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    Wege zu Wissen und Wohlstand - Folge 0
Soziale Netze verstehen und nutzen lernen

Arbeit macht nicht frei! Diese unwiderlegbare Erkenntnis aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts widerspricht jedoch sehr wesentlich den subjektiven Erfahrungen einer Mehrzahl der Menschen in Österreich, die vor allem die Freiheit von Arbeit als Unfreiheit erleben.
Nun, an diese Menschen richtet sich diese Serie NICHT. Diese Serie soll vielmehr jenes Wissen vermitteln, das notwendig ist, um die wenigen noch bestehenden Segnungen des Sozialstaats so effektiv wie nur irgendwie möglich ausnutzen zu können. Ziel ist es nur, ein paar Tricks (auf die sich AMS und Sozialämter einstellen könnten), sondern ein bestimmtes Verständnis von Problemlagen zu vermitteln, auf das Betroffene in möglichst allen Situationen in der Lage sind, ihre Interessen zu vertreten und erfolgreich durchzusetzen. Dazu ist aber (mindestens) Zweierlei notwendig: Zum ersten ein Verständnis der Situation, in der sich lohnarbeitslose Menschen befinden bzw. welchen sozialen Veränderungen lohnarbeitslose Menschen unterliegen, zum anderen aber auch eine klare Entscheidung, welches Ziel ich in der Lohnarbeitslosigkeit erreichen will. Und genau davon handelt dieser erste Teil unserer Serie...

Wo ist eigentlich das Problem?

Die Normalität der Arbeitslosigkeit als Alltagserfahrung ist bereits so weit gediehen, dass WissenschafterInnen Normarbeitslosenkarrieren erforschen und konstruieren können. Diese "Normarbeitslosenkarriere" trifft selbstverständlich nicht auf jede und jeden lohnarbeitslosen Menschen in gleicher Weise zu. Tatsache ist aber, dass sich Menschen trotz ihrer Kenntnis des Umstandes, dass es Arbeitslosigkeit gibt und sie statistisch jede Österreicherin und jeden Österreicher alle drei Jahre einmal trifft, nicht auf den Eintritt von Lohnarbeitslosigkeit einstellen bzw. sich nicht darauf vorbereiten. Die Erfahrung von Lohnarbeitslosigkeit ist derart katastrophal konotiert, dass sie Traumata auslöst. Es ist daher davon auszugehen, dass die folgende Skizze einer "Normarbeitslosenkarriere" auf ca. 90% aller betroffenen Menschen zu mindestens 65% zutrifft. Oder anders: Fast alle von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen erkennen sich und ihr Verhalten in zumindest vier der folgenden sieben Punkte wieder.

Wenn aber die folgenden sieben Punkte derart genau die Situation einer großen Mehrheit von lohnarbeitslosen Menschen beschreiben, beschreiben sie AUCH die Situation, in der demütigende oder existenzgefährdende Schritte seitens der jeweils einer Person gegenüberstehenden SozialtechnokratInnen(1) gesetzt werden und werden können. Dieses Wissen ist für professionelle SozialschmarotzerInnen essentiell: Will er oder sie das System möglichst effektiv ausnutzen, gilt es, quasi antizyklische Verhaltensweisen zu entwickeln.

Forschung und Leere: die Arbeitslosenkarriere.

* Person X, die in Kontinentaleuropa (noch) eine Vorwarnzeit von vier bis zwölf Wochen bis zum endgültigen Verlust ihres Arbeitsplatzes hat, verfällt unmittelbar nach der (ersten(2)) Kündigung in einen Schockzustand, der von Depressionen und Panikattacken (gegebenenfalls bis hin zu Ausbrüchen physischer Aggression) begleitet sein kann. In dieser Situation mischen sich die Emotionen aus im Zusammenhang mit der Arbeit erlittenen Demütigungen mit Zukunftsängsten (zu zahlende Kredite, hohe Wohnungsmiete,...).(3)

