tatblatt.net __

 

     
     
    Ein zweifelhaftes Gutachten:
Soll die Schuld beim Opfer liegen?

Zur Feststellung der Todesursache von Seibane Wague wurden - wie üblich - gerichtsmedizinische Gutachten erstellt. Das Ergebnis: nicht die Amtshandlung, sondern die körperliche und geistige Verfassung des Misshandelten sowie Drogen - in diesem Fall "überdurchschnitllich gutes Haschisch" - hätten zum Tod geführt.

Der Wiener Rechtsmediziner Danielle Risser kommt in seinem Gutachten(1) zum Schluss, dass Seibane Wague den "massiven körperlichen, wie auch geistig seelischen Belastungen im Zuge des Geschehensablaufes offenbar nicht gewachsen" gewesen sei. Einige wesentliche Fragen bleiben jedoch unbeantwortet: Die Untätigkeit des Notarztes und die umstrittene Fixierung in Bauchlage werden nicht thematisiert.

Dass Risser von massiver körperlichen Belastungen ausgehen muss verwundert nicht, wenn mensch bedenkt, dass zeitweise mindestens zwei Leute auf dem reglos auf dem Boden Liegenden standen und gleichzeitig weitere Einsatzkräfte ihn niederdrückten. Er wurde geschlagen und sollte mit einer Spritze "ruhiggestellt" werden. Die Frage, warum die behaupteten geistigen und seelischen Belastungen zum Tod beitrugen, lässt das Gutachten ebenso unbeantwortet, wie die genaue Todesursache. Cheibani Wague sei an Sauerstoffmangel im Gehirn gestorben. Was diesen Sauerstoffmangel auslöste, darauf legte sich der Gutachter laut Anwältin der Witwe Wagues nicht fest.

Vergleichen wir diesen Fall mit der Tötung Marcus Omofumas, so werden einige Parallelen sichtbar: damals lieferte ein Gutachten des Gerichtsmediziners Reitter eine Entlastung der Angeklagten, obwohl das zuvor erstellte Gutachten eines anerkannten Gutachters aus Sofia eindeutig einen Tod durch Ersticken feststellte. Marcus Omofuma sei laut Reitter an diesem oder jenem gestorben, aber erstickt, nein das sei er nicht. Und schon gar nicht aufgrund der menschenverachtenden Behandlung, die ihm zuteil wurde. Damals konnte aufgrund des großen öffentlichen Drucks die Erstellung eines unabhängigen Gutachtens erwirkt werden. Dieses bestätigte letztendlich das bis zuletzt in Zweifel gezogene Urteil eines Gutachters aus Sofia, der als erster den Körper von Marcus Omofuma untersuchte und einen Erstickungstod aufgrund von Gewaltanwendung feststellte. Die dem Gutachten Reitters zugrunde liegende These, Marcus Omofuma sei selbst an seinem Tod schuld, fand schlussendlich im Urteil vor dem Landesgericht Korneuburg Eingang; trotz der Tatsache, dass dieses Gutachten vor Gericht mehr und mehr zerlegt wurde und schlussendlich weder der Richter noch die Verteidigung der drei Fremdenpolizisten, die Marcus Omofuma töteten, sich weiter darauf berufen konnten.

Und nun wird wieder die Schuld beim Opfer gesucht: Wague hatte laut Gutachten ein schwaches und krankes Herz, keine harten Drogen im Blut, dafür jedoch "überdurchschnittlich gutes Haschisch" (zit. nach Standard) verwendet. Und deshalb sei mit "intensiven Nebenwirkungen zu rechnen" gewesen. Dies suggeriert, dass am Tod im Zuge der Amtshandlung nicht die Beamtshandelnden schuld sind, sondern ein krankhaft vergrößertes und äußerst schwaches Herz.

Auf dieser Grundlage führte Dr. Bürstl, der Vertreter der belangten Bundespolizeidirektion Wien (BPD), am 15. Jänner 2004 vor dem UVS aus: "Die vermutete Todesursache ist Herzstillstand infolge einer deutlich hohen Konzentration von THC im Blut in  Verbindung mit den Vorschäden am Herzen und dem Erregungszustand des Herrn Wague." Dr. Bürstl wollte dies im Rahmen der UVS-Verhandlung gar mit einem zusätzlichen Gutachten beweisen lassen. Der UVS lehnte jedoch ab, da nicht die Todesursache, sondern die etwaige Rechtswidrigkeit der Amtshandlung Gegenstand der Verhandlung vor dem UVS sei.

Verhandlungsleiter Dr. Helm hatte bereits im September 2003 - also noch vor Fertigstellung der Gerichtsgutachten - ein Gutachten samt Literaturrecherche bei der MA 15 (Gesundheitswesen der Stadt Wien) in Auftrag gegeben, um Aufschluss über die Auswirkungen durch Fixierung in Bauchlage zu erhalten. Auf Grundlage dieses Gutachtens stellte der UVS per Bescheid fest, dass die angewendete "Art der Fixierung lebensgefährlich ist, also grundsätzlich geeignet, jemanden zu töten."



Anmerkung:

(1) Insgesamt wurden drei gerichtsmedizinische Gutachten zur Feststellung der Todesursache erstellt, was durchaus üblich ist, da die Gutachter meist auf einzelne Bereiche spezialisiert sind, wie z.B. Herz-Kreislauffunktion oder Untersuchung des Gehirns. Ein vom UVS angefordertes Gutachten bei der MA 15 entstand unabhängig von diesen.
Weiters sei angemerkt, dass uns die Gutachten nicht im Wortlaut vorliegen und wir uns deshalb auf Berichte in diversen Medien beziehen. Gerade wegen der Ungereimtheiten in Gerichtsgutachten, wird immer wieder gefordert, diese zu veröffentlichen und unabhängige Gutachten zu erstellen. So forderte die Anwältin der Witwe Wagues, die sehr viele Ungereimtheiten in den Darstellungen Rissers erkannte, ein unabhängiges Gutachten über die Todesursache. Unseres Wissens nach wurde ein solches bis heute nicht erstellt.

     

aus TATblatt Nr. +208, März 2004.

>>TATblatt-Homepage  

©TATblatt, 2004
Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken alternativen Medien ohne weiteres gestattet (Quellenangabe und Belegexemplar erbeten)!

In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin (siehe Impressum).