Wo nichts ist, ist nichts. Als nicht existent, abgesehen von einem kleinen Grüppchen in Wien demonstrierender AktivistInnen von VIRUS, hat sich angesichts des Baubeginns im April der Widerstand gegen die 380 kV-Hochspannungsleitung gezeigt. Offensichtlich war es das. Die Behördenverfahren haben nicht die Verhinderung des Projekts gebracht, und somit kann gebaut werden. Warum das alles so kommen muß(te) bzw. wer daran Schuld haben könnte, soll Gegenstand der folgenden Überlegungen sein.
von einem Tatblättler
In der Ausgabe Mai der anarchistischen "Graswurzelrevolution", die maßgeblich an der Vorbereitung und den Aktionen gegen die Castor-Atombehältertransporte nach Gorleben in Niedersachsen beteiligt war, wird erklärt, wie es zu einer der weltweit bedeutendsten Massenaktionen mit vielfältigen Formen des Widerstandes gegen die Atomwirtschaft und ihre Projekte kommen konnte.
"Die Alternative lautet nicht 'Gorleben verhindern' oder 'Wiederaufarbeitung im Ausland verhindern', sondern schlicht über die Verhinderung von Gorleben die Voraussetzungen für die Verhinderung der Wiederaufarbeitung schaffen!". Bisher sei der Widerstand in anderen Regionen Deutschlands, etwa rund um das atomare Lager Ahaus in Nordrhein-Westfalen, schwach und sporadisch gewesen. "Erst im Rückenwind der Castor-Transporte nach Gorleben stießen die Gruppen in der Euregio (die Atomstandorte Ahaus, Gronau und Lingen in Deutschland, sowie Almelo in den Niederlanden; Anm.) in den letzten Jahren auf größere Resonanz. Gegen den für Herbst angekündigten Castor-Transport aus Neckarwestheim (ein AKW, Anm.) wird daher derzeit - mit Unterstützung aus dem Wendland (Region Gorleben, Anm.) - für einen 'Tag X' in Ahaus mobilisiert, mit der begründeten Hoffnung, einen erheblichen Teil des durch Gorleben mobilisierten Potentials auch für Ahaus nutzbar zu machen...Eine soziale Bewegung wie die Anti-AKW-Bewegung entzündet sich nun einmal nicht an der wissenschaftlichen Analyse - so bedauerlich das manchmal auch sein mag - sondern entlang von Betroffenheit und Symbolen. Gorleben ist ein solches Symbol des Widerstandes, und dieses Symbol hat es möglich gemacht, daß sich um die Castor-Transporte eine Bewegung entwickelt hat, die erstmals seit Tschernobyl ernsthaft wieder das gesamte Atomprogramm in der BRD in Frage stellen kann".
Die Anti-Castor-Aktionen sind erfolgreich und die Basis ihres Erfolges sollte nicht ignoriert werden. In Zusammenhang mit der 380 kV-Leitung können gewisse Parallelen, wenn auch genau in die entgegengesetzte Richtung, gezogen werden. Es ist weithin bekannt, daß die 380 kV-Leitung als Atomstromschiene von der Verbundgesellschaft benötigt wird, und daß erhebliche gesundheitliche Risiken damit verbunden sind. Und außerdem verfügte der österreichische Widerstand dagegen vor Jahren einmal über eben jenes symbolträchtige Projekt in Form von Hainburg, das so idealtypisch Beamtenwillkür, Polizeistaat und Machenschaften der E-Wirtschaft repräsentierte.
Doch davon ist nichts mehr vorhanden. Zunächst: es gibt keine soziale Bewegung mehr. Entlang der gesamten Leitungsstrecke gibt es keine BürgerInneninitiative, die in den letzten Wochen irgendeine Stellungnahme oder gar eine Aktion zustande gebracht hätte. Die BIs im Südburgenland waren bekanntermaßen sowieso häufig ein Anhängsel der burgenländischen Grünen, die nicht einmal im Landtag vertreten sind. Mittlerweile haben sich auch die burgenländischen Grünen als Partei von der Diskussion um die 380 kV-Leitung stillschweigend verabschiedet, weil ...; ja warum eigentlich? Die Grünen waren und sind im Burgenland bedeutungslos; vielleicht wollten sie sich eine Offenlegung dieser Tatsache ersparen.
Wie der Erfolg, so hat auch der Mißerfolg viele Eltern. Hainburg wurde über Jahre politisch entwertet, indem es durch Organisationen wie der ÖH und dem WWF, mit tatkräftiger Unterstützung von Greenpeace und anderen bezüglich seines Wertes umgedeutet wurde. Damals war es zumindest bei einer kritischen Masse der BesetzerInnen systemkritischer Angriff, in der Folge wurde es durch die Aktion "Au Freikaufen" und der einzigen bleibenden Forderung nach einem Nationalpark zu einem politischen Faserschmeichler. Zudem verlor die grundsätzliche Kritik an der E-Wirtschaft immer mehr an Boden. Übrig blieben die geretteten Bäume. Das Symbol wurde zum eigentlichen Inhalt.
