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Staatsgewalt ohne Attribute:
Mehr Hackeln für weniger Geld.

     
   

TATblatt.

     
Es mag irrwitzig und fad sein, sich immer und immer wieder mit so intelligenten wie inhaltsreichen Papieren auseinander zu setzen, die Regierungsabsichten auflisten. Was sich die neue, alte Regierung im Sozialbereich vorgenommen hat, rüttelt nachhaltig an der Existenz mehrerer hunderttausend Menschen in Österreich. An der physischen, wohlgemerkt ...  

Es sind schon altbekannte Fakten: Mehr als die Hälfte der Menschen, die in Österreich wegen ihrer Lohnarbeitslosigkeit eine Arbeitslosenunterstützung erhalten, verfügen über keine beruflich einsetzbare Ausbildung. Gut ein Drittel aller EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe verfügen über ein Einkommen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz (der allgemein als „existenzsichernd“ angesehen wird) von € 735,- (in concreto € 630,-, die aber 14 Mal ausbezahlt werden). Das durchschnittliche Beschäftigungsverhältnis dauert in Österreich etwa ein Jahr und acht Monate, Frauen, junge Menschen, Menschen ab 50 und Menschen mit Betreuungspflichten sind weit öfter und nachhaltiger von Lohnarbeitslosigkeit bedroht als Männer zwischen 25 und 49.

Über die letzten Jahre hinweg hat sich quasi ein „Sozialstaatsgefüge“ eingespielt (genau genommen ist es produziert worden), das auf diese Gegebenheiten insofern Rücksicht nimmt, als es in der Praxis sehr flexibel und recht punktgenau auf existenzielle „Schärfen“ reagiert und diese faktisch „entschärft“. Ältere ArbeitnehmerInnen, die nicht mehr hackeln können oder wollen, gingen in Frühpension (entweder, weil sie „berufsunfähig“ oder lange arbeitslos waren oder etwa weil sie „ihre“ Pensionsbeitragszeiten bereits beisammen hatten). Menschen mit Betreuungspflichten „profitierten“ von der Deregulierung des Arbeitsrechts und fanden in großem Ausmaß in Sektoren mit ungeschützten und atypischen Arbeitszeiten wie Beschäftigungsbedingungen Arbeitsplätze, die irgendwie – wenn schon kein existenzsicherndes und menschenwürdiges – so doch ein physisches „Auskommen“ ermöglichten. Und junge Menschen ohne Chance auf Berufsausbildung werden in Ausbildungszentren zwischengelagert, um dann unter Zuzahlung unternehmensbezogener Förderungen an Unternehmen weitergereicht zu werden, die gut ausgebildete Arbeitskräfte für eine Lehrlingsentschädigung hackeln lassen wollen. Nicht unbedeutend in diesem Gefüge ist auch noch der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen: Nicht zufällig steigt Frauenarbeitslosigkeit in den letzten zwei Jahren weniger stark als Männerarbeitslosigkeit.....

Die nunmehr angelobte ÖVP-FPÖ-Regierung hat sich zum deklarierten Ziel gesetzt, dieses System der flexiblen – und staatlich massiv geförderten - Auffangbecken zu zerschlagen. Während selbst konservative ÖkonomInnen vor einer weiteren „Flexibilisierung“ des Arbeitsrechts wie auch der Reduktion des sozialen Schutzniveaus warnen, will Schwarz-Blau genau dies: Das Arbeitsrecht aushöhlen, das soziale Schutzniveau minimalisieren und die Faktoren Arbeit und Einkommen zu hundert Prozent einem Markt aussetzen, der – frei nach Vaclav Klaus – ohne Attribute auskommt.

Die nunmehr angelobte ÖVP-FPÖ-Regierung hat sich zum deklarierten Ziel gesetzt, dieses System der flexiblen – und staatlich massiv geförderten - Auffangbecken zu zerschlagen.  

Schritt eins: Abschaffung von Berufsschutz und Ortsgebundenheit im Arbeitslosenrecht.

Gegenwärtig verfügen lohnarbeitslose Menschen zumindest über einen minimalen Schutz aus dem Arbeitslosenversicherungsgesetz: Zumindest sechs Monate lang können sie nur in jenen Bereich vermittelt werden, in dem sie zuvor bereits beschäftigt waren. Darüber hinaus ist die Vermittlung an Arbeitsstellen außerhalb des eigenen Bundeslandes nur freiwillig möglich.
Diese Regelung hat durchaus ihre unsinnigen Aspekte. So etwa verhindert sie, dass Menschen Projektarbeiten akzeptieren aus Angst, nach Auslaufen des Projekts nicht mehr in ihr Stammberufsfeld vermittelt zu werden. Wer quasi als EDV-Technikerin ein Jahr etwa im Sozialbereich eingelegt hat, kann nach neuerlicher Arbeitslosigkeit nicht mit Unterstützung (etwa Weiterbildung) rechnen, um wieder als EDV-Technikerin Arbeit zu finden. Da sorgte nämlich das sehr restriktiv agierende AMS dafür, das die Bestimmungen des AlVG stets zu den eigenen Gunsten, niemals jedoch zu Gunsten arbeitssuchender Menschen interpretiert.

