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Ergänzung zu TATblatt
+216.
Eine soziale Bewegung, die sich immer noch in verschiedene
Richtungen bewegt.
Eine Bilanz des 2. Tierrechtskongresses in Wien 2004.
von "Paul".
Wie viele TierschützerInnen, TierrechtlerInnen und
TierbefreierInnen
sich diesmal zum Tierrechtskongress nach Wien bewegten? Vielleicht
200? Interessanter ist, wieviele, wer und warum nicht zum Kongress
kamen. Was sie zu dieser Entscheidung bewog, war in vielen Fällen
die
Unbekümmertheit der OrganisatorInnen des Kongresses gegenüber
antiemanzipatorischen Gedanken, deren VertreterInnen auf dem Kongress
für ihre Sache - und diese ist nicht die Sache der Tierbefreiung -
werben durften. Eine Konferenz, die sich für alle öffnet -
wie es
Anliegen der VeranstalterInnen nach ihrer eigenen Aussage war -
öffnet sich freilich auch für Sekten, AntisemitInnen,
AntifeministInnen, ja sogar SpeziesistInnen. Die Ausrichtung von
sozial-politischen Kongressen ist sicherlich für OrganisatorInnen
problematisch; wer wird eingeschlossen, wer ausgeschlossen, zeigt man
die Bewegung in ihrer realen Existenz oder einen Teilausschnitt und
damit ein Wunschbild der Bewegung, geht man unangenehme Diskussionen
ein oder ihnen aus dem Weg? Dass soziale Bewegungen heterogene
Kollektive sind, in denen Menschen nicht nur aus verschiedenen
Beweggründen und mit verschiedenen Zielvorstellungen
zusammenkommen,
sondern auch mit verschiedenen sozial-politischen Ideen, davor bleibt
auch die Tierrechtsbewegung nicht verschont. Kongresse sind daher
eine gute Möglichkeit, um sich selbst gewahr zu werden, welche
Auffassungen die Bewegunsakteure zu verschiedenen Themen vertreten.
Die Frage ist dann aber, wie mit den verschiedenen
geäußerten
Positionen umgegangen wird. Eine Veranstaltung ohne kritische
Moderation läuft Gefahr, das Ziel der kritischen Reflexion und
bewegungsinternen Selbstemanzipation zu verfehlen. Dass dies von den
VeranstalterInnen nun gar nicht beabsicht war, ist hierbei wohl das
Hauptproblem. Zu sehr trug der diesjährige Kongress die
Handschrift
des Vereins VgT, der nicht nur aufgrund seiner antifeministischen
Vereinspolitik in die Kritik kam, sondern auch aufgrund seiner
sukzessiven Annäherung an den Tierschutz (und damit Entfernung vom
Konzept der Tierrechte und Tierbefreiung). Letzteres wurde vor allem
beim Arbeitskreis "Tierschutz versus Tierrechte?" deutlich, bei dem
die hinter den Begriffen stehenden Positionen verwischt bzw. als
aufeinander aufbauend dargestellt wurden - leider gab es trotz zweier
Referenten bei diesem AK kein Gegenreferat. Bei diesem Vortrag wurde
gegenwärtig, was zuvor bereits von einigen TierrechtlerInnen und
TierbefreierInnen kritisiert wurde: die Unschärfe, mit der sich
die
eigene Bewegung selbstbestimmt. Nicht nur die Entwicklung der Ideen
des Tierschutzes, der Tierrechte und der Tierbefreiung nahm einen
ganz eigenen Verlauf, auch die Forderungen und Ziele unterscheiden
sich maßgeblich, sowie ihre sozial-politische Orientierung
verschieden ist. Vom bloßen Mitleid gegenüber manchen Tieren
(Tierschutz), über die Fortführung der Menschenrechtsidee als
unveräußerliche Rechte auf Freiheit, Unversehrtheit und
Selbtsbestimung auch der tierlichen Individuen (Tierrechte) bis hin
zur Befreiung der Tiere aus der Gewalt und Herrschaft des
sozial-ökonomischen Systems und der menschlichen Individuen
über sie
(Tierbefreiung), ist nicht nur ein quantitativer Sprung. Der geplante
Vortrag von Prof. Richard Ryder "Animal Revolution" hätte diese
gesellschaftlich-politischen Prozesse aufzeigen können - leider
fiel
er aufgrund von Krankheit aus. Der Vortrag von Mag.a Birgit
Mütherich zu "Speziesismus, soziale Hierarchien und Gewalt" hat
dafür aber die symbolischen Grundlagen des Herrschaftsgedankens
aufgezeigt. So wird deutlich, "dass der Mensch-Tier-Dualismus und das
