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Deutscher
Schicksalsberg.
Mit großem
medialen Aufwand wurde dieses Jahr das fünfzigjährige Jubiläum
der Besteigung des Nanga Parbat gefeiert. Dabei wurde viel über die
Opfer und Leistungen deutscher und österreichischer Bergsteiger geschrieben.
Eine andere Seite der Geschichte wurde allerdings sorgfältig ausgeblendet.
hobo.
Rezension.
Dass der Nanga Parbat zum "Schicksalsberg der Deutschen" werden
konnte, hatte zuerst einmal mit Politik zu tun. Zum einen war da der verlorene
Erste Weltkrieg und eine nationale Schmach, die nach Tilgung verlangte.
Andererseits konnten die Großbritanier als Kriegsgewinner und Platzhirschen
im Himalaya Deutschland den Zugang zum noch unbestiegenen höchsten
Berg der Welt verwehren. So rückte der Nanga Parbat am Westende des
Gebirgszugs als zehnthöchster Berg bald ins Zentrum deutscher Eroberungsgelüste.
Bergsteigen ist bekanntlich eine europäische Erfindung, und in seinen
Anfängen war es eine Sache der oberen Klassen. So wie englische Gentlemen
sich in den Alpen von Ortsansässigen auf die Gipfel führen ließen,
so griffen sie auch im Himalaya auf die Dienste von Trägern zurück.
Bei der Auswahl folgten sie rassistischen Kriterien und huldigten einem
ausgeprägten Kastendenken. Für die Angeheuerten bedeuteten die
Einkünfte Überleben für ihre Familien. Warum Menschen Berge
- darunter viele heilige - besteigen sollten, das entzog sich allerdings
ihrem Verständnis. Meist erbärmlich ausgerüstet und ohne
bergsteigerische Erfahrungen wie Ambitionen verrichteten sie ihre Arbeit
und brachten noch im tobenden Schneesturm ihren "Sahibs" die
dampfende Teetasse ins Zelt. Neben ein paar Rupien war der Dank dafür
mit Glück das blanke Überleben und Auslassungen in den Heldengeschichten
der Bergsteiger. Das Sherpawort "dhukpaa" beschreibt das Verhältnis
der Träger zu ihren Herren: es bedeutet Leiden, Arbeit, die als ungerecht
und zu hart empfunden wird. Es steht für die Erniedrigung durch den,
der bestimmen kann.
Deutsche
Versuche.
Der erste
deutsche Versuch am Nanga Parbat wurde 1932 unternommen. Allerdings hatte
die Expedition unter Willy Merkl nicht damit gerechnet, dass auch die
lokalen Träger im heutigen Pakistan bereits unter dem Einfluss von
Mahatma Gandhis Unabhängigkeitsbewegung Selbstbewusstsein entwickelt
hatten. Als sie ob schlechter Ausrüstung und Nahrung in den Streik
traten, mussten anstelle dieser "Bolschewisten" andere Träger
unter Mithilfe lokaler Autoritäten zwangsverpflichtet werden. Hätten
sich die Bauern geweigert, hätten sie ihr Land verloren. Als die
Expedition dennoch scheiterte, wurden die Träger zur Ursache der
Niederlage erklärt.
1934 wurde ein zweiter Anlauf unternommen. Hitler war inzwischen an die
Macht gekommen, und am Nanga Parbat sollte sich der deutsche "Triumph
des Willens" beweisen. Der Berg war zu einem politischen Projekt
geworden.
Die Tragödie.
Den Gipfelsieg
schon vor Augen sehen sich die deutschen und österreichischen Bergsteiger
zum Rückzug gezwungen, als ein Sturm losbricht. Als sich daraufhin
eine erste Fünferseilschaft mit den Österreichern Schneider
und Aschenbrenner im Schneesturm zu verirren droht, binden sich die beiden
Bergsteiger aus und machen sich (auf Schi?) an den lebensrettenden raschen
Abstieg. Zurück lassen sie drei Sherpas, von denen zwei vom inzwischen
langen Aufenthalt in großer Höhe arg gezeichnet sind. Ohne
Zelt, ohne Schlafsäcke, mit unzureichender Ausrüstung.
Seit einem Unglück 1922 am Mount Everest (eine britische Expedition)
war es ein ungeschriebenes Gesetz gewesen, dass europäische Bergsteiger
ihre oft unerfahrenen Träger nicht allein lassen durften. 1934 bringen
sich nun die stärksten Bergsteiger der Expedition zuerst selbst in
Sicherheit und überlassen die anderen dem drohenden Tod. Doch das
ist erst der Anfang. Auch die zweite Gruppe mit dem Leiter Merkl und zwei
Bergsteigern sowie acht Sherpas kommt in Schwierigkeiten. In einer ersten
Biwaknacht (drei Schlafsäcke für elf Personen) stirbt ein Sherpa.
