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Nieder mit den Zäunen!

Bericht von antirassistischen Aktivitäten in Woomera, Australien

Der folgende Bericht wurde auf indymedia veröffentlicht und spiegelt einen persönlichen Zugang zu den Aktionen in Woomera wieder, im Zuge derer es mehreren AsylwerberInnen gelang, auf dem Internierungslager in Woomera zu fliehen. Die meisten von ihnen wurden jedoch später wieder verhaftet und erneut interniert.

von "down under aktionstourismus", bearbeitet

Am Donnerstag, den 28. März hat es begonnen: Woomera 2002. Mitten im australischen outback gelegen, haben sich hier seit Donnerstag ungefähr 1000 Menschen aus ganz Australien eingefunden und die weite Reise mitten in die Wüste gemacht, um gegen das detention centre (das örtliche Internierungslager), atomical and chemical waste dumping, Landenteignung und Marginalisierung der indigenen Bevölkerung zu campen und zu protestieren.

Am Donnerstag hatte das Camp begonnen, und nachdem ca. 40 Menschen die ersten Zelte aufgebaut hatten, versuchte die Polizei das entstehende Camp zu räumen. Dieser erste Versuch wurde vereitelt und vorübergehend Verhaftete konnten befreit werden.

Am Freitag, dem eigentlichen Anreisetag, machte sich dann gegen 18.00 Uhr eine 'no one is illegal' - Spontandemo auf den Weg zum ersten der drei Zäune, die das Camp umgeben. Eigentlich als Rütteln-am-Zaun Aktion geplant, gab es kurz vorher die Information, dass die Inhaftierten im Detention Centre zur gleichen Zeit einen riot starten, um am Zaun die Camp-TeilnehmerInnen zu begrüßen.

Der erste Zaun, 3 m hoch und oben mit dickem Nato-Draht (rasiermesserscharf) gesichert, wurde durch das beherzte Klettern und Rütteln schnell überwunden, um dann, berauscht von der Entschlossenheit der Aktion, bis zum eigentlichen Zaun, hinter dem die Gefangenen schon auf uns warteten, vorzudringen. All dies geschah bis dahin ohne Polizeibegleitung, was sich für europäische Verhältnisse eher surreal anfühlte, so mitten in der Wüste.

Nach begeistertem, solidarischem Empfang und zahlreicher Willkommensgesten auf beiden Seiten geschah irgendwann das Unfassbare. Inhaftierte bogen mit einer Metallstange eine Öffnung in den Zaun und einer von innen sprang nach außen. Unglaublicher, frenetischer Jubel auf beiden Seiten. Die geringfügig vorhandenen PolizistInnen wollten ausrasten, waren aber zu wenige, so dass nach und nach weitere Gefangene auf diesem Weg den Knast verließen.

free the refugees

Ein wohl unglaublicher Moment für viele von uns, das ewige "free the refugees"-Skandieren war plötzlich mehr als nur eine Parole. Des weiteren wurden einige Wiederfestnahmen durch AktivistInnen vereitelt, spontan, von vielen mitgetragen. Irgendwann gelang es der Polizei, den Zaun notdürftig abzuriegeln, trotzdem sprangen weitere von innen über die Polizeikette nach außen.

Insgesamt entkamen 47 Personen (laut Mainstream-Medien) der Hölle von Woomera, ca. 15 wurden jedoch sofort von Greiftrupps der Polizei wieder festgenommen, der Rest floh ins Camp. Nach ca. 2 Stunden verließen wir das Areal, etwas angetrieben von 8 Pferden und ca. 100 Polizisten.

Nun war eine völlig neue Situation entstanden, mit der wohl keineR gerechnet hätte. Eine unbekannte Anzahl von Geflohenen versteckte sich in unterschiedlichen Zelten im Camp, darauf wartend, dass wir unser Versprechen einlösen und sie befreien und in Sicherheit bringen. Während bis in die Nacht hinein intensivst diskutiert wurde, versuchten Einzelne nach dem Abzug der Bullen, die das Camp umstellt hatten, die Befreiten aus dem Camp in die nächstgelegenen Städte rauszubringen (Port Augusta 200 km, Adelaide 500 km, dazwischen Wüste).

Es war total unklar, was die Polizei plante und was denn nun zu tun sei; die Entkommenen waren in äußerstem Stress und warteten auf weitere Unterstützung; einige wollten sich lieber sofort töten als zurück in den Knast zu gehen. (Einige saßen seit 2 Jahren in Abschiebehaft, auf andere wartet ein Folterregime).

Eine wirkliche Lösung in dieser Nacht gab es nicht, es ist nur bekannt, dass 37 von den 47 wieder gefangen genommen worden sind. Einige sind von der ACM (privates Wachpersonal von Woomera) bei den Verhaftungen oder später misshandelt worden, u.a. wurden ein zwölfjähriges Mädchen und ein dreizehnjähriger Junge mit Knüppeln geschlagen).

Es ist nicht sicher, was den anderen zehn passiert ist, aber einige sind definitiv durch die Polizeisperren gekommen. Es gibt ein Netzwerk zur Unterstützung von illegalisierten MigrantInnen. Allerdings gab es neben großer Begeisterung auch einiges an Selbstkritik bezüglich mangelhafter Vorbereitung für die Folgen der Aktion, zu negativ zu planen und dementsprechend solch eine Situation erst gar nicht zu denken.

Einige MigrantInnen waren sehr enttäuscht und fühlten sich im Stich gelassen, mit dem wohl schrecklichen Gefühl nach einem kurzen Moment der Freiheit wieder eingesperrt zu werden.