Konstrukt 'Tier' selbst einen hochproblematischen Bezugsrahmen bilden,
der als tiefenkulturell verankertes, handlungsleitendes Symbolsystem
auch innerhumane Ausgrenzungsprozesse präformiert, reproduziert
und dynamisiert:
Indem 'das Tier' im traditionellen Denken zur Antithese 'des Menschen',
zur Produktionsfläche sozial unerwünschter, 'naturhafter' und
kulturell tabuisierter oder bedrohlicher Eigenschaften wird, dient es
als Prototyp des 'ganz Anderen', des evolutionär Vorgängigen,
Primitiven und Unterwerfbaren, dessen 'Bestimmung' sich durch den
menschlichen/gesellschaftlichen Verfügungszweck definiert. Das mit
dem Mensch-Tier-Dualismus konstruierte Deutungssystem und
Wertgefälle fungiert damit als Basisfolie und
Argumentationsrepertoire für hierarchische 'Wesens-'Zuordnungen,
Attribuierungen von Höher- und Minderwertigkeit,
Unterdrückungsformen, institutionalisierte Gewalt und
korrespondierende Legitimationsschemata, die prinzipiell - das
erkannten bereits die Begründer der Frankfurter Schule - auf
andere, nämlich menschliche Gruppen übertragbar sind." Die
Hierarchisierung von 'Mensch' und 'Tier' wird symbolisch zum Ausdruck
gebracht - durch unseren Sprachgebrauch zum Beispiel. In welcher Weise
unsere Sprache Tiere diskriminiert und wie ein antispeziesistischer
Sprachgebrauch erreicht werden kann, war Gegenstand eines weiteren
Arbeitskreises. Neben der Sprache legitimieren auch andere kulturelle
Konstrukte die Herrschaft über Tiere: die Religionen, allein auf
Menschen ausgerichtete Ethikkonzeptionen, die Gesetze. Zu allen
Bereichen gab es Vorträge; den größten Raum nahm -
sogar insgesamt auf den Kongress
bezogen - das Rechtssystem ein: Wie können Rechte für Tiere
juridisch
fixiert werden, was hat das Bundestierschutzgesetz gebracht, ist
politisches Lobbying sinnvoll und möglich, welchen Verlauf nahmen
die
jüngsten Tierrechtsprozesse, wie geht man mit der Staatsgewalt um
und wie kann man sich vor ihr schützen? Teilt man die Definition
von Rechten als Möglichkeit (im Sinne von Macht), einen anderen zu
einer Handlung oder dem Unterlassen einer Handlung legal zu zwingen,
anstatt eines rein philosophischen Rechtsentwurfs, so mag eine Bewegung
nicht darum herumkommen, sich auch Gedanken zur Einklagbarkeit von
Rechten zu machen. Die Frage ist hier jedoch, ob der
politisch-juristische Weg im derzeitigen politischen und Rechtssystem
gangbar ist, ohne die Ziele der eigenen Bewegung und ihr eigenes
Selbstverständnis zu verraten. Leider war auch diese Diskussion
stark vom VgT dominiert, der aufgrund seiner Mitarbeit am
Bundestierschutzgesetz Österreichs bei jeder Gelegenheit des
Kongresses die zur Aufforderung verdichtete These wiederholte, die
Tierrechtsbewegung müsse sich an der Gesetzgebung direkt
beteiligen. Diese These ist nicht nachvollziehbar vor allem
hinsichtlich des Umstandes, dass das politische System das
wirtschaftliche System ist. Und gemessen an der Zahl der Unternehmen
und des errungenen Profits ist die Tierausbeutungsindustrie der
größte Sektor der Wirtschaft. Und warum sollte sich ein
System selbst abschaffen, wenn es für sich selbst nur Nachteile
daraus ziehen würde? Die Unwissenheit über
sozial-politisch-ökonomische Zusammenhänge mancher
TeilnehmerInnen am Kongress bereitete mehr
als einmal Kopfschmerzen. So auch bei den an die Vorträge zu
"Kritische Analyse der KZ-Holocaust-Gleichsetzungen" und
"Antischächtkampagnen - Tierschutz/Antisemitismus, Antiislamismus,
Xenophobie"
anschließenden Diskussionen. Doch inwieweit sind
antiemanzipatorische Bewegungsakteure in den 'eigenen' Reihen
verwunderlich, wenn die Tierrechtsbewegung von Teilen der
Konservativ-Rechten unterwandert, vom Mainstream der Gesellschaft
inklusive der politischen 'Linken' als apolitisch dargestellt wird und
- dieses A-Politische inzwischen zu ihrem Selbstbild gemacht -
scheinbar ohne politisches Zuhause in alle Richtungen läuft?