Drei weitere sind am Morgen so erschöpft und schneeblind, dass sie
nicht weiter absteigen können. Sie werden zurück gelassen. Auch
ein deutscher Bergsteiger kann nun nicht mehr mithalten. Er stirbt unweit
des nächsten zu erreichenden Lagers. In diesem findet sich ein Zelt
für zwei Personen. Es wird selbstverständlich von den zwei Deutschen
belegt, die Sherpas werden weiter in den Sturm geschickt. Dort treffen
sie zwar irgendwo auf die drei der ersten Gruppe, aber sie verfügen
über kein Zelt, keine Schlafsäcke oder gar Nahrung. Nach einer
weiteren Nacht in einem flachen Schneeloch (die achte Nacht für sie
auf fast siebentausend Meter) leiden sie unter Erfrierungen an Füßen
und Händen. So müssen sie sich über einen Steilhang zum
rettenden Lager kämpfen. Keine Steigeisen, keine Karabiner. Zwei
bleiben leblos in den Seilen hängen, einer fällt wenige Schritte
vor dem Zelt tot in den Schnee.
Inzwischen hatten sich die todgeweihten drei Sherpas, die zu Beginn des
Rückzuges allein gelassen worden waren, aus eigener Kraft weitergekämpft.
Zwei von ihnen (der dritte überlebte nicht) treffen auf das Zelt
mit dem Leiter Merkl und dem bereits im Sterben liegenden Welzenbach.
Merkl lässt sie zuerst einmal sein Zelt vom Schnee befreien, ehe
sie selbst dann die Nacht im Freien verbringen müssen. Kein "sahib"
teilt ein Zelt mit einem "coolie".
Auch nach dem Tod Welzenbachs lässt Merkl seine Sherpas nicht einfach
absteigen. Zwei weitere Nächte müssen sie im Sturm vor dem Zelt
ausharren. Erst nach sechs Tagen ohne Wasser, nach acht Tagen ohne Nahrung
und in großer Höhe versuchen die beiden Sherpas ihren "sahib"
nach unten zu geleiten. Er erweist sich als zu schwach. Er und der Sherpa,
der bei ihm bleibt, werden erst vier Jahre später - im Sitzen erfroren
- von einer weiteren deutschen Expedition gefunden.
... und
kein Ende.
1937 konnten
die Nazis also noch immer keinen Erfolg am bis dato höchsten unerstiegenen
Berg verzeichnen. Unter dem neuen Expeditionsleiter Bauer sterben sechzehn
Menschen unter einer Lawine. Abbruch. Schon ein Jahr später,1938,
ist Bauer wieder unterwegs. Trotz des politischen Drucks aus Deutschland
scheitert das Unternehmen ein weiteres Mal.
1939 bringt das Deutsche Reich immer noch Mittel für diesen für
die Propaganda so wichtigen Prestigeerfolg auf. Nun ist auch ein junger
Österreicher namens Heinrich Harrer dabei. Auch er scheitert. Opfer
sind dabei nicht zu beklagen, dafür werden die Teilnehmer bei der
Rückreise von Briten festgenommen, für Harrer folgen sieben
Jahre in Tibet.
Der Krieg vereitelt sodann weitere Versuche deutscher Expeditionen.
Erfolg stellt sich erst im Jahre 1953 ein, als der Innsbrucker Bergsteiger
Hermann Buhl als Mitglied einer deutsch-österreichischen Unternehmung
in einem spektakulären Alleingang den Gipfel des Nanga Parbat erreicht
und damit Alpingeschichte schreibt. Zuvor hatte der Leiter dieses Jahres,
Herrligkoffer, noch einmal alle Register gezogen. Als Träger wegen
schlechter Ausrüstung in den Streik traten, aber Herrligkoffer sich
durchsetzte, ließ er die Männer einzeln vor sich antreten um
sich bei ihrem Herren zu entschuldigen. "Sie waren wirklich wie Kinder
(...) Einer war in Tränen aufgelöst als er mit dem Gefühl
der Schande kämpfte."
Auf den Gipfel hinterließ Hermann Buhl übrigens nur eine Fahne
Pakistans und einen Wimpel des Alpenvereins, weder eine deutsche noch
eine österreichische Fahne. Angesichts der Vorgeschichte noch das
Beste, das dem Berg passieren konnte.
Der
Autor Jonathan Neale hat die andere Seite des "deutschen Schicksalberges"
aufgearbeitet. In den Vorkommnissen des Jahres 1934 sieht er einen
Wendepunkt in der Geschichte der Sherpaträger. Ein neues Selbstverständnis
hätte sich zu entwickeln begonnen, das mit Tenzing Norgay am
Gipfel des Mount Everest seinen vorläufigen Höhepunkt erleben
sollte, so seine These. In seinem Buch "Schneetiger. Sherpas:
Die wahren Bezwinger des Himalaya." (Goldmann Verlag, 2003) führt
er darüber hinaus aber in die Geschichte und Kultur der Sherpas
ein. Er zitiert Expeditionstagebücher und lässt Sherpas
ausführlich zu Wort kommen, um das zu sagen, was in den Berichten
der Bergsteiger gerne verschwiegen wird.
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