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    Umgang mit NS-Kriegsverbrechern in der Zweiten Republik.

Die Opfer der Opfer der Opfer.

Eine Anfang Dezember stattgefunden Tagung widmete sich dem Thema der juristischen Verfolgung von NS-TäterInnen in Österreich. In der 2. Republik wurde 137.000 Verfahren gegen NationalsozialistInnen eingeleitet und rund 23.500 Urteile - davon 13.307 Schuldsprüche - gefällt.

Eine umfassende Analyse der Verfahren war, im Gegensatz zu der vergleichbaren Thematik in Deutschland, allerdings bisher ausständig. Gemessen an den 5.866 Verurteilungen durch westdeutsche Gerichte zwischen 1945 und 1955 bedeuten die rund 13.000 Verurteilungen durch die österreichischen Volksgerichte eine wesentlich höhere Verurteilungsrate pro Kopf der Gesamtbevölkerung. Der Großteil der Prozesse wurde wegen "Illegalität" und "Registrierungsbetrug" geführt.

Volksgerichte.

Die österreichische Volksgerichtsbarkeit zwischen 1945 und 1955 war eine besondere Form der Gerichtsbarkeit, für die ab August 1945 beim Landesgericht Wien (in der sowjetischen Besatzungszone) und ab Anfang 1946 bei den Landesgerichten Graz (für die britische), Linz (für die amerikanische) und Innsbruck (für die französische Besatzungszone) eigene Senate am jeweiligen Sitz der Oberlandesgerichte gebildet wurden. Die Volksgerichte setzten sich aus drei LaienrichterInnen (SchöffInnen) und zwei Berufsrichtern zusammen. Die Verfahren wurden nach der österreichischen Strafprozeßordnung geführt, Rechtsmittel waren aber außer Kraft gesetzt. Der Präsident des Obersten Gerichtshofs hatte allerdings die Möglichkeit, das Urteil aufzuheben und eine neuerliche Verhandlung vor einem anders zusammengesetzten Volksgericht anzusetzen.

Die gesetzlichen Grundlagen der österreichischen Volksgerichtsverfahren bildeten das am 8. Mai 1945 erlassene Gesetz zum Verbot der NSDAP („Verbotsgesetz") und das am 26. Juni 1945 in Kraft gesetzte Kriegsverbrechergesetz. Die Anzahl der wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen verurteilten Personen liegt vermutlich bei rund 2.000 Personen, von denen - hier Sticht das besonders geringe Strafausmaß in die Augen - 341 zu Strafen im oberen Bereich verurteilt wurden: 43 Angeklagte wurden zum Tode, 29 Angeklagte zu lebenslänglichem Kerker und 269 Angeklagte zu Kerkerstrafen zwischen zehn und zwanzig Jahren verurteilt, 30 Todesurteile vollstreckt, 2 Verurteilte begingen vor der Vollstreckung Selbstmord.

NS Verbrechen ab 1955.

Die Tatsache, dass zwischen 1945 und 1955 eigene Schöffengerichte zur Ahndung von NS-Verbrechen eingerichtet worden waren, verschwand praktisch völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein, was wohl der spätestens seit den Nationalratswahlen 1949 festzustellenden, mit der NS-Amnestie 1957, die bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrages von den Aliierten blockiert worden war, auch formalrechtlich abgesicherten Integration der ehemaligen Nationalsozialisten in das politische System der Zweiten Republik zuzuschreiben ist.

Durch die Rehabilitation wurden binnen weniger Monate fast alle der noch mit Haftstrafen belegten NS-VerbrecherInnen begnadigt und rehabilitiert. Damit waren nicht nur die Verbrechen selbst, sondern auch das, was in den ersten Nachkriegsjahren zu ihrer Ahndung unternommen worden war, kein Gegenstand öffentlicher Diskussion mehr. Auch die ernsthafte Verfolgung von NS-TäterInnen wurde in der Folge – aus mangelndem politischen Willen - bleiben gelassen. Den 34 Prozessen mit Ergebnissen in Österreich im Zeitraum bis heute, stehen 484 Prozesse, vor allem gegen schwerste KriegsverbrecherInnen,  in Deutschland gegenüber.

Erst seit Mitte der 90er Jahre ist der justizielle Umgang mit NS-Verbrechen Forschungsgegenstand in Österreich, dessen nationale und internationale Vernetzung vor allem die 1998 gegründete Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz betreibt.

NS-Verbrecher sterben weg.

Während bis heute in Österreich immer noch NS-VerbrecherInnen von den Behörden unbehelligt leben, werden der zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg nach eigener Einschätzung in den nächsten drei bis fünf Jahren die Fälle ausgehen.  Grund sei der zeitliche Abstand zu den NS-Verbrechen und die Tatsache, dass es dadurch immer weniger lebende VerbrecherInnen gibt, die man zur Rechenschaft ziehen könne. Das Durchforsten von Archiven in Italien, Osteuropa, den USA und Kanada habe 2003 allerdings noch zu Erfolgen geführt: 45 neue Ermittlungsverfahren seien eingeleitet worden. 2002 waren es nur 2, 2001 noch 8.

Zur Tagung erschien eine erste Zusammenfassung der Ergebnisse in der Publikation : "Kriegsverbrecherprozesse in Österreich", Hrsgb.: Heimo Halbrainer, Martin F. Polaschek, Historische und gesellschafts- politische Schriften des Vereins Clio, Bd. 2, ISBN 3-9500971-5- 5, 166 Seiten, 9 Euro

Links: http://www.nachkriegsjustiz.at

     

aus TATblatt Nr. +206, Jänner 2004.

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