* Kein Mensch geht gern an Orte, wo er/sie nicht erwünscht ist. Wo ArbeitgeberInnen Kündigungen nicht mit zumindest partiellen Freistellungen oder Resturlaubskonsum kombinieren, gehen die (zukünftigen Ex-)MitarbeiterInnen in den Krankenstand oder suchen sich andere Formen, ihre Abwesenheit vom Arbeitsplatz zu legitimieren. Der Effekt ist jeweils der Gleiche: Die Betroffenen fühlen sich zunehmend von einer unerträglichen Last und der ständigen unwidersprochenen Demütigung am Arbeitsplatz (die erstaunlicherweise von ALLEN - ob HilfsarbeiterInnen oder ManagerInnen - gleich erlebt wird) befreit und nutzen die verbleibende Zeit des Arbeitsverhältnisses zur Erholung, zum Nachholen von Versäumten (was bei Männern idR Hobbies und bei Frauen mit Betreuungspflichten Familienarbeit bedeutet) und letztlich auch zur Kompensation der im Berufsleben erlittenen Verletzungen.

* Die plötzliche Verhaltensveränderung führt zu einer ganzen Reihe positiver Erlebnisse: Bestimmte Vorhaben, die seit Jahren unerledigt geblieben sind, werden plötzlich umgesetzt. Kinder reagieren erfreut, weil die Betreuungsperson nun mehr Zeit mit ihnen verbringt. Die Betroffenen können nunmehr - seit der eigentlichen formalen Kündigung sind inzwischen vier bis acht Wochen vergangen - der Veränderung ihrer Lebenssituation zunehmend auch positive Seiten abgewinnen. In der Regel gab es in den letzten zwei Monaten noch ein Einkommen ohne große Arbeitsleistung, und erste überschlagsartige Berechnungen haben ergeben, dass die Welt vorerst auch ökonomisch nicht zusammenbricht: Zwei, drei Monate ohne Arbeitseinkommen sind also zu verkraften; und aus Sicht der Betroffenen spricht nichts dafür, es sich in dieser Zeit nicht so gut wie möglich zu gehen lassen.

* Das erste Schockerlebnis: An sich eher gut gelaunt und eher frohen Mutes und durchaus voller Erwartungen begibt sich die inzwischen tatsächlich nicht mehr im Beschäftigungsverhältnis stehende Person zum Arbeitsamt, in der Regel in der Hoffnung, noch ein paar Wochen in Ruhe gelassen zu werden. Dort trifft sie auf ein Kommandosystem mit unerklärlichen (und auch nicht prognostizierbaren) Wartezeiten und für sie nicht einsichtigen Ritualen, Abwertungen etc.. Das Ergebnis ist zwar in der Regel formal das Erwünschte ("kommen Sie in acht Wochen wieder"), aber die damit zusammenhängende neuerliche Erfahrung von Abwertung und Demütigung doch sehr irritierend.(4)

* Nach sechs bis acht Wochen Lohnarbeitslosigkeit beginnen sich bestimmte Umfeldfaktoren deutlich zu verändern: Das soziale Umfeld, dass bisher noch immer "hast eh recht" meinte und aufforderte "es sich gut gehen zu lassen", beginnt den Tonfall zu wechseln: "Echt, du hast noch immer keinen....?"

* Nach ca. zwölf bis vierzehn Wochen ohne Erwerbseinkommen stellen sich langsam erste finanzielle Probleme ein. Sie sind nicht gerade existenzieller Art, aber das Geld wandert am Abend eben nicht mehr ganz so einfach über die Buddel wie früher. Probleme macht das eher im sozialen Bereich: Bisher an bestimmte Rituale gebundene soziale Beziehungen (jeden Freitag ins Kino und danach in ein Beisl gehen) werden lockerer. Tendenz und Tonfall der Frage nach der Arbeit wird penetranter.

* Nach sechzehn bis zwanzig Wochen und zwei sehr unerfreulichen AMS-Terminen gibt es manifeste Probleme: Bisher gewohnte und übliche Ausgaben (für Kleidung oder Urlaub) werden bewusst nicht getätigt. Die Stimmung im sozialen Umfeld ist gespannt und hat auch bereits dazu geführt, dass einige FreundInnen sich verabschiedet haben. Der Vorwurf des SozialschmarotzerInnentums steht erstmals direkt im Raum. Als Reaktion darauf wird die Schuld an der eigenen Arbeitslosigkeit wechselweise dem AMS ("Die tun nichts") oder potentiellen ArbeitgeberInnen zugewiesen ("Die/der hat etwas gegen mich, weil...."). Die Entwertungen aus früheren Arbeitsverhältnissen werden wieder spürbar: Ausbildungsdefizite werden bewusst, und die Tatsache, dass ein klares Ziel fehlt bzw. das gesetzte Ziel unrealistisch ist (erscheint), ruft Desorientierung hervor.

* Nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit haben sich die sozialen Beziehungen massiv verändert: Das Umfeld hat sich stark reduziert, die Konsumfähigkeit um 50% verringert. Der Umstieg in die Notstandshilfe verringert die Konsumfähigkeit abermals um 40%.

* Nach neun Monaten Arbeitslosigkeit hat sich die Erkenntnis verstetigt, dass ein Leben ohne Arbeitseinkommen möglich ist. Der Preis der sozialen Segregation und die Verringerung der Partiztipationsmöglichkeiten auf allen Ebenen wurde bereits bezahlt. An sich gibt es keinen unmittelbaren Grund mehr, eine Arbeit anzustreben.

ArbeitsmarktträgerInnen europaweit haben in Anlehnung an diese "Normverläufe" Strategien entwickelt, den scheinbaren Automatismus zu durchbrechen: Nicht zufällig zielt das AMS darauf ab, lohnarbeitslose Menschen gerade dann in Kurse zu stecken, wenn sich (zwischen der achten und zwanzigsten Woche der Arbeitslosigkeit) das soziale Umfeld aufzulösen beginnt (dass die angebotenen Müllkurse die Situation nicht verändern oder gar verbessern können, ist ein anderes Thema). Mit der deutlichen Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation seit (nein, falsch geraten: nicht September, sondern) März 2001 verkommen ursprünglich (im Verständnis von SozialtechnokratInnen) als konstruktive Intervention verstandene Kurse zur Intervention mit psychischer Gewalt (dazu in Teil drei dieser Serie).


Karrierechancen erkennen - Ziele sorgfältig wählen!

Wer erfolgreich individuelle Strategien zum effektiven Ausnutzen des sozialen Netzes entwickeln will, muss sich erst einmal darüber im Klaren werden, welches Ziel erreicht werden soll. Wer etwa auf Kosten des AMS studieren möchte, muss langfristige Strategien wählen und entsprechende Vorsorge treffen, dass ihr oder ihm nicht mitten in der Prüfungsphase (o.ä.) ein Kurs aufs Auge gedrückt wird, der den Studienerfolg behindert. Wer wiederum ein paar Monate unbehelligt Urlaub machen möchte, mag vielleicht recht gut damit fahren, sich mit seinem/ihrem Verhalten gegenüber den AMS-BetreuerInnen sehr nah am oben beschriebenen Profil zu bewegen (das in der Regel eine viermonatige Ruhephase ermöglicht). Und wer wiederum sein/ihr Ziel in der Erringung des noch auszulobenden "Michael-Kohlhaas-Gedenkpreises" sieht, wird zwar viel Spaß, aber kein besonders sicheres Einkommen haben.

Klar ist, dass sich die verschiedenen hier skizzierten Ziele im Wesentichen gegenseitig widersprechen. Umso bedeutender ist die Wahl des richtigen Karriereschrittes. Nur wer von Anbeginn der Arbeitslosigkeit genau weiß, welches Ziel zu verfolgen ist und in welchem Kontext daher welcher Schritt gesetzt wird, kann die entsprechenden Karrierepläne auch wirklich erfolgreich umsetzen (und zwar ohne die Selbstachtung zu verlieren). Grob wären folgende Karrieremuster zu skizzieren:

Die KurzzeitdurchtaucherInnen...
...wollen einen zeitlich klar begrenzten, aber länger als zwanzig Wochen dauernden Zeitraum ohne großen Stress in der Arbeitslosigkeit verbringen. Sie wissen ganz genau, was sie nach Ende dieser Frist zu tun und wie sie dieses Tun zu finanzieren gedenken. Das einzige, was sie vom AMS wollen, ist Geld und ansonsten in Ruhe gelassen werden. Als Alternativvariante: ...vom AMS eine ganz bestimmte, eher teure Ausbildung finanziert erhalten.