Kongresse haben immer auch das Gesicht
derer, die sich dort einbringen. Wenn sich 'die Linke' einredet, sich
nicht in die Tierrechtsdiskussion einbringen zu können und anstatt
dessen Herrschafts- und Gewaltsysteme reproduziert und stützt,
weil die Opfer in diesem Fall tierliche Individuen sind, arbeitet sie
nicht nur ihren eigenen Ansprüchen entgegen, sondern verpasst
gesellschaftliche Entwicklungen.
Nach dem Motto, wenn das Tierausbeutungssystem nicht über die
Ethik abzuschaffen ist, bauen wir eigene Wirtschafts- und kulturelle
Strukturen auf, gingen die Vorträge vor zu den Themen "Bio-Vegane
Landwirtschaft", "Tissue engineered 'hydroponic' animal-free animal
meat", "Veganismus/Tierprodukte/Future Food", "Wege zum Veganismus",
"Veganismus - KonsumentInnenmacht", "Vegane Infrastruktur" und "Vegane
Kinder". Tiere werden im System der menschlichen Arroganz und Ignoranz
ja nicht nur als Arbeitskräfte gegen ihren Willen,
heißt unter Zwang eingesetzt; ihre Körper sind neben
Produktionsmittel
auch Reproduktionsmittel und - vor allem - 'Produkte', 'Waren'. Die
Beendigung der Tierausbeutung geht aus diesem Grund logischer Weise mit
einer Veränderung des Konsum- und Produktionsbereichs einher. Eine
lebhafte Diskussion entstand bei der Diskussion um die Erzeugung von
Fleisch aus Zellgewebe im Labor. Die Kritik richtete sich vor allem
daran, dass der Konsum von 'Tierlichem' weiterhin fortbesteht und damit
auch seine symbolische Grundlage auch wenn fast kein tierliches
Individuum hierfür gehalten und umgebracht wurde - von
der Zellentnahme bei der Anlegung der Zellkultur abgesehen. Angesichts
des üppigen Angebots an pflanzlicher Nahrung erscheint die
Herstellung von tissue-engineered Fleisch nicht einmal notwendig;
angesichts der Persistenz des Großteils der Gesellschaft auf
speziesistische kulturelle Praktiken könne mit dieser Technik
jedoch das Leben von unzählbaren tierlichen Individuen gerettet
werden. Der Frage, ob scheinbare Alternativen zur Tierausbeutung
wirklich 'tierfrei' sind, ging auch ein anderer Beitrag nach: der
Vortrag zu "Alternativen zu Tierversuchen". Die 'Versuchstier'industrie
hat den Begriff der 'Alternativmethoden' in ihrem Sinne umdefiniert,
dort werden weiterhin Teile eines tierlichen Individuums verwendet,
wenngleich unter anderem Label.
Entgegen aller Regierungsversprechen aller Staaten, in denen eine
Tierrechtsbewegung existiert, sind die Tierversuche in den vergangenen
Jahren anstatt rückgängig sogar wieder steigend.
Der neue Markt der Biotechnologie sowie der Transplantationsmedizin
wird als gewinnbringender Zukunftsmarkt gesehen. Der Missbrauch von
Tieren wird auf ein vielfaches zunehmen. Die Wirtschaftssituation von
sog. Tierversuchsauftragslaboren verbessert sich. Im Frühjahr 2003
arbeitete ein Journalist undercover im Affenlabor des
Tierversuchsauftragsunternehmens Covance in Münster, Deutschland.
Unrechtssysteme halten sich unter anderem durch die Verbreitung von
Lügen und durch Desensibilisierungsstrategien aufrecht. Der
investigative Journalismus setzt diese Systeme oftmals unter Druck.
Covance geriet unter Druck, als Beweismaterial in Form von Photos und
Videoaufnahmen von dem Journalisten veröffentlicht wurde. Der
Journalist gab auf dem Kongress Einblick in seine Erfahrungen bei
Covance. 2000 Affen sitzen bei Covance in Stahlkäfigbatterien.
Über "Die kognitiven Fähigkeiten von Schimpansen" berichtete
auf dem Kongress die Primatologin Preuschoft, die die wissenschaftliche
Leitung der Rehabilitation der SchimpansInnen übernommen hat, die
aus den Versuchslaboren des Pharmaunternehmens Baxter frei kamen. Der
Einblick in die Tierausbeutungsunternehmen rüttelt auf, bewegt.
