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Sex:
Sittsam, bilderlos und strafbar. Mit einer parlamentarischen Farce brachte die ÖVP und die FPÖ eine Verschärfung des Strafrechts durch den Nationalrat, das - oh Wunder - knapp vor der Todesstrafe für Pornografie halt macht. Wie immer konnten sich SPÖ und Grüne zu einer Unterstützung durchringen, da "zwar kein zeitgemäßes Strafrecht geschaffen wurde" (Abgeordnete Stoisits, Grüne), aber man sich "bedingungslos zu allen Punkten bekenne" (Puswald, SPÖ). Ab jetzt kann Sex unter 18 wieder eindeutig unter verschiedenen Vorwänden kriminalisiert werden, und das paßt zu den spießigen Zeiten. Ebenfalls erhalten bleibt die menschenrechtswidrige Verfolgung von Homosexuellen. TATblatt. Begonnen hatte es mit einer "Bürgerinitiative Höhere Strafen für Kindesmissbrauch" von Gerhard Roder, Pressesprecher von Nationalratspräsident Andreas Khol. 40.000 UnterzeichnerInnen verlangten unter anderem eine massive Anhebung des Strafrahmens für die Produktion und den Konsum von Kinderpornographie. In schweren Fällen sollten die Täter mit lebenslanger Haft bedroht werden. Sexualverbrechen sollten grundsätzlich höher bestraft werden als Vermögensdelikte. Weiters wünschten sich die UnterzeichnerInnen, dass Sexualstraftäter während der Haft therapiert und erst dann entlassen werden, wenn GutachterInnen eine vollständige Heilung garantieren. Damit war unter dem immer gängigen Thema "Kinderpornografie", das von Zensur bis zu willkürlichen Hausdurchsuchungen für alles als Vorwand dient, die Latte für massive Eingriffe in freie sexuelle Betätigung gelegt. Der ÖVP war es schon immer ein Anliegen, die Liberalisierungen der 70er-Jahre durch die damalige Absenkung des sogenannten "Schutzalters" (für Mädchen) auf 14 Jahre zurückzudrehen. Zur Vorgangsweise sollte noch erwähnt werden, daß es sonst die ÖVP ist, die bei Scheinbürgerinitiativen der FPÖ als erste von "Mißbrauch der Rechte von Bürgern" spricht, wenn der "Mann aus dem Süden" mit angeblichen BIs die Geschäftsordnung aushebeln oder Druck machen will. Totalitäre Ausrichtung. Welche Überraschung, diese "Bürgerinitiative" konnte auf ÖVP-Justizsprecherin Fekter, Schotterbaronin mit "Verständnis für die Todesstrafe", zählen, die auch Vorsitzende im Justizausschuß des Nationalrats ist. Im Verlauf des Begutachtungsverfahrens präsentierte Fekter gemeinsam mit Helene Partik-Pable (FPÖ) einen sogar über die Regierungsvorlage hinausgehenden Entwurf für weitere ausufernde Straftatbestände, der jedoch nicht weiter berücksichtigt wurde. An und für sich war wieder einmal durch die EU ein Handlungszwang vorhanden, der von der ÖVP ausgenützt wurde um Vorstellungen einer sauberen Jugend und Kampf gegen Schmutz und Schund zum Durchbruch zu verhelfen. Zum Zeitpunkt des Beschlusses lagen mehrere Rechtsakte der EU aus den Jahren 2001 und 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels, der sexuellen Ausbeutung von Kindern und zu Kinderpornografie vor, die endlich umgesetzt werden mußten. Doch alleine die Forderung der obskuren "Bürgerinitiative" zeigte schon, daß unter diesem Deckmäntelchen absolut mit Menschenrechten nicht vereinbare Standards wie unbegrenzte Anhaltung in Strafanstalten unter Ausschaltung jeglicher Rechtssicherheit oder die perverse Bestrafung von Kinderpornografie mit lebenslänglicher Haft eingezogen werden sollten. Zudem sollte auch im Bereich der Sexualität Erwachsener durch ausufernde Bestimmungen über die Belästigung Dritter für hormonelle Sauberkeit gesorgt werden. Denkarbeit wurde nur in begrenztem Maß eigenständig umgesetzt. Die definitorischen Mängel , die durchaus im Interesse der inquisitorischen Justizpraxis österreichischer Gerichte sind, wurden auch nicht dadurch besser, daß der Begriff der Kinderpornografie direkt aus dem § 2256 des US Federal Criminal Code abgeschrieben wurde. Das Gesetz. Das Strafgesetzbuch wurde in mehreren Paragrafen geändert. Die Änderungen bewegen sich in jenen Punkten in einem nachvollziehbaren Rahmen, in denen ein direkter Verweis auf Erfordernisse aufgrund von Vorgaben der EU erkennbar ist. Das betrifft Bestimmungen zur Kooperation mit Justizbehörden anderer Länder, also rein verwaltungstechnische Anpassungen. Die weiteren geänderten Bestimmungen zielen im wesentlichen darauf ab, den Strafrahmen