Die HängemattentesterInnen...
...wollen einfach in Frieden leben und anderen nicht das Glück, für Geld arbeiten zu dürfen, vor der Nase wegschnappen. Sie sind sich im Großen und Ganzen schon bewusst, dass irgendwann einmal der finale Krach kommen kann, der sie aus dem AMS-Bezug schmeißt, aber der kommt ohnehin (und zwar unabhängig davon, dass mensch sich davor fürchtet oder nicht; also kann mensch's gleich bleiben lassen). Bis zum finalen Krach jedoch gilt es, noch möglichst viele Monate mit sinnvoller Aktivität wie politischer und kultureller Tätigkeit, Liebe, Computerspiele spielen, Studieren oder fallweisem Pfuschen zuzubringen, ehe die Zeit wieder mit Lohnarbeit totgeschlagen werden muss. Die Devise am Arbeitsamt heißt daher, keine Chance auf Geld auslassen und nicht besonders negativ auffallen...

Le Explorateurs....
Sie sind die, die immer nachschauen gehen, wohin wir eigentlich kämen, wenn wer fragt, wohin wir eigentlich kämen, wenn alle nur ohne Arbeit zu Geld kommen wollten. Sie sind die BaumeisterInnen des zukünftigen Arbeitslosenversicherungsrechts und der Krankenversicherungsdefizite im Bereich Psychotherapie für AMS-MitarbeiterInnen im Burn-out.
Genaugenommen gibt es sie gar nicht. Weil sich aber weder KurzzeitdurchtaucherInnen noch HängemattentesterInnen alles gefallen lassen können und sich auch einmal zur Wehr setzen müssen, wenn's hart auf hart geht, konstruieren wir für diese Serie eine virtuelle Person, die jeden Instanzenzug, der ihm/ihr offen steht, nutzt; jede Maßnahme des AMS aufs Äußerste bekämpft (und immer gewinnt).

Also, SozialschmarotzerIn der Zukunft.... entscheiden Sie Sich!

Wege zu Wissen und Wohlstand im April:
* Die Wiedereinstellungszusage
* Das Studium auf AMS-Kosten
* Der Kampf gegen die Aufnahme diskriminierender Wertungen in Datensätzen durch das AMS




Anmerkungen:
(1) Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass MitarbeiterInnen von Sozial- und Arbeitsämter allesamt automatisch schlechte Menschen seien. Gerüchten zu Folge soll das nämlich - anders als bei PolizistInnen und SoldatInnen - nicht stimmen. Dennoch treten sie - ob gewollt oder ungewollt - den Betroffenen als mit Gestaltungsmacht und Autorität ausgestattete Institution gegenüber, ohne dass es ausreichende Rechtsschutzeinrichtungen oder soziale Mindeststandards gäbe. Wenn in der Folge MitarbeiterInnen dieser Ämter und Einrichtungen pauschal als SozialtechnokratInnen bezeichnet werden, so geschieht dies ausschließlich hinsichtlich ihrer institutionellen Funktion. Die Serie, deren erster Teil hiermit vorgelegt wird, wäre nämlich ohne Zuarbeit von MitarbeiterInnen des AMS und der Wiener Sozialämter nie zu Stande gekommen!
(2) Das Verhalten verändert sich mit zunehmender Erfahrung im Umgang mit Arbeitslosigkeit. Wer zum wiederholten Male arbeitslos wird, hat in der Regel dazwischen wieder Arbeit gefunden und damit auch die Erfahrung gemacht, dass es ein "Zurück" gibt.
(3) Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Dauer des Fortbestands eines Beschäftigungsverhältnisses und der Reaktion. Statistisch signifikant ist etwa, dass kurze Kündigungsfristen (wie etwa in den USA üblich) gewalttätige Reaktionen weit eher hervorrufen als längere Kündigungsfristen (bei denen psychosomatische Reaktionen auffällig sind).
(4) Mensch vergegenwärtige sich bitte auch die Situation derer, die diese Demütigungen verursachen: Sie sitzen in dieser Phase vor allem Menschen gegenüber, die unmittelbar definitiv nicht arbeiten wollen, es sich aber nicht direkt zu sagen getrauen und bisweilen die absurdesten Ausreden erfinden. Das System erzwingt regelrecht eine GegnerInnenschaft von AMS-MitarbeiterInnen und arbeitslosen Menschen.
     

aus TATblatt Nr. +208, März 2004.

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