Die Briefbomben und Morde der "Bajuwarischen Befreiungsarmee" haben Jörg Haider zu einem juristischen Erfolg verholfen und ihm obendrein viel Geld erspart. Der FPÖ-Obman bracht Behauptungen über ds TATblatt nicht zu widerrufen, obwohl sie als "Unwahrheit" und "ehrenverletzende Tatsachenbehauptungen" erkannt worden sind.
(TATblatt)
Gerichtsverfahren haben so ihre Höhen und Tiefen. Insbesondere aber haben sie nicht unbeträchtliche Längen. Am Ende einer solchen Länge kommt dann ein Augenblick, in dem mensch sich fragen kann: Hat's das gebracht?
Typisch österreichisch wie wir sind, verdrängen wir diese Frage lieber und fangen an einem Punkt an, der grob als "am Anfang" bezeichnet werden könnte: am 15.September 1994.
Im Zuge einer Fernsehdiskussion mit Madleine Petrovic beschuldigt Haider das TATblatt, es hätte dazu "aufgefordert (...), uns Briefbomben zu schicken". Das TATblatt sei deswegen "auch verurteilt worden". Im unnachahmlichen Haider-Stil legte der FPÖ-Obmann noch ein Schäuferl nach und bot Petrovic offensiv an, ihr das Urteil zu überlassen ("Ich habe das mit, das kann ich ihnen geben").
Sie hätte es wohl nehmen sollen: Das TATblatt hatte niemals dazu aufgefordert, der FPÖ Briefbomben zu schicken und war folglich auch nie deswegen verurteilt worden. Haiders Behauptungen über das TATblatt sind inzwischen von allen Gerichtsinstanzen bis hin zum Obersten Gerichtshof als "unwahr" und "ehrenverletzende Tatsachenbehauptung" erkannt worden. Haider ist nunmehr rechtskräftig dazu verurteilt, diese Behauptungen zu unterlassen.
Verbunden mit der Klage auf Unterlassung der falschen Behauptungen über das TATblatt war auch ein Antrag unsererseits auf Widerruf derselben. Einem solchen Antrag ist stattzugeben, wenn dem Beklagten ein schuldhaftes Verhalten - dabei genügt schon leichte Fahrlässigkeit - nachgewiesen werden kann.
Für die Gerichte erster und zweiter Instanz war die Sache klar: Haider -- immerhin gelernter Jurist -- habe mit dem sachlich falschen Verweis auf ein früheres Urteil gegen das TATblatt die gebotene Sorgfalt außer acht gelassen. Dies sei Verschulden genug, also müsse er seine Behauptungen im Anschluß an eine abendliche Nachrichtensendung des ORF widerrufen.
An der Unwahrheit der Haider-Aussagen konnte auch der Oberste Gerichtshof nichts ändern. Dieser verlegte sich daher darauf, einen Ausweg aus dem für Haider sehr teuren Widerruf zu suchen.
Und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg...
Ende 1992 hatte das TATblatt im Vorfeld des "Anti-AusländerInnen"-Volksbegehrens der FPÖ unter anderem ein Plakat dokumentiert, in dem nebst Adressen verschiedener FPÖ-Abgeordneter auch die Aufforderung, ebenjenen "kleine Aufmerksamkeiten" zu schicken, enthalten war. Diese Aufforderung, die zu unterlassen das TATblatt verurteilt wurde (1), ist nun im zweiten Verfahren TATblatt vs. Haider nach Ansicht des OGH zwar noch immer keine Aufforderung, Briefbomben an die FPÖ zu senden, Jörg Haider aber hätte sie als indirekte Aufforderung dazu verstehen können.
Aus dem Urteil des OGH: "Dabei ist zu beachten, daß seit der Veröffentlichung der Aufforderung im Jahr 1992 die öffentliche Meinung infolge der nachfolgenden Ereignisse aufgrund der im Dezember 1993 einsetzenden Briefbombenserie äußerst sensibilisiert worden war, sodaß der Bedeutungsinhalt der Aufforderung des Klägers, Briefe und Pakete als kleine Aufmerksamkeit dem politischen Gegner zu schicken, von einem geänderten Empfängerhorizont her zu beurteilen ist. Dies muß auch beim Beklagten und der Beurteilung seines allenfalls vorliegenden Verschuldens an einer Mißinterpretation berücksichtigt werden. Aufgrund der dargelegten Erwägungen ist hier ein relevantes Verschulden des Beklagten zu verneinen."
Im Klartext: Weil Haiders politische GegnerInnen in Österreich mit Briefbomben eingedeckt werden, darf Haider politische Aktionen, die -- das ist durch FPÖ-Aussendungen gut dokumentiert -- zu keinerlei Gewalttätigkeiten gegen ihn oder andere FPÖ-FunktionärInnen und schon gar nicht zu Briefbomben geführt haben, quasi rückwirkend zu Gewaltaufrufen uminterpretieren. In der Folge darf er diese Uminterpretation auch öffentlich von sich geben und muß sie, obwohl sie gerichtlich als unwahr erkannt wurden, nicht widerrufen.
Den OGH-RichterInnen "entgangen" dürfte nicht nur sein, wer in Österreich Täter, wer Stimmungsmacher und wer Opfer rechtsextremer Gewalt ist, sie "übersahen" auch noch ein paar juristische Details, deren Beachtung für das TATblatt nicht unerheblich gewesen wäre:
Die Urteile des OGH sind endgültig. Das vorliegende Urteil vor internationalen Instanzen zu bekämpfen, scheint mangels rechtlicher Grundlagen aussichtslos.
Mit dem OGH zieht die neue Zeit, und sollte Haider je an die Macht kommen, brauchen sich einige Herren nicht um ihre Jobs zu sorgen.
Was bleibt, sind neuerlich etwa 12.000,- Öschis an Kosten, die wir Haiders Anwalt überweisen sollen. Angesichts dieser existenziellen ökonomischen Bedrohung für das Projekt TATblatt verdängen wir auch weiterhin -- ÖsterreicherInnen sind wir, ÖsterreicherInnen bleiben wir -- die Eingangs aufgeworfene Frage (nicht umsonst ist Wien die Wiege der Psychoanalyse).
Leider sind wir nun dazu gezwungen, den Anwalt des führenden österreichischen Rechtsextremisten mit etwas mehr als 12.000,- Öschis zu sponsern. Wir ersuchen Euch, Liebe LeserInnen, daher, uns kleine Aufmerksamkeiten in Form von Geldspenden zukommen zu lassen. Die außertourliche finanzielle Mehrbelastung übersteigt unsere Möglichkeiten deutlich...
Konto.Nr.: 7547.212, lautend auf: Unabhängige
Initiative Informationsvielfalt
bei der Österreichischen Postsparkasse (Bankleitzahl 60000)
Kennwort "Aufmerksamkeit"
1) Das TATblatt wurde 1994 dazu verurteilt, diese Aufforderung
(die nicht vom TATblatt, sondern aus einer dokumentierten Wandzeitung stammte)
sowie die Behauptung, Jörg Haider betreibe rassistische Hetze, zu
unterlassen. Das Verfahren ist zur Zeit bei der Europäischen Kommission
für Menschenrechte anhängig.
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2) Das Wort "Briefbomben" kommt weder im Akt
noch im Urteil des Verfahrens um die "rassistische Hetze" und
die "kleinen Aufmerksamkeiten" auch nur ein einziges Mal vor.
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aus: TATblatt Nr. plus 75 (8/97) vom 24. April 1997
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