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Die Folgen einer Intervention:
Serbiens und Montenegros neues Regime.

     
   

TATblatt.

     
Das Regime Serbiens hat das Attentat auf Premierminister Djindjic am 12.3.03. dazu benutzt, den Ausnahmezustand auszurufen und gegen die Opposition mit Terror vorzugehen. Angeblich geht es um das Djindjic-Attentat, doch die Maßnahmen gehen weit darüber hinaus.   Alle Versammlungen, Streiks usw. sind verboten. Alle Veranstaltungen jeglicher Art sind verboten. Das heißt auch Filme im Kino, Fußballspiele, Theateraufführungen, Konzerte, der Belgrader Marathon usw. Bewaffnete Polizisten und Militärs kontrollieren die Straßen der Städte. Mensch bekommt den Polizeistaat im Nacken zu spüren. Den Medien ist es per Dekret verboten, Meldungen der Verhafteten sowie ihrer Advokaten zu veröffentlichen und es ist ihre Pflicht, Meldungen des Regimes zu veröffentlichen. Bisher wurde wegen unerwünschter Berichterstattung eine Zeitung offiziell verboten, eine andere wurde gemahnt. Es traut sich kaum jemand etwas zu unternehmen. Der Ausnahmezustand wird nach Regierungsangaben wahrscheinlich bis ende April dauern, also bis zum Anfang der Tourismus-Saison. Gesetze betreffend schwere Straftaten, Waffen, Gerichte, Polizeiangelegenheiten, usw. werden bis dann geändert. Die Verfassung soll auch geändert werden. Ungenehmigte Informationen sickern aus Serbien ziemlich schwer durch. Die einzige öffentliche Meldung von anarchistischer Seite kam von der ASI (Anarchosyndikalistische Initiative): „Dieser Kampf ist nicht unser Kampf. Es ist ein Kampf zwischen solchen die Macht und Herrschaft besitzen, um mehr Macht und Herrschaft ... Die sogenannten Reformen werden weiterlaufen, Tausende Menschen werden gefeuert und ihre Leben unter den Teppich der Privatisierung gekehrt ... Der Ausnahmezustand wird ganz sicher für die Bekämpfung von DissidentInnenstimmen und organisiertem Widerstand als Ausrede benutzt ... Die Anarchosyndikalistische Initiative lehnt die Befehle des Ministeriums für Arbeit ab, sie macht weiter mit ihren üblichen Aktivitäten und ist solidarisch mit allen, die ihre Klassenziele dem Tod eines Mafioso nicht opfern wollen. Ein anderer Krieg ist möglich: Klassenkrieg.“ Danach wurde das bekannteste Mitglied dieser Gruppe in seiner Wohnung verhaftet und sein Computer sowie einige Zeitschriften beschlagnahmt. Er ist mittlerweile freigelassen worden.

Die Herrschaft der Demokraten.

Die strategischen Ziele der Regierung sind offensichtlich: ihre Herrschaft zu erweitern und zu festigen, alle Hindernisse, ernsthafte Konkurrenz, sowie unerlaubten Widerstand auszuschalten und endlich unbegrenzter Herr im Hause zu sein. Es wird gegen alle vorgegangen, die es wagen, dem Ausnahmezustand der Regierung zu trotzen.
Mensch muss den großen Führer nicht geliebt haben, man darf nur nichts Ungenehmigtes unternehmen und muss sich vor der Staatsgewalt fürchten. Dies wird auch offen von Regierungsmitgliedern mitgeteilt. In bester polizeistaatlicher Tradition steht die gesamte Bevölkerung unter Schuldvermutung. "Die Regierung teilt der Bevölkerung Serbiens mit, dass sie alle Informationen über den Mord an Zoran Djindjic und den Zemuner Klan liefern soll, sonst werde sie als MittäterInnen und Mitglieder des Zemuner Klans behandelt", "Jeder der gegenüber der Regierung und dem Staat feindlich gesinnt ist, soll sich fürchten", "Wir werden alle eliminieren, die der Polizei Widerstand leisten"... Diese Sätze waren von der Gesamtregierung oder von einzelnen MinisterInnen offiziell zu hören. Die Wiedereinführung der Todesstrafe (vor Jahrzehnten abgeschafft) wurde bereits angekündigt.
Für dieBevölkerung Serbiens ist es ziemlich irrelevant, welcher Mafioso im Amt sitzt oder erschossen wird - es ändert nichts an der Politik. Jetzt wurde aber ein Polizeistaat von einem Tag auf den anderen eingeführt. Menschen können sich kaum mehr auf der Straße aufhalten. Alle öffentlichen Ereignisse ausgenommen Begräbnisse sind offiziell verboten. Freie Meinungsäußerung ist offiziell verboten. Angeblich alles wegen Zoran Djindjic, für den niemand außerhalb seiner Partei ein gutes Wort überhatte, als er noch am Leben war. Das Ausmaß der Maßnahmen übertrifft in ihrer Gesamtheit die des Milosevic-Regimes und weist große Ähnlichkeiten mit der Herrschaft der KP auf. Polizeiminister Dushan Mihajlovic ist darin schließlich Experte. Unter der KP war er Polizist, Geheimdienstler und Präsident der Jugendorganisation der Partei. 1989 gründete er seine Partei die auch in einer Regierungskoalition mit Milosevic teilnahm. Jetzt ist er Polizeiminister und seine Partei vollberechtigtes Mitglied der Regierungskoalition.
Der „demokratische“ Ausnahmezustand hat zu keinem Rückgang der westlichen Investitionen geführt, die Massenentlassungen und Privatisierungen werden fortgesetzt. Das Stahlwerk Sartid wurde vor kurzem vom U.S. Steel Balkans gekauft, und bekommt von der Regierung Serbiens einen totalen Schuldenerlass (1,7 Milliarden $). Das Stromexportmonopol wurde von einer britischen Firma übernommen. Erhöhte finanzielle Hilfe wird von EU-Spenderinnen überwiesen. Serbien und Montenegro wurden Anfang April in den Europarat aufgenommen.

