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    ... action is the essence of all.

Ausgabe Zehn ist nunmehr die letzte Folge der “Zeitschrift” der britischen ÖkoanarchistInnen von Earth First!, „Do or Die“ aus dem südenglischen Ort Brighton.

Eine Rezension.

„Zeitschrift“ ist bei dem 350 Seiten starken Manifest der ÖkoanarchistInnen aus aller Welt eine falsche Bezeichnung, ebenso wie die Erwartung, brave Umweltberichterstattung vorzufinden. Die ersten 100 Seiten beschäftigen sich schlicht damit, was in den zehn letzten Jahren in Großbritannien erreicht wurde, um die Industriegesellschaft dem Kollaps näher zu bringen. Der größte Sieg war sicherlich die weitgehende Beendigung des Bauprogramms für Autobahnen, der noch gegen die konservativen Tories erzielt wurde. Weiter ging es mit der massenhaften Zerstörung von Genfeldern, dem koalitionären Kampf mit TierrechtlerInnen gegen Tierversuchsfirmen, dem Export der ursprünglich in England gegründeten Earth Liberation Front, die in den USA durch konsequente Brandanschläge zu einem der erklärten Staatsfeinde wurde, sowie der Zusammenarbeit mit allen radikalen Umweltgruppen und Befreiungsbewegungen, die von Konzernen mit Sitz oder Niederlassung in Großbritannien bedroht werden.
Demnach spannt sich der Bogen über Berichte aus Ecuador über Neuguinea bis hin zu Algerien, die Westsahara oder Südafrika, immer mit konkreten Bespielen solidarischen und tatkräftigen Handelns gegen die Übeltäter.
Wie aus Großbritannien zu erwarten, sind alle Beiträge überwiegend praxisorientiert. Linke Sekten und ähnliche Übel existieren zwar auch dort, werden aber konsequent ausgegrenzt, was sowohl der Effektivität als auch der Breitenwirkung des Widerstandes förderlich ist. Dabei reichen die Aktivitäten von alternativen Schul- und Landwirtschaftsprojekten, über besetzte Kommunalzentren bis hin zur Verbreitung von Anarchie in Wort und Tat durch Propagierung von reinen Untergrundaktivitäten, namentlich Sabotage in allen Formen. AktivistInnen werden direkt und unmittelbar angesprochen, wahlweise ihre „community“, ein ins Deutsche kaum zu übersetzender Begriff für Lebenszusammenhang, zu organisieren, Baumaschinen zu zerstören, Tierversuchsfirmen und Großkonzerne zu sabotieren bzw. wenn möglich vollständig zu vernichten, Befreiungsbewegungen durch solidarisches Reisen und Geldbeschaffung zu unterstützen, und sich möglichst bei all dem nicht erwischen zu lassen. Der eindrucksvollste Beitrag dazu ist „My Heroes Always Killed Cowboys“ von Rod Coronado, in dem er angesichts des weltweiten Ethno- und Ökozids zu Widerstand aufruft. Coronado versenkte einst als Beteiligter eines Zweierkommandos von Sea Shepherd die Hälfte der isländischen Walfangflotte, war einer der meistgesuchten „Verbrecher“ des FBI und saß mehrere Jahre Haft für diverse Brandstiftungen ab. Wichtige Informationen gibt es auch für den Fall der Fälle „Preparing for Prison“ von Mark Barnsley, mit 20 Jahren Gefängnis in allen wichtigen Gefängnissen Großbritanniens ein Veteran.