Kritik an der Aktion

Am folgenden Tag, die meisten Leute schienen eher müde und beschäftigt die Ereignisse des Vortags und der Nacht zu verdauen, geschah eher wenig. Allerdings gab es nachmittags im Rahmen eines Meetings, das die eigentlichen BesitzerInnen des Landes, Leute vom Kokatha-Volk einberufen hatten, Kritik an der Aktion. Diese wurde als zu gewaltätig und so nicht mit den indigenen EignerInnen abgesprochen empfunden. So zeigte sich für uns, dass das geplante Zusammenbringen der verschienden Kämpfe sehr schwierig ist, solange nicht-indigene AktivistInnen nicht respektvoll genug mit den ursprünglichen EignerInnen umgehen. Die Kokatha Leute kämpfen seit Jahrzehnten um die Rückgabe ihres Landes, gegen den Uraniumabbau auf ihrem Land, Atommüllendlager, den Abschiebeknast und befürchten, dass ihre Forderungen im gerade hippen Kampf für die Rechte der Flüchtlinge untergehen.

So wurde beschlossen, eine Resolution für die UN zu verfassen, die die Kokatha in ihrem Kampf unterstützt und die verschieden Kämpfe solidarisch verbindet. Im Camp gab es Schwierigkeiten, den nötigen Respekt nicht mit hierarchisiertem Gehorsam zu verwechseln, also selbständig zu denken und respektvoll zu handeln - für uns als deutsche Aktivisten ein krasses Thema, ein fortschreitender Genocide, Landrechte, überhaupt die Anerkennung des Völkermordes an den Aborigines und wie das Leute, die die weiße Dominanzkultur gewöhnt sind, so für sich umsetzen. Viel zu denken und etwas andersartigen Rassismus neu zu erleben...

Auf AktivistInnen Seite gab es ca. 30 Verhaftungen (alle sind wieder frei, aber vom Camp gebannt), wenige Verletzte, relativ wenig Polizeistress, was u.U. auf Kompetenzstreitigkeiten innerhalb der verschiedenen Ordnungsinstanzen (Commonwealth-Police, South-Australia- und Federal-Police) zurückzuführen ist - das gesamte Areal befindet sich im vom Commomwealth geklauten und militärisch abgesicherten Sperrgebiet, welches in den 50igern auch als Atomtestgelände missbraucht wurde (noch heute sterben Kokatha People und andere an den Folgen der Tests ).

Vor Gericht

Am Dienstag, dem 02.04.02, wurden die wieder eingefangen "detainees" dem Richter in Adelaide vorgeführt. Einzeln, alle dreißig nacheinander. Ihnen wurde in einem unglaublichen und unmenschlichen Prozedere vorgegaukelt, es gäbe die Chance, gegen Kaution freizukommen - nämlich für all jene, denen in den nächsten Wochen ein temporäres Visum gewährt würde. Die Anwältin der Geflüchteten musste den Richter mehrmals auffordern, den vorgeführten die Tatsachen (per Dolmetscher) zu vermitteln. Alle sind bereits als "berechtigte" Flüchtlinge abgelehnt worden - also werden sie nach dieser Posse wieder die 500 km durch die Wüste in das Internierungslager nach Woomera zurückgebracht.

Es waren knapp 150 UnterstützerInnen vor Ort, 50 wurden im Saal zugelassen. Es wurde Lärm gemacht, aber für uns stellte sich das Ganze als ziemlich hilflos dar. Toll ist aber, dass tatsächlich einige durchgekommen und in Sicherheit sind - jedeR Befreite ist ein so Riesenerfolg, aber es ist so bitter, die Menschen dort im Saal vorgeführt zu sehen, zu denken, es war doch nur eine einmalige Aktion, wir gehen in unseren Alltag zurück... Aber hinter der momentanen Erschöpfung ist aufgewühlte Begeisterung!

Weltweite Solidarität

Es wurde gab einen globalen Aufruf für Solidaritätsaktionen. Gegen die Australische Flüchtlingspolitik wurde beim Port Headland Detention Centre, Maribrynong Detention Centre, Villawood Detention Centre, in Melbourne, Wellington, Berlin, Brisbane, Sydney, Auckland, New York und Edinburgh demonstriert.

Addressen und Kontaktnummer für Proteste gegen die australische Flüchtlingspolitik:

Australische Botschaft in Österreich
Mattiellistrasse 2 - 4
1040 Wien
Tel: 01/512 85 80 - 0

Prime Minister, John Howard
Fax: +61 26273 4100

Email abschicken auf: >>>www.pm.gov.au/your_feedback/feedback.htm

Leader of the Opposition, Simon Crean
Fax: +61 26277 2307
Email: s.crean.mp@aph.gov.au

Minister for Immigration, Philip Ruddock
Fax: +61 26273 4144

Email abschicken auf: http://www.minister.immi.gov.au/general/contents.htm

Shadow Minister for Immigration, Julia Gillard
Fax: +61 26277 8457
Email: julia.gillard.mp@aph.gov.au

Reguläre Adresse aller PolitikerInnen:
Parliament House
Canberra 2006, Australia

Weitere Informationen im Internet:
>>>melbourne.indymedia.org
>>>at.indymedia.org
>>>www.no-racism.net
>>>www.woomera2002.com
>>>www.boat-people.org
>>>www.iratiwanti.org

aus TATblatt Nr. +185 vom 12. April 2002

 
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