Verschärft wird diese Entpolitisierung durch Taktiken der Grünen, entweder Leute aus Initiativen gezielt herauszukaufen (Beispiele Global 2000, BI Ennsnahe Trasse, aber auch "BürgerInnen beobachten die Polizei"), oder überhaupt gleich selbst BIs als Vorfeldorganisationen zu gründen. Beispiel für letzteres ist die B301, wo die BIs, die sogar eine ominöse Plattform gebildet haben, aus nicht viel mehr als aus einem Mann mit Handy und dem Wiener Gemeinderat Kenesei bestehen, die bei amtlichen Gelegenheiten irgendwelche Protestunterschriften anläßlich einer Pressekonferenz von Kenesei präsentieren.
Auf der anderen Seite sind eben auch Gruppen wie Global 2000 nur mehr auf Kampagnen fixiert und befinden sich zu ähnlichen Organisationen in einem kapitalistischen Wettbewerb um Spendengelder und publizistische Reichweiten. Allerdings müssen die internen Kosten für die Verlustrate, mit der Global 2000 ununterbrochen von ihnen aufgebautes "kampagnenfähiges" Personal an andere abgibt, mittlerweile enorm sein. Erst vor eineinhalb Jahren wurde, begleitet von großem Werbetrara im Standard, vom ÖIE/Südwind kommend Brigid Weinzinger als Geschäftsführerin eingestellt, die just kurz nach Beendigung des Gentechnik-Volksbegehrens ihren Abgang zu den Grünen in Niederösterreich als Spitzenkandidatin für den Wahlkampf im nächsten Jahr bekanntgab. Damit hat Global 2000 die Grünen mit mindestens zwei, Greenpeace mit weiteren zwei und die ÖGUT mit einem ihrer führenden FunktionärInnen versorgt. Fraglich ist wie lange sich die AktivistInnen das noch gefallen lassen, nämlich daß sie unbezahlt arbeiten, aber ständig irgendwelche Leute an der Spitze durch die Organisation die Gehaltsleiter rauffallen.
Nun könnte es uns eigentlich wurscht sein, ob Global 2000 an seinem Abgang in der obersten BürokratInnenschicht früher oder später zugrunde geht. Trotzdem ist es nicht egal, denn alles ist vernetzt und äußerst kompliziert. Eines der unmittelbar einsichtigen Argumente ist, daß eine solche Politik ständig entpolitisiert, indem sie Menschen, die potentiell oder schon aktiv politisch arbeiten, entpolitisiert. Dies geschieht ganz einfach dadurch, daß sie ihrer eigenen Möglichkeiten beraubt werden und sich wieder als machtlos erleben, weil es dort - d.h. bei den Grünen oder eben bei einer über Massenmedien kampagnenfixierten Umweltorganisation - ohnehin einen unglaublich viel mächtigeren und effizienteren Apparat gibt, der ihre Anliegen so unglaublich viel besser transportieren und durchsetzen kann.
Auch wenn das nicht stimmt, denn es ist alles bloßer Schein - wie das Gentechnik-Volksbegehren und seine Nicht-Konsequenzen in fundamentalen Punkten erneut zeigt - erzeugt diese StellvertreterInnenpolitik, die nur auf ausgefüllte Erlagscheine abzielt, Ohnmacht.
Die unmittelbare Niederlage gegen die Verbundgesellschaft hat die Umweltbewegung bereits vor ein paar Jahren gegen die Staustufe Wien eingefahren. Damals war jedes Guthaben aus Hainburg verspielt. Jetzt kommt die Draufgabe, und das ist die 380 kV-Leitung. Hier gibt es keine zu schützenden Bäume, sondern zu verhindernde Atomstromimporte und Strahlenbelastungen. Aber dazu würde es einer breiten grundsätzlichen Kritik der Energiepolitik, und keine Kronenzeitungskampagne gegen Osteuropa oder Gentech-Ausländer, bedürfen. Und die Leute müßten die Sache selbst in die Hand nehmen, und nicht GrünbürokratInnen überlassen.
Davor hat die E-Wirtschaft Angst, und deshalb mußte gerade in dem Monat, in dem die Verbundgesellschaft mit dem Bau der Zufahrtstraßen zur Trasse begann, medial eine schwachsinnige Geschichte vom "dritten Mann von Ebergassing" [im niederösterreichischen Ebergassing war 1995 erfolglos versucht worden, einen 380 kV-Masten zu sprengen, wobei zwei Genossen ums Leben kamen; Anm.]. aufgewärmt werden. Die haarsträubende Story verschwand jedoch sofort wieder aus den Zeitungsseiten, als die Verbundgesellschaft merkte, daß es ohnehin keinen Widerstand gegen die 380 kV-Leitung mehr gibt. Wo nichts ist, ist eben nichts. Da bedarf es auch keiner Hetze mehr gegen "ÖkoanarchistInnen und LinksextremistInnen".
aus: TATblatt Nr. plus 77 (10/97) vom 22. Mai 1997
(c)TATblatt
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken, alternativen und ähnlichen
Medien ohne weiteres gestattet (Belegexemplar erbeten)!
In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin
(siehe Impressum)