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Heiliger Sankt Florian verschon mei Budget, halt die andern am Schmäh.
Sozialhilfe, Notstandshilfe und das Ende der Geschichte.
Die Vielzahl
der im elften und zwölften Jahrhundert erlassenen Friedensordnungen,
Fehdeverbote oder Landfriedensordnungen könnten
den Schluss nahe legen, dass Frieden in dieser Periode hoch im Kurs stand.
Das Gegenteil ist der Fall: Eine sehr unfriedliche Gesellschaft war es,
die ihr Heil in wiederholt erlassenen Friedensgeboten suchte.
Ähnlich verhält es sich mit Sittlichkeitsgeboten: Die Inflation
von Sittlichkeitsnormen in der frühen Neuzeit dokumentiert
nicht das hohe Niveau der allgemeinen Moral, sondern vielmehr den Konflikt
zwischen Religion und staatlicher Macht auf der einen und den im Entstehen
befindlichen Wissenschaften und den Ansätzen einer bürgerlichen
Gesellschaft auf der anderen Seite. Erstmals in der zweiten Republik wird
gegenwärtig eine breite Debatte über das System der Sozialhilfe
geführt.
TATblatt.
Nicht nur in Österreich: Geht es nach der französischen Regierung,
so wird das französische (in etwa) Pendant zur Notstandshilfe ab
2004 sukzessive eingeschränkt. Mit der Verkürzung des Anspruchs
auf die sogenannte ASS-Rente fallen mit 1. Jänner 2004 130 000 Menschen
um ihr Geld aus der Arbeitslosenversicherung um. Weitere 390 000 könnten
folgen.
Die ASS-Rente wird anders als das Arbeitslosengeld nicht
über Beiträge, sondern über einen mit Budgetmitteln gefüllten
Sondertopf ausbezahlt und gilt daher nicht als Versicherungsleistung.
Anders als in Österreich, wo vor wenigen Jahren die Notstandshilfe
per Höchstgerichtsentscheid zu einer Versicherungsleistung erklärt
wurde, kann die Politik in Frankreich mit der ASS-Rente recht frei herumfuhrwerken:
Wer die ASS-Rente verliert, fällt auf das Sozialhilfeminimum von
ca. € 410,- pro Monat zurück. Der Widerstand der Gewerkschaften
beschränkt sich auf die verbale Ebene...
In Niedersachsen
hat sich die neue CDU-Sozialministerin Ursula von der Leyen via Bildzeitung
dafür ausgesprochen, SozialhilfeempfängerInnen nur mehr Billigprodukte
zukommen zu lassen. Wenn sie auf Kosten des Sozialamts einkaufen, sollten
sie künftig keine Markenartikel mehr bezahlt bekommen: "Viele
Familien mit geringen Arbeitseinkommen müssen beim Einkauf auch auf
den Preis achten. Es gibt zahlreiche gute Produkte, die zudem preiswert
sind."
Hintergrund der populistischen Hetze mit dem Sozialneid: Nach einem Urteil
des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg dürfen Sozialämter
LeistungsempfängerInnen nicht zwingen, Billigprodukte zu kaufen.
Das Gebot, SozialhilfeempfängerInnen freie Wahl in Sachen Geld- bzw.
Gutscheinverwendung zu belassen, verteuert aber das System der Sozialhilfe
wie ExpertInnen errechnet haben wollen, um ein Drittel.
Mit ihrem
Denkansatz ist die CDU-Adelige aber gar nicht so weit entfernt von der
sozialpolitischen Beliebigkeit der deutschen Grünen oder dem Zynismus
der SPD: Deren Agenda 2010 sieht nämlich eine massive Reduktion der
Leistungsniveaus in der Arbeitslosenversicherung und gar die Abschaffung
der Arbeitslosenhilfe (die wieder nur in etwa - der österreichischen
Notstandshilfe entspricht) vor. Auch in Deutschland ist die Arbeitslosenhilfe
nicht als Versicherungsleistung, sondern als Transferleistung konzipiert.
Arbeitseinkommen schaffen alle diese Schritte nicht, aber sie reduzieren
die Ausgaben für Sozialleistungen. Und viel mehr als das fällt
rechten wie angeblich linken Regierungen in ganz Europa angesichts
schrumpfender Ökonomien und reduzierter Budgetmittel nicht ein.
Aufbruch
in die selbstverschuldete Abhängigkeit.