Es wird in allen Berichten von zu Besuch weilenden Nicht-BritInnen betont, daß Großbritannien eine sehr eigene Widerstandskultur hervorgebracht hat. Ein wichtiger Grund war die historische Verwurzelung von community resistance oder von EinzelkämpferInnen, auf die als Vorbild zurückgegriffen werden kann. Solche Beispiele sind lokale Kämpfe gegen Projekte aller Art wie Einkaufszentren, Autobahnumfahrungen, den Abbau von Torf in Mooren, aber auch gegen Atomwaffen und 20 Jahre Sabotage von Jagden. In den letzten zehn Jahren hat es in Großbritannien keinen einzigen Tag gegeben, an dem nicht irgendwo mindestens ein Widerstandscamp aktiv gewesen wäre. Ein Slogan lautet daher auch folgerichtig „Carry on Camping“, eine Taktik, die zuletzt etwa vernachlässigt wurde. Camps sind bei EF! aber nicht passive Zusammenkünfte, in denen die Räumung erwartet wird, sondern aktiv verteidigte Orte, von denen aus hauptsächlich Sabotage auf der Baustelle betrieben wird. Anläßlich dieser „trashing“-Aktionen wird davon berichtet, daß sich interessante Verbindungen mit örtlichen Jugendlichen auftun, die ihrerseits öfters Baustellen heimsuchen. „Community Resistance“ eben.

Wenn wir DoD als gelernte ÖsterreicherInnen betrachten, so fällt zunächst auf, daß in Österreich der allgemeine Wohlstand ein entscheidendes Hemmnis für eine ähnliche Entwicklung, vorerst noch, ist. Durchschnittliche britische AktivistInnen leben seit der konservativen Wende unter Thatcher hartnäckig „on the dole“, also vom Arbeitslosengeld (eigentlich Sozialhilfe) und können sich ausgiebig der Zerstörung der Industriegesellschaft widmen. Ein weiterer großer Teil arbeitet in häufig wechselnden prekären Arbeitsverhältnissen, weshalb Firmen laufend von innen sabotiert werden.
Selbstverständlich gibt es in Österreich, diesem Obrigkeitsstaat, auch keine historische Kontinuität einer Widerstandskultur, und schon gar nicht gegen die Ortskaiser am Land.
Und trotzdem stehen bei genauerer Betrachtung die Chancen nicht schlecht. Die gegenwärtige Regierung, aber auch eine nachfolgende gleich welcher Zusammensetzung, ist ein Garant für soziale Unzufriedenheit. Bei Durchsicht von Regionalzeitungen und den Chroniken ist auch bei uns eine Zunahme von sogenannter „Kleinkriminalität“, also vorerst unpolitisch geäußerten Ausbruchsversuchen aus gesellschaftlichen Zwängen, zu beobachten. Mit der Ohnmacht lokaler Eliten durch internationale Zwänge, beispielweise der Zwangsjacke der Maastricht-Kriterien für die Ausgaben der Gemeinden, sinkt auch die Legitimität der Eliten und damit steigt die Bereitschaft der Betroffenen selbst Hand anzulegen. Kostendruck erzeugt gesellschaftlichen Druck, etwa durch den Zwang, billigere Maßnahmen auch gegen Widerstand durchzusetzen. Das ist der Nährboden für „community resistance“.
Es ist bedauerlich, daß sich die Umweltbewegung Österreichs ins Nichts verabschiedet hat. Das dreiste Autobahnbauprogramm der Regierung wäre ein Anlassfall, aber gegenwärtig wird die Debatte, falls sie überhaupt stattfindet, von knieweichen „Verhandlern“ nach Schema „überall, aber nicht im Nationalpark“ geführt. Das ist vielleicht die bitterste Schlussfolgerung aus DoD: Bei vergleichsweise zu Großbritannien jämmerlichen Startbedingungen stehen uns auch noch die tristen Jahre der ersten Regierung Thatcher bevor. Aber möglicherweise geht es dann etwas schneller, und dazu kann DoD mit „suggestions for our war of sabotage“ einen wertvollen Beitrag leisten.

Do or Die
Voices from the Ecological Resistance, Issue Ten
July 2003

www.eco-action.org/dod/
E-Mail/Bestellungen: doordtp@yahoo.co.uk

Do or Die
c/o Prior House
6 Tilbury Place
Brighton BN2 2GY
UK

     

aus TATblatt Nr. +203 Oktober 2003.

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