Im Bereich Arbeitslosenversicherung soll kein Stein auf dem anderen bleiben. In Sachen Arbeitslosenquote soll Österreich damit auf EU-Niveau gehoben werden.  

Offenkundigen Änderungsbedarf nutzt Schwarz-Blau nunmehr dazu, den Berufsschutz in einen Einkommensschutz umzubauen und die örtliche Bindung auf das Bundesgebiet zu erstrecken. Was auf erstem Blick ganz sinnvoll klingen mag, heißt in der Praxis nichts anderes als die Öffnung des AlVG für weitere Willkür. „Einkommensschutz“ kann nämlich nur dann sinnvoll angewandt werden, wenn das Schutzniveau kontinuierlich (quasi marktbezogen) sinkt. Wer also über soundsoviele Wochen keinen Job findet, muss in Zukunft geringer bezahlte Jobs – und nun ohne Spartenbindung – akzeptieren. Und sollte der neue, tolle Job nun in Vorarlberg liegen, dürfen BurgenländerInnen sich nicht beschweren....

Schritt zwei: Abschaffung der Notstandshilfe.

Erst vor vier Jahren hat der Verwaltungsgerichtshof (in Zusammenhang mit Menschen ohne EU-StaatsbürgerInnenschaft) entschieden, dass Notstandshilfe zumindest zum Teil als Versicherungsleistung anzusehen ist (und daher allen Menschen offen stehen muss, die Beiträge gezahlt haben). Die Folge dieser Entscheidung ist nunmehr, dass die Notstandshilfe in die Sozialhilfe eingegliedert und den Ländern übertragen werden soll. Damit sinkt nicht allein das ökonomische Schutzniveau, es steigt auch die soziale Kontrolle über arbeitslose Menschen (da Sozialhilfe lokal in der Gemeinde beantragt wird).
Das Sozialhilfesystem in Österreich entbehrt jeglicher Anbindung an den Arbeitsmarkt. Wer einmal Sozialhilfe bezieht, kann jegliche Unterstützung bei der beruflichen Reintegration (Ausbildung, Weiterbildung,...) in den Wind schreiben. Es ist Endstation...

Schritt drei: Verschärfung der Sanktionen im AlVG – Aussteuerung.

In intellektueller Anlehnung an die SozialschmarotzerInnendebatte der letzten Jahre kündigt die Regierung nun auch die Spreizung der Sanktionen im AlVG an. Die Strafen für behauptete oder reale „Missbräuche“ von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sollen „treffsicherer“ werden. Während gegenwärtig entweder die Unterstützung gestrichen oder eben nicht gestrichen wird, sollen diversifizierte Strafhöhen in Zukunft den AMS-MitarbeiterInnen die Hemmschwelle zur „Bestrafung“ herabsetzen. Einkommensverluste von z.B. zehn Prozent des Einkommens mögen zwar als gering erscheinen (z.B. € 45,- bei der durchschnittliche Notstandshilfe von Frauen), haben aber in der Praxis existenzielle Konsequenzen, weil sie die Betroffenen letztlich zu weiteren „Verstößen“, die auch wieder sanktioniert werden können, zwingen. Im AMS wird dieser Plan daher unter MitarbeiterInnen bereits „Salami-Aussteuerung“ genannt (nach der berühmten Salami-Taktik).
Das Tüpfelchen auf dem i sind schließlich angekündigte Schaffung strafrechtlicher Delikte wie „Sozialbetrug“ für Menschen, die angeblich zu Unrecht Leistungen aus Sozialtöpfen erhalten oder – das Beispiel stammt von Burschenschaftsminister Böhmdorfer – Krankenstände vortäuschen (Narben im Gesicht werden wohl ausdrücklich von Sozialbetrug ausgenommen werden, selbst wenn sie willentlich herbeigeführt wurden).

Im Bereich Arbeitslosenversicherung soll kein Stein auf dem anderen bleiben. In Sachen Arbeitslosenquote soll Österreich damit auf EU-Niveau gehoben werden. BerufssozialschmarotzerInnen, wie sie unter der LeserInnenschaft des TATblatts wohl häufig anzutreffen sind, werden am neuesten Stand gehalten und über Umgehungsstrategien informiert werden. Für den Rest sieht´s schlecht aus...

Nächstes TATblatt: Pensionsvorsorge für AnarchistInnen.

Link: www.oevp.at.

aus TATblatt Nr. +197 März 2003.    

 

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