zu erhöhen., sowie offensichtlich nach internationalen Standards unhaltbare Ungleichbehandlungen abzuschaffen. Demnach ist nun Vergewaltigung in der Ehe gleichgestellt mit Vergewaltigung außerhalb der Ehe. Diese Gleichstellung muß die ÖVP große Überwindung gekostet haben, tastet sie doch traditionelle Werte in der Familie an. Damit ist Vergewaltigung in der Familie ebenfalls ein Offizialdelikt, d.h. die Strafverfolgungsbehörde muß von sich aus tätig werden. Bisher mußte die vergewaltigte Ehefrau ihre Zustimmung geben. Wesentliche Kritik kam von den im Justizausschuß angehörten ExpertInnen, die selbstverständlich auch an der Umsetzung der EU-Rechtsakte, die nicht von Khol, Fekter und Partik-Pable stammen konnten, wenig auszusetzen hatten. Allerdings wurde schon zuvor von zahlreichen Gesellschaften für Sexualforschung aus verschiedenen Ländern die Tendenz der EU-Richtlinien kritisiert, sexuelle Straftatbestände stärker zu kriminalisieren als nichtsexuelle, was als Ausdruck genereller Sexualitätsfeindlichkeit unabhängig von Straftatbeständen beurteilt wird. Zum spezifischen österreichischen Entwurf meinten die angehörten ExpertInnen, daß "normale sexuelle Handlungen von Jugendlichen - 14 bis 18 Jährige - kriminalisiert würden". Zudem würden die Strafrahmen willkürlich angehoben, eine Begründung dafür sei in vielen Punkten nicht zu eruieren. Keine Opposition. Im Parlament Umnachtung allerorten. Trotz fadenscheiniger Polemiken läßt sich der Standpunkt der SPÖ in ihrem eigenen Minderheitenbericht zusammenfassen: "Der ganz überwiegende Teil der Bestimmungen wurde im Justizausschuß von der SPÖ-Fraktion mitgetragen - schon weil es sich um eine sinnvolle Umsetzung von EU-Rechtsakten handelt". Abgeordneter Wurm: "begrüßt die Reform des Sexualstrafrechts ausdrücklich. Die SPÖ sei der Regierungsvorlage immer positiv gegenübergestanden". Abg. Grossmann: "Die Ausweitung der Straftatbestände und auch die Anhebung des Strafmaßes geht tendenziell in die richtige Richtung". Stoisits: "Die Grünen haben das Gesetzesvorhaben zur Modernisierung des Sexualstrafrechts grundsätzlich begrüßt". Etwas widersprüchlich zu dem Zitat weiter oben, aber was soll's. Grundsätzlich waren Grüne und SPÖ nicht fähig, die in Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf geäußerte Kritik, daß schon bisher der §207b, der legistisch männliche und weibliche Jugendliche gleichermaßen "schützen" sollte, von den Gerichten zu 100% gegen Homosexuelle angewendet wird, in eine ablehnende Position zu transformieren. Immerhin hat das Europaparlament eine Resolution an Österreich verabschiedet, daß dieser Paragraf nichtdiskriminierend anzuwenden sei. Abschließendes Blödeln. Letztlich stritten sich SPÖ, Grüne und die ÖVP nur noch, warum bei den unter Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses angeführten Personengruppen zwar "Ärzte" oder "Psychologen" angeführt seien, nicht aber "Seelsorger". Das ging der ÖVP zu weit, außerdem seien Seelsorger, wenn auch nicht genannt, selbstverständlich dabei. Im Justizausschuß war auch die mangelnde Genauigkeit der Definition von Pornografie debattiert worden. In der Debatte im Nationalrat vor dem Gesetzesbeschluß warf Justizminister Böhmdorfer launig ein, daß es "nicht um harmlose Fotos, sondern um pornografische Fotos, um reisserisch verzerrte Darstellungen des Genitalbereichs handeln muß". Damit rettete sich Böhmdorfer aus seiner eigenen Inkompetenz, indem er die Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofes nachplapperte.. ÖVP-Ziel erreicht. Die ÖVP hat sich wieder einmal zu 100% durchgesetzt. Zum einen ist es ihr gelungen, daß der als Ersatz für den Homosexuellenparagrafen 209 StGB, der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen des unterschiedlichen Schutzalters für heterosexuelle und homosexuelle männliche Personen aufgehoben wurde, nicht geändert wurde. Der Ersatzparagraf 207b wird in der Praxis, bei einem nunmehr gleich höheren Schutzalter bei Ermittlungen fast nur, bei Haftstrafen ausschließlich gegen homosexuelle Männer angewendet. In den jetzt beschlossenen Bestimmungen wurde die Verjährung von 5 auf 9 Jahre verlängert, die praktische Diskriminierung bleibt. Der zweite Sieg der ÖVP betrifft die grundsätzlichen Vorstellungen nach sexuellem Mief der 50er und 60er Jahre, die