(Dieser Artikel wurde der in Wien erscheinenden Alternativzeitschrift "akin" entnommen)
Vor mehr als einem halben Jahr, am 4. August 1996 lief die dreijährige "Probezeit" von Renate S. wegen ihrer Verurteilung bezüglich der akin-Veröffentlichung der Unterschriftenliste für den "Aufruf zum Ungehorsams gegen Gesetze" ab. Jetzt, am 13.März, teilte die Europäische Kommission für Menschenrechte mit, daß sie nach Prüfung Renates Beschwerde gegen dieses Urteil und der Stellungnahme der Republik Österreich dazu, die Sache nicht dem Straßburger Gerichtshof vorlegen werde. Mit einer 4:3-Mehrheit erklärte die Erste Kammer der Kommission unter Präsidentin Jane Liddy die Beschwerde für unzulässig.
In der Erörterung hatte die Republik Österreich erklärt, daß Art. 10, Abs. 2 der Menschenrechtskonvention die Verurteilung decke, weil es doch darum ginge "die Ordnung im Bundesheer zu wahren und die nationale Sicherheit zu schützen" [alle Zitate Übersetzungen aus dem englischen Original des Entscheids]. Im übrigen sei die für den Aufruf verantwortliche "Gruppe für Totalverweigerung" als Urheberin "von Störaktionen bei Stellungsverfahren des Österreichischen Bundesheeres" bekannt. (Gemeint waren damit wohl die zwar störenden, aber eben rechtskonformen mehrköpfigen Rechtsbeistände, die Stellungspflichtige zu den Kasernen begleitet hatten.)
Über weite Strecken folgt die Kommission der Argumentation der Republik: "Die Kommission erkannte, daß die Verurteilung der Beschwerdeführerin dem Gesetz [...] entspricht. Überdies zielte die Verurteilung auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Vorbeugung von Unordnung und Verbrechen ab. Diese Absichten werden durch Art. 10/2 der Konvention legitimiert." Zwar hätte die Presse in einer demokratischen Gesellschaft die Aufgabe eines "öffentlichen Wachhundes", aber dies müßte sich in einer "verfassungsgemäßen Form" abspielen. Jedoch könne "solch unverfassungsgemäßer Druck nicht in einer demokratischen Gesellschaft toleriert werden".
Als Vergleich führt die Kommission u.a. einen Entscheid des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte an, in dem dem Verband demokratischer Soldaten Österreichs Recht gegeben worden war. Dessen inkriminierte Flugblätter hätten nur Vorschläge für Reformen und Aufforderungen enthalten, auf legalem Wege Beschwerden gegen die Obrigkeit zu führen. Das Verbot dieses Aktes wäre unzulässig gewesen, da der VDSÖ nicht "zu Ungehorsam oder Gewalt aufgefordert" hätte. Die Aufforderung zum Ungehorsam wäre bei Renates Fall aber sehr wohl vorhanden gewesen und die Verurteilung damit rechtmäßig.
Rechtsanwalt Thomas Prader zeigte sich enttäuscht. Da Renate als Journalistin verurteilt worden ist, die mehr oder weniger nur über die Angelegenheit berichtet habe, stellt sich ja wohl die Frage, ob nicht auch die RedakteurInnen des Falters oder des Standards, so wie auch jener Zeitungen, die nur über die Sache berichtet haben, sich strafbar gemacht haben, so Prader.
Vor dem jetzt ergangenen Entscheid hatte die Menschenrechtskommission noch ein Paket an Beschwerden von Unterzeichneten angenommen. Die vertritt Rechtsanwalt Heinz Vana. Aber der hätte sich eher sogar von Renates Fall "noch mehr versprochen, weil da die Pressefreiheit ja viel unmittelbarer angesprochen ist". Dennoch hat Vana noch eine leise Hoffnung, da seine Beschwerde noch weitere Rügen betreffs mangelnder Öffentlichkeit des Verfahrens u.ä. enthält. Wenn die Kommission die Klage "alimine" (JuristInnenlatein: "ohne weiteres") ablehnen würde, müßte der Bescheid schon da sein, so Vana.
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"Militär und Gewalt sind für mich keine geeigneten Mittel internationale Konflikte zu lösen. Das Bundesheer ist eine Institution, die zu blindem Gehorsam und Unmündigkeit führt. Ich bin der Überzeugung, daß es längst an der Zeit ist, das Bundesheer abzuschaffen. [...] Ich fordere daher die Einstellung aller Verfahren gegen Wehrdienst- und Totalverweigerer und die Streichung aller Strafbestimmungen aus Wehr-, Militärstraf- und Zivildienstgesetz. Damit dies geschieht, fordere ich alle auf, Militärgesetze nicht zu befolgen. Ich bin mir darüber klar, daß dies eine Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze (im Sinne des Paragraphen 281 StGB) ist."
"Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtssprechung zu gewährleisten."
aus: TATblatt Nr. plus 75 (8/97) vom 24. April 1997
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