblatt per einstweiliger Verfügung untersagte, dem damals auch nominellen FPÖ-Obmann Jörg Haider das Betreiben rassistischer Hetze vorzuwerfen.
TATblatt
Die TATblatt-Redaktion hat sich immer schon ein wenig als ChronistInnen-vereinigung verstanden. Bereits Ende der Achtziger Jahre bemühte sie sich, die wesentlichen Diskussionsbeiträge etwa in der Vorbereitung der Opernball-Demonstrationen zu publizieren. Geradezu internationale Bekanntheit hat die erst kürzlich beendete "Chronologie des Widerstands" gegen Blau-Schwarz erlangt. Eine ähnliche Aufgabe hatte sich die Redaktion auch im Vorfeld des rassistischen FPÖ-Volksbegehrens "Österreich zuerst" zur Jahreswende 1992/93 gestellt: Nach Möglichkeit umfassend Aktionen gegen das Volksbegehren zu dokumentieren...
Der Widerstand kennt viele Ausdrucksformen
Derer gab es nicht wenige: Unbekannte TäterInnen hatten etwa einen Baucontainer vor einem Bezirksamt abgestellt und darin über eine halbe Stunde hinweg Unterschriften für das Volksbegehren gesammelt. Einige ebenso unbekannte TäterInnen ließen ihre Wut auf arme, unschuldige FPÖ-Büros niederprasseln und riefen eine "Volkssportliga" aus, in der jene Stadt als SiegerIn hervorgehen sollte, in der die meisten FPÖ-Büros beschädigt wurden (die Siegerstadt wurde nie ermittelt). Andere AktivistInnen spazierten stundenlang durch die FußgängerInnenzonen Wiens, um PassantInnen vor der drohenden "Katholikenflut" zu warnen und konnten auf diese Weise - sie hatten die FPÖ-Forderungen des Volksbegehrens eins zu eins auf KatholikInnen umgemünzt - ernsthaft Betroffenheit auslösen. Und wieder andere verschafften ihrem Ärger über die Produktion einer Wandzeitung namens "Querformat" Luft, in der sie unter dem Titel "Rassismus hat Name und Adresse" Namen, Adressen und Telephonnummern einer größeren Zahl von FPÖ-FunktionärInnen auflisteten und dazu texteten:
"Die FPÖ und ihre Funktionär/innen sind doch sicherlich an unserer Meinung interessiert! Rufen wir sie also an, und sagen wir ihnen, was wir von ihnen und ihrer Politik halten. Oder schicken wir ihnen kleine Aufmerksamkeiten als Antwort auf ihre rassistische Hetze."
Die Wandzeitung, die in einer Auflage von mehreren Tausend in Wien affichiert worden sein muss, trug ein - sagen wir einmal - phantasievolles Impressum. Da dessen ProduzentInnen folglich nicht eruierbar waren, hielt sich die FPÖ - stellvertretend für die angeführten Funktionäre Jörg Haider - an die ChronistInnen: ans TATblatt, das die Wanderzeitung dokumentiert hatte. Dieses hat selbstverständlich auch Name und Adresse und erhielt im Frühjahr 1993 eine kleine Aufmerksamkeit der FPÖ in Form einer Unterlassungsklage zugestellt.
Fäkalsendungen
Das Urteil wanderte nach Strassburg, wo es - obwohl gerade die Österreich betreffende Judikatur des EGMR bzw. seines Vorgängers recht eindeutig auf einen unabwendbaren Erfolg des TATblatts hindeuteten - unter Aktenbänden verschwand und erst Jahre später wieder aus der Versenkung hervor geholt wurde.
Das ganze Urteil? Nein! Eine kleine, unbeugsame Passage des Urteils - jene betreffend die "kleinen Aufmerksamkeiten" - wurde nicht angefochten, da sie im eigentlichen Urteil nur eine untergeordnete Rolle spielte. Darüber hinaus hatte in der Zwischenzeit ein Österreicher "kleine Aufmerksamkeiten" ganz anderer Art verschickt: Briefbomben.