Alles Legal.

Als rechtliche Grundlage für alle polizeilichen und militärischen Aktionen wird die Suche nach den Verantwortlichen für den Mord an Zoran Djindjic benutzt. Als Grundlage für alle Festnahmen, Verhaftungen, Durchsuchungen und Suspensionen: Vermutung der Mitverantwortlichkeit am Mord an Zoran Djindjic und Mitgliedschaft im Zemuner Klan, beziehungsweise Kontakte zum Zemuner Klan. Es ist die neue Zauberformel, die alles rechtfertigt. Mittlerweile werden Mitglieder des ehemaligen Regimes auch wegen den damaligen politischen Mord verhaftet. Ein Sondergericht wurde gegründet um rechtliche Hindernisse zu umgehen, bzw. Schnellverfahren zu ermöglichen.


Säuberungen Unlimited.

Nach Regierungsangaben wurden bis 7. April in Bezug auf das Attentat über 7500 Menschen festgenommen, 3000 wurden verhaftet und 777 sind bereits angeklagt. Es ist unklar wie viele mittlerweile wieder freigelassen wurden. Die wichtigsten Säuberungen laufen innerhalb der herrschenden Klasse, die auf 20 000 Personen (von 8 Mio.) eingeschätzt wird. Für das Attentat wird offiziell eine der regimenahen Paramilitärs beschuldigt, einige Gebäude von ihren Mitgliedern (Einkaufszentren, Cafés, Privathäuser) wurden gestürmt, leer vorgefunden und manche dann einfach per Bagger oder explosiv niedergerissen.
Am 19.3. stellte die Regierung einigen Richtern ein Ultimatum. Es hieß, sie sollen selber ihre Ämter räumen, sonst würde eine rechtliche Grundlage gefunden um sie zu räumen. Nachdem die Präsidentin des obersten Gerichts dies ablehnte, wurden am 20.3. vom Parlament zirca 30 RichterInnen in die Pension geschickt. Der Generalstaatsanwalt wurde von seinem Amt entfernt und muss jetzt zu Gesprächen bei der Polizei. Sein Assistent wurde verhaftet. Auf der zentralen Begräbnislithurgie für Djindjic in der St. Sava Kirche hielt der Priester eine Rede die von der Regierung als "fehl am Platz" und "politisch" bezeichnet wurde. Die Serbische Orthodoxe Kirche verteidigte den Priester in einer Presseaussendung und meinte, die Rede war in Ordnung. Am Tag nach dieser Presseaussendung wurde eine der wichtigsten Kirchen von Sondereinheiten gestürmt. Den Führungskräften aller serbischen Oppositionsparteien von bedeutender Größe (SPS, SRS, DSS, JUL) werden Kontakte zum Zemuner Klan vorgeworfen. Viele sind bereits verhaftet. Es könnte auch zu Parteiverboten kommen. Unter den Verhafteten befindet sich auch Ceca (Svetlana) Raznatovic, bekannte Sängerin und Ehefrau des angeblich verstorbenen Paramilitärführers Arkan (Zeljko Raznatovic). Verhaftet oder gesucht ist die ganze engere Milosevic-Familie sowie weitere Familienmitglieder und Beschäftigte. Zahlreiche hohen Funktionäre des Milosevic-Regimes sind verhaftet. Die JSO (Einheit für Sondereinsätze – polizeiliche Sondereinheit), die gute Beziehungen zum beschuldigten Paramilitär hatte, wurde offiziell aufgelöst. Einer ihrer Kommandanten wurde verhaftet und der Öffentlichkeit als der Attentäter vorgestellt, manche andere Kommandanten wurden ebenfalls verhaftet. Diese Einheit ist international bekannt geworden, als sie sich weigerten, an der Verhaftung von Slobodan Milosevic teilzunehmen, weswegen auch ihr damaliger Befehlshaber ersetzt wurde. Damals traute sich die Regierung jedoch nicht, gegen die ganze Einheit vorzugehen. Mehrere JournalistInnen sind wegen unerwünschter Berichterstattung verhaftet – „weil sie den Auftrag hatten, durch falsche Informierung die Polizei zu stören“. Dies sind lediglich Promi-Beispiele aus offiziellen Medien. Das tatsächliche Ausmaß der Säuberungen lässt sich nur vermuten. Unter den Verhafteten befinden sich jedenfalls jede Art von Beamten, Mitglieder der oberen Schichten aber auch normale Leute. Es wurden eindeutig nur solche Menschen verhaftet und beschuldigt, die keine guten Beziehungen zu den Großmächten (USA und EU) haben. In manchen Fällen ging es nur um Einschüchterung. In manchen Fällen ging es darum, dass die Person A, die Familienbeziehungen zum Regierungsmitglied B hat, diesen Posten haben will. Es wird auf BeamtInnen und FunktionärInnen zielt, die je einen Befehl des derzeitigen Regimes abgelehnt haben, auf Personen, die Machtpositionen besetzen, oder viel Besitz haben, aber dem neuen Regime nicht loyal sind. In den nächsten Wochen oder Monaten könnte es auch zu Massenenteignungen innerhalb der oberen Schichten kommen.
Eine grundlegende Veränderung der Struktur innerhalb der herrschenden Klasse ist nicht zu sehen. Es handelt sich eher um einen großen Personalwechsel.

aus TATblatt Nr. +198 April 2003.    

 

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