Eine Situation,
in die sich die EU-Staaten sehenden Auges hinein begeben haben: Mit der
Festlegung der sogenannten Maastrichtkriterien wurden die Parameter zur
Bewertung volkswirtschaftlicher Entwicklungen auf sehr wenige, rein mathematische
Faktoren begrenzt. Mathematische Faktoren, denen überhaupt keine
Aussagekraft über reale Verhältnisse zukommt: So erlaubt die
Beschränkung der Neuverschuldung von Einzelstaaten auf 3% des BIP
selbst bei dessen rigidester Einhaltung keine Aussage darüber, von
welchem (hohen oder tiefen) Niveau aus eine weniger als drei-prozentige
Neuverschuldung erreicht wird.
Diese Konvergenzkriterien also die Selbstverpflichtung
zu einer niedrigen Inflationsrate, zur Einhaltung einer Obergrenze von
3% des BIP jährlicher Neuverschuldung und einer Gesamtschuld von
weniger als 60% des BIP würden so MathematikerInnen,
eine Konstanz in der Budgetpolitik ermöglichen, die das Entstehen
unbeherrschbarer Schuldenkrisen innerhalb der EU ausschließt und
so die Rahmenbedingung für eine gemeinsame europäische Währung
schafft. In der Praxis aber galt es in fast ganz Europa erst einmal, die
Neuverschuldung unter 3% des BIP und die Gesamtschuld unter 60% des BIP
zu drücken. Und dabei traten die Tücken des mathematischen Modells
in Erscheinung: Wenn nämlich die Ausgaben des Staates reduziert werden,
reduziert sich (relativ) auch das BIP (und zwar im Ausmaß von ca.
5:1 der eingesparten Budgetmittel real). Ein reduziertes BIP
wiederum erhöht die Staatsschulden im Verhältnis zum BIP, weil
ein weitgehend gleichbleibender Betrag in Relation gesetzt zu einem kleiner
gewordenen sich eben relativ erhöht.
BIP-Ping-Pong.
In der Praxis
wurde mit Beginn der Budgetsanierung (und die begann
auch wenn wir uns nicht daran erinnern können bereits zur
Zeit der Regierung Vranitzky) eine Art Ping-Pong-Effekt initiert: Ausgabenreduktionen
zur Reduktion von Neuverschuldung wie auch Gesamtschuld reduzierten zwar
das Ausmaß der Schulden nominell, nicht jedoch in der Relation zum
BIP. In der Folge waren weitere Ausgabenreduktionen auf der Tagesordnung,
die wiederum die Entwicklung des BIP abbremsten und den Anteil der Gesamtschuld
am BIP kaum reduzierten.
Zu spüren bekam dies etwa auch der Zustand, der sich hierzulande
Regierung nennt, nach dem vielumjubelten (Tor, Toooooor, i wird narrisch...)
Nulldefizit des Jahres 2001. Trotz realem Gewinn in der Staatskasse
von 0,3% des BIP wuchs der Anteil der gesamten Staatsschulden gemessen
am BIP um 0,5% des BIP an. 2002 ist er neuerlich angestiegen und 2003
wird der Gesamtschuldenstand in Relation zum BIP den österreichischen
All-Time-High erreichen... .
Diese Form der Budgetsanierung betreibt nicht allein Österreich,
sondern auch alle anderen EU-Staaten und in oft weit schärferer
Form auch KandidatInnenländer und zukünftig angrenzende
Staaten. Es wäre geradezu ein Wunder gewesen, wenn es angesichts
des allgemeinen Sparwahns NICHT zu rezessiven Entwicklungen gekommen wäre.
Angesichts der Tatsache, dass dieses Szenario vorhersagbar war, vorhergesagt
wurde und schließlich ziemlich genau so eingetreten ist, wie es
vorhergesagt wurde, fällt es trotz aller Ablehnung von Verschwörungstheorien
sehr schwer, zu glauben, hier würde nicht versucht, bewusst soziale
Exklusion zu betreiben... Oder anders: Nicht wenige WirtschaftspolitikerInnen
in Europa danken Osama Bin Laden von vollem Herzen. Er hat via Medien
alle Schuld für eine krisenhafte Entwicklung auf sich genommen, die
sich bereits im Frühjahr 2001 also zu einem Zeitpunkt, wo
KHG und Co. wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben die Wortkombinationen
Osama Bin Laden oder Al Qaida gehört hatten abzuzeichnen begonnen
hat.
Sozialausgaben
statt Mafia? Mafia statt Sozialausgaben!
Die Begehrlichkeit
der WirtschaftspolitikerInnen aller Regierungsparteien in Europa unabhängig
der politischen Orientierung zielt auf Staatsausgaben, die
niemandem abgehen: quasi unproduktiv im Sand des staatlichen Gefüges
versickernde Gelder, die keinen Einfluss auf das BIP haben. Idealtypisch
wären da von bösen Mafias veruntreute staatliche Gelder, die
sofort nach dem abcashen ins Ausland transferiert werden. Blöderweise
ist Österreich und der Finanzminister macht sich dafür
stark, dass es so bleibt nun einmal ein Land, in das Mafiastrukturen
eher ihre anderswo abgecashten Gelder hin- als wegtransferieren. Also
bleibt angesichts essentieller Notwendigkeiten wie etwa dem Kauf
von Abfangjägern oder der Förderung der Pensionen von Großverdienerinnen
mit 10% p.a. nur die Möglichkeit, sich Geld dort zu holen,
wo sich kaum wer dagegen wehren kann: im Sozialbereich.