Gezielte Kampagnen gegen Tierausbeutungsunternehmen können diese
stoppen. Die Kampagnenarbeit gegen die Tierversuchsindustrie (z.B. die
SHAC Kampagne) und gegen die Pelzindustrie (z.B. die "Offensive gegen
die Pelzindustrie") wurde in einem Arbeitskreis vorgestellt. In beiden
Bereichen ist im Verlauf verstärkt die Untergrundgruppe
der Tierrechtsbewegung/Tierbefreiungsbewegung - die Animal Liberation
Front - aktiv, um mit direkten Aktionen Wirtschaftssabotage zu
betreiben oder Tierbefreiungen durchzuführen. Anders als
diejenigen Gruppen, die bewusst offene Tierbefreiungen durchführen
- wie das "Projekt Befreite Tiere", das auf dem Kongress vorgestellt
wurde -, arbeiten die Zellen der ALF anonym. Nur bei Verhaftungen
erhalten sie einen Namen und ein Gesicht. John Curtin, ein
Ex-ALF-Aktivist aus England, der mehrmals wegen direkten Aktionen in
Haft saß,
erzählte auf dem Kongress die Geschichte der ALF und redete
über ihre
heutige Bedeutung für die
Tierrechtsbewegung/Tierbefreiungsbewegung.
Mehrere Tausend Tiere wurden seit der "Band of Mercy" und den "Animal
Liberation Leagues" - den Vorläufern der ALF - und der Formierung
der ALF aus den Käfigen und ähnlichem befreit worden: aus
sog. Pelzfarmen, Versuchstierzuchten, Fangnetzen, Fallen, Ställen.
Pelzabteilungen gingen in Rauch auf, Käfige wurden
zertrümmert, Fleischtransporter in Brand gesetzt, Hochsitze
umgesägt, Tierausbeutungsunternehmen mit Farbe besprüht oder
entglast uvm. Direkte Aktionen werden hierbei sowohl als strategische
Mittel gesehen, um die durch Tierausbeutung entstandenen Gewinne zu
reduzieren und um das Leben der Tiere direkt zu retten als auch als
symbolische Handlungen, um dem Herrschaftssystem mit Entschlossenheit
entgegenzutreten.
Die sich zwischen Revolution und Widerstand befindlichen direkten
Aktionen der Tierrechtsbewegung/Tierbefreiungsbewegung werfen die Frage
auf, ob sie sich auf das Widerstandsrecht berufen können, als
Kampf gegen unrechtmäßige Herrschaft über Tiere. In
einem Vortrag zu "Demokratie und Tierrechtsbewegung/Widerstandsrecht"
wurde diese Frage bejaht und ein Begründungssystem vorgestellt.
Damit wurde an die akademische Diskussion um die Widerstandslehre
angeknüpft, die die Frage nach den Tieren bisher ignorierte.
Generell zeigt sich die Forschung und Lehre im Bereich der Human-Animal
Studies unterbeschäftigt, wie in den Vorträgen zu "Tierrechte
an der Universität" und "Tierschutz im Unterricht" zur Sprache
kam. Wissenschaftliche Publikationen zu den Mensch-Tier-Beziehungen
nehmen zwar zu, bleiben aber von der Mainstream-Wissenschaft unbeachtet
und weiterhin ein Exotenthema. Dies dürfte dann durchaus ein
Abbild der gesellschaftlichen Wahrnehmung der
Tierrechtsbewegung/Tierbefreiungsbewegung an sich sein:
TierrechtlerInnen und TierbefreierInnen noch immer Exoten, die
gefährlich, zumindest lästig sind, zu Fremden geworden, weil
sie für die tierlichen Anderen eintreten, einen Kampf führen,
der
kulturelle Traditionen und wirtschaftliche Institutionen angreift, die
für die meisten Menschen so selbstverständlich sind, dass
für sie die
Frage nach ihrer Legitimität nicht einmal für einen
Augenblick ins Bewusstsein rückt.
Der Schlussvortrag von einem der Organisatoren zu "Die
Tierrechtsbewegung - wie weit sind wir?" war dann aufgezwungen
optimistisch. Dabei war die Fragestellung bereits so undifferenziert
(Wer ist wir? Tierrechtsbewegung in welchem Land oder global? Zu
welchem Bereich/Thema?), dass eine Antwort eigentlich nicht
möglich ist. "Die Tierrechtsbewegung - wer sind wir?" dürfte
eine
Diskussion sein, die die Bewegung in nächster Zeit verstärkt
beschäftigen wird. Wenngleich die Antwortfindung eine Arbeit sein
wird, die wie bei allen sozialen Bewegungen eine - aufgrund des
Bewegungscharakters - unabgeschlossene bleiben wird, ist zu hoffen,
dass sich die Tierrechtsbewegung/Tierbefreiungsbewegung als
emanzipatorische beim nächsten Kongress auch als solche
präsentiert. Denn die Idee
der Tierrechte und Tierbefreiung ist unbestritten emanzipatorisch, wie
ihre praktische Realisierung unzweifelhaft notwendig und drängend
ist.
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