Mit dem rechtsextremen Terror in Österreich erhielt der Text der im TATblatt dokumentierten Wandzeitung einen völlig neuen Charakter, der weder von der TATblatt-Redaktion und auch wohl kaum von den TextverfasserInnen intendiert gewesen sein kann. Sie war vor dem Dezember 1993 (dem Beginn des Briefbomben-Terrors in Österreich) auch von der FPÖ nicht so verstanden worden: Selbst der FPÖ-Funktionär Holger Bauer hatte während der Eintragungswoche des FPÖ-Volksbegehrens im Rahmen einer larmoyanten Presseerkärung, in der politischer und physischer Druck auf aufrechte, unterschriftswillige StaatsbürgerInnen beklagt worden war, nur von "Fäkalsendungen" berichtet, die in der FPÖ-Zentrale eingegangen waren.
Mit Eintritt der rechtsextremistischen FPÖ in die Regierung erlangte das Verfahren neue Brisanz: Es war nicht ganz nachvollziehbar, warum dem TATblatt nicht zu behaupten gestattet sein sollte, was die ganze Welt über Jörg Haider und seine Partei behauptete. Im September 2000 wurde das Verfahren vom EGMR akzeptiert und in der Folge behandelt.
Das Urteil...
...des EGMR ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.
Es stellt grundsätzlich fest, dass der Vorwurf der "rassistische Hetze" im politischen Kontext gesehen werden muss, in dem er erhoben wurde. Dieser Kontext ist das Volksbegehren "Österreich zuerst", mit dessen Inhalten sich der Gerichtshof bei der Prüfung des Falles beschäftigt hat.
Das EGMR war nicht davon zu überzeugen, dass das Statement "rassistische Hetze" eine Tatsachenbehauptung war. Der Vorwurf könne vielmehr nur als Werturteil verstanden und als "einwandfreier" Kommentar in einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse angesehen werden.
Es hält fest, dass an die Arbeit von JournalistInnen grundsätzlich andere Maßstäbe anzulegen sind als etwa an die Arbeit von StaatsanwältInnen oder RichterInnen vor Gericht.
In seinem Ausführungen merkt der Gerichtshof an, dass ein Politiker sicherlich eines Schutzes seiner Reputation bedarf, ..., aber diese Bedürfnisse gegen die Interessen einer offenen Diskussion politischer Fragen aufgewogen werden müssten.
Damit ist das Urteil weit über den Anlassfall hinaus von Bedeutung: Es war bisher in Österreich oft geübte Praxis, kritische Stellungnahmen wie etwa "Tierquälerei" oder "Umweltverschmutzung" mit dem Vorwurf der Verletzung gleichnamiger Strafbestimmungen gleichzusetzen. Zahlreiche UmweltschützerInnen wissen von derartigen Unterlassungsklagen zu berichten, die allein auf Grund der hohen Gerichtskosten existenzgefährdend sein können. Das Urteil des EGMR hat nunmehr dieser österreichischen Praxis (zumindest teilweise) einen Riegel vorgeschoben: Aus einem verbal im Rahmen einer öffentlichen Diskussion erhobenen Vorwurf allein kann noch kein Vorwurf einer strafbaren Handlung abgeleitet werden....
Was weiter passiert
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Republik kann binnen drei Monaten in Berufung gehen. Dies wird jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach zu nichts führen, da die Entscheidung der RichterInnen einstimmig gefallen war und sie in konsequenter Fortschreibung der bisherigen Judikatur des EGMR erfolgte.
Das heißt jedoch noch lange nicht, dass jetzt jeder Mensch bedenkenlos "Haider betreibt rassistische Hetze" behaupten kann. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung schützt nämlich sinnvollerweise nicht unsubstantiierte Beleidigungen, sonder begründete, in einen konkreten Zusammenhang gestellte Meinungen (die auf Grund ihres Charakters als Meinung nicht "richtig" oder "falsch" sein können, also einer Überprüfung nicht zugänglich sind). Welche also das ohnehin Bekannte nunmehr auszusprechen suchen, sollten stets eine untermauernde Begründung anhängen.
Derer gibt es hinsichtlich Jörg Haiders und der FPÖ ohnehin zuhauf. Nicht zuletzt die Diskussion um die rassistische blau-schwarze "Integrations"-Vereinbarung liefert inhaltliches Unterfutter noch und nöcher...
Sollte die Republik - vertreten ganz zufälligerweise vom seinerzeitigen Klagsvertreter Böhmdorfer - keine Berufung erheben, so wachsen gute € 17000,- zum TATblatt hinüber. Kassiert hat diese 1993/94 jener Mann, der damals Rechtsvertreter Haiders, heute jedoch Justizminister ist. Retourniert wird es jedoch auf Kosten der SteuerzahlerInnen.
aus TATblatt Nr. +183 vom 14.März 2002
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