Hl. Sankt
Florian.
Womit wir
wieder bei der Debatte um die Sozialhilfe in Österreich wären.
Denn auch hier zu lande drückt das gesteigerte Interesse von PolitikerInnen
aller Parteien an der Sozialhilfe weit weniger soziales Gewissen als vielmehr
vom heiligen St. Florian inspirierte Gier aus: In allen Bundesländern
macht sich etwa die SPÖ für Resolutionen gegen die Abschaffung
der Notstandshilfe bzw. deren Überführung in die Sozialhilfe
stark. In Tirol, aber auch im Burgenland, in Oberösterreich und demnächst
wahlbedingt wohl auch in Salzburg und Kärnten findet
sie dabei die Unterstützung von FPÖ und ÖVP. Warum das
so ist, ist schnell erklärt: Während die gegenwärtig als
Versicherungsleistung konstruierte Notstandshilfe unter die Bundeskompetenz
(AMS) fällt, wären für die Sozialhilfe gemeinschaftlich
Länder und Gemeinden zuständig. Und die sehen sich bereits mit
Ausgaben konfrontiert, die sie budgettechnisch gar nicht bedecken können.
Wo sich der Hl. Florian niederlässt, ist Konfusion nicht weit: So
stimmten SPÖ und ÖVP (samt ihrem postfaschistischem Anhang)
in Tirol einem Antrag der Grünen zur Ablehnung der Notstandshilfe-Abschaffung
zu, in dem u.a. die Standardverschlechterung kritisiert wurde, die daraus
resultiert, dass SozialhilfeempfängerInnen keine Unterstützung
durch das AMS zu erwarten haben. Gleichzeitig verhinderten die SozialreferentInnen
der Bundesländer (sieben von neun gehören der SPÖ an) die
Ausarbeitung gemeinsamer, bundesweiter Mindeststandards in der Sozialhilfe.
Konsequent auch die burgenländische SPÖ: Sie legte den dortigen
Landtagsgrünen einen Resolutionsentwurf zur Ablehnung der Regierungspläne
vor. Ein von den Grünen nachgereichter Textvorschlag, in dem
ergänzend zum SPÖ-Vorschlag bundeseinheitliche Mindeststandards
in der Sozialhilfe verlangt werden, führte fast zum Abbruch der Kontakte:
Bei derartigem Realitätsverlust seitens der Grünen, hieß
es in der SPÖ, wolle man doch lieber mit der ÖVP zusammenarbeiten...
Betroffene
in der Doppelmühle.
Der politische
Eiertanz um den Hl. Florian verdeutlicht, in welcher Doppelmühle
sich SozialhilfeempfängerInnen in Österreich befinden. Konstruiert
als allerletztes Auffangnetz vor dem rein physischen Exitus fehlt der
nach Bundesländern unterschiedlich organisierten und geregelten Sozialhilfe
jedes reintegrierende Element. So stellte das Sozialreferat im Burgenland
aus Anlass einer bevorstehenden Reform des (höchst bedenklichen und
verfassungswidrigem) burgenländischen Sozialhilfegesetzes erstaunt
fest, dass knappe 80% aller burgenländischen SozialhilfeempfängerInnen
das Amt nie zu einem anderen Zweck betreten hatten als zur Antragsstellung.
Kurz: Achtzig Prozent aller burgenländischen SozialhilfeempfängerInnen
haben noch nie ein Angebot zur sozialen Reintegration erhalten!
Im Zuge der inzwischen stillstehenden Reform des Salzburger
Sozialhilfegesetzes stellte der Sozialwissenschafter Dimmel fest, dass
nur 35% der Anspruchsberechtigten in Salzburg tatsächlich Sozialhilfe
erhalten. In Tirol wiederum auch dort wird reformiert
empörten sich VertreterInnen aller Parteien (außer der
Grünen, die allerdings der Empörung auch nichts entgegenhielten)
darüber, dass Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus Sozialhilfe
erhalten (können), wenn sie nicht abgeschoben werden können.
ÖVP wie SPÖ (die PostfaschistInnen sowieso) forderten die Abschaffung
einer lausigen Kann-Bestimmung, nach der ca. fünfzehn
Menschen pro Jahr fallweise Sozialhilfe erhalten.
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