zunehmend wieder Wirklichkeit werden. Durch die höheren Bestimmungen über das Schutzalter wird es verzopften Eltern wieder möglich, ihre Kinder massiv unter Druck zu setzen, indem sie mit Anzeigen gegen den Freund/die FreundIn drohen. Das hatten wir schon mal und die ÖVP hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß die früheren Zustände ihre gesellschaftspolitischen Ideale darstellen. Letztlich wird sich erst in der Praxis zeigen, inwieweit es dank hilfreicher Gerichte sexualitätsfeindlichen NachbarInnen oder sonstigen Saubermännern und -frauen gelingen wird, mittels der Belästigungsparagrafen andere mit Klagen zu terrorisieren. Schon jetzt haben Hausverwaltungen alle Hände voll zu tun, Streitigkeiten in Häusern zu schlichten, wenn in der Nachbarwohnung gelegentlich gevögelt wird. Einige Wohnbauvereinigungen betreiben sogar Schlichtungsstellen, um Zivilprozesse zu vermeiden. Erfahrungsgemäß führt jede neue rechtliche Möglichkeit zu einer weiteren Flut von Beschwerden, Klagen und Prozessen. Im Entwurf war vorgesehen, daß Belästigung auch bei nachträglichem Erfahren, daß eine sexuelle Handlung stattgefunden habe, vorgelegen wäre. Jetzt wurde im wesentlichen die alte Regelung beibehalten, daß normalerweise nur die direkte körperliche Belästigung Belästigung ist. Für darüber hinaus gehende Belästigung gilt "Erregung berechtigten Ärgernis", also irgendeine Art von Öffentlichkeit. Allerdings wurde die "unzüchtige Handlung" durch die "sexuelle Handlung" ersetzt. Was Österreichs Gerichte daraus machen, wird NeuroseforscherInnen neue Nahrung geben. Hinten nach. In Großbritannien sind bezüglich Kinderpornografie Diskussionen in Gang, die Strafbestimmungen wieder aufzuweichen. Zum einen haben diese Bestimmungen zu einer Flut von potentiellen StraftäterInnen geführt, die administrativ nicht mehr bewältigt werden kann, der Denunziation Tür und Tor geöffnet und zudem haben juristisch schwammige Definitionen der Straftat zu zahlreichen Fällen von zweifelhaften Anklagen geführt. Das Problem der Definition von StraftäterInnen wurde in Zusammenhang mit dem Internet nie gelöst. Daran haben auch martialische Einsätze der Polizei mit Beschlagnahmungen von Computern nichts geändert. Zum anderen aber haben diese Einsätze wie auch das Veröffentlichen von Identitäten zu dubiosen Vorgängen geführt, die in der Regel mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, der Wohnung und gelegentlich auch mit Selbstmord des/der vermeintlichen TäterIn endeten. Jedenfalls ist jede Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt. Bei NormalbürgerInnen interessierte das bisher eher wenig. Allerdings haben sich einige auch an Politikern und Topmanagern von Konzernen auf diese Art für was auch immer revanchiert, indem sie diese als Kinderpornografiekonsumenten outeten. Vor dem Hintergrund realer Fälle in Belgien und Portugal, wo zahlreiche Minister nicht nur in Kinderpornografie, sondern in aktiven Kindesmißbrauch verwickelt sind, ergibt das in Zusammenhang mit Medienhetze und eben diesen ausufernden Straftatbeständen das geeignete Klima für Denunziation als Mittel zur Existenzvernichtung von Personen. Die österreichischen Parteien sind im Zuge von billigem Populismus auf dem richtigen Weg, solchen Vorgängen die Bahn zu brechen. Bis Khol und rot-grün-blaue Konsorten als fotografierende Kinderschänder oder Bildertauscher entlarvt werden. Spätestens dann steht eine gesetzliche Liberalisierung an, und wenn es deren Kinder betrifft, eine Absenkung des Schutzalters "aus Gründen der Rechtspflege" wie es immer heißt, wenn politische Willkür im Justizbereich herrscht. Aufgrund der entstandenen gesetzlichen Grundlage können wir Andreas Khol nur empfehlen, die Fotoalben über seine Kinder gründlich zu durchforsten und belastendes Material zu verbrennen. Denn sollten uns Beweismittel zugespielt werden, dann ist seine Karriere vorbei. Informationen: http://www.parlament.gv.at mit Entwurf, Stellungnahmen und den jämmerlichen Redebeiträgen diverser Abgeordneter, die von Abschweifungen in verschiedene andere Themen wie Staatsbesuche im Iran, AusländerInnenanteil in Gefängnissen usw. gespickt sind. |
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aus TATblatt Nr. +207, Februar 2004.
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