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Medizin und Entnazifizierung in Österreich

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HumanmedizinerInnen wurden von den Entnazifizierungsgesetzen des Jahres 1945 - im Gegensatz etwa zu ApothekerInnen, RechtsanwältInnen, GastwirtInnen oder TrafikantInnen - nicht betroffen. Am ersten Blick erstaunlich für eine Berufsgruppe, in der nach 1938 die aktiv Praktizierenden fast vollständig ausgetauscht worden waren: Mehr als 65% der Wiener ÄrztInnen waren aufgrund der Nürnberger Rassegesetze mit 1.Oktober 1938 von der Berufsausübung ausgeschlossen, mehr als drei Viertel (153 von 197) aller Lehrenden an der medizinischen Fakultät der Universität Wien entlassen worden. Das Loch, das Ausschluß und Vertreibung jüdischer ÄrztInnen und ProfessorInnen sowohl in der medizinischen Versorgung als auch in der Lehre gerissen hatten, mußte schnellsten geschlossen werden. Die medizinische Fakultät brach folglich in den Jahren 1938 bis 1944 in Sachen AbsolventInnen und Habilitierungen alle Rekorde.

Diese "Explosion" wissenschaftlicher Qualifikation kam aus jenen Bereichen, in denen sie aus Sicht des Regimes auch eingesetzt werden sollte: Der in Nürnberg verurteilte österreichische Arzt Wilhelm Beiglböck arbeitete im Rahmen seiner Habilitierung an "Meerwasserversuchen". Im Auftrag der Marine untersuchte er die Überlebensmöglichkeiten von Matrosen, die nach einer Strandung nur Meerwasser zur Verfügung hätten. Versuchsobjekte waren KZ-InsassInnen.

Kein Wunder also, daß viele derart ausgebildete ÄrztInnen, und in deren Gefolge auch Pflegepersonal, Verwaltungsbeamte und Bedienstete der Gebietskörperschaften, sich an Euthanasieaktionen beteiligten.

Die österreichische Regierung hatte die humanmedizinischen Berufe in den Entnazifizierungsgesetzen in der Absicht ausgelassen, eigene rechtliche Bestimmungen für diese Berufsgruppen zu schaffen. Dennoch kam es bereits 1945 zu ersten, den medizinischen Bereich betreffende Entnazifierungsmaßnahmen:

Durch Entlassung von Lehrpersonal an den Universitäten reduzierte sich zum Beispiel der an der medizinischen Fakultät in Wien bis 1945 wieder erreichte Stand von etwa 200 ProfessorInnen und DozentInnen auf etwa 50 Personen.

Nach der Überprüfung von 1078 ÄrztInnen übermittelteten die US-Behörden der Regierung eine Liste von 420 ÄrztInnen, die entlassen oder von der Berufsausübung ausgeschlossen werden sollten.

Eigene, Humanmediziner betreffende Bestimmungen wurden schließlich nicht in ein eigens geschaffenes Gesetz, sondern in die Entnazifizierungsgesetze des Jahres 1947 aufgenommen. Als belastet eingestufte Personen wurden durch diese Gesetze bis 30.April 1955 an der Ausübung der Berufe der ÄrztIn, der ZahnärztIn, der DentistIn bzw. ZahntechnikerIn sowie der bereits 1945 genannten Berufe der PharmazeutIn und der TierärztIn ausgeschlossen. Minderbelastete Personen, die in der ursprünglich vom österreichischen Nationalrat beschlossenen, aber vom Alliierten Kontrollrat beeinspruchten Gesetzesfassung des Jahres 1946 von diesen Beschränkungen nicht betroffen sein sollten, wurden von den schließlich Gesetzeskraft erlangenden Bestimmungen mit Berufsverbot bis 30.April 1950 belegt

Nach den Bestimmungen des NS-Gesetzes 1947 standen mit einem Schlag mehr als 2000 ÄrztInnen, 221 ZahnärztInnen, 535 PharmazeutInnen und fast 400 TierärztInnen in verbotener Beschäftigung. Dies stellte insbesondere in Wien eine Bedrohung der ärztlichen Versorgung da, u.a. auch deshalb, weil sich VertreterInnen der ÄrztInnenschaft deutlich gegen die Rückkehr ihrer nach 1938 emigrierten KollegInnen aussprachen.

Durch Entfernung aus dem Berufsleben, in weit größerem Ausmaß jedoch über die im Gesetz ebenfalls vorgesehene Legalisierung der Tätigkeit von minderbelasteten Personen durch "besonders zu diesem Zweck gebildeten Kommissionen" (19 Abs.2 NS-Gesetz 1947) wurde die Zahl der illegal Beschäftigten bis 1948 fast gänzlich abgebaut. Diese besonderen Kommissionen verbanden die Wiederzulassung mit Auflagen, etwa bezüglich der Institution oder des Ortes der Betätigung. Daraus resultiert, daß viele minderbelastete ÄrztInnen ihre Tätigkeit nach 1947 wiederaufnehmen bzw. weiterführen konnten. Auch Personen, die bei der Vertreibung jüdischer ÄrztInnen 1938 entscheidende Positionen innehatten, stand diese Möglichkeit offen: Beispielhafte Erwähnung verdient etwa Dr. Max Tobis, der nach 1938 in verschiedenen ÄrztInnenorganisationen führend tätig war und 1941 als "Kommissar" an der Verfolgung der letzten jüdischen ÄrztInnen Wiens mitgewirkt hat. Dr. Tobis ordinierte bis zu seinem Tod 1952 ungehindert in Wien. Der ehemalige Gauärzteführer Wiens Dr. Otto Planner wurde 1955 in den Vorstand der Wiener Ärztekammer, der Gauärzteführer Kärntens Dr. Oscar Kauffmann 1954 sogar zum Ärztekammerpräsidenten Kärntens gewählt.

Ein nicht geringer Teil der 1945 entlassenen ProfessorInnen der Universität waren bereits ab 1948 wieder an ihrer oder zumindest einer vergleichbaren Stellung tätig. Wo dies nicht der Fall war, so kann dies weitgehend auf geringe fachliche Qualifizierung der 1945 Entlassenen zurückgeführt werden. Eduard Pernkopf, bereits frühzeitig NSDAP-Mitglied, langjähriger Dekan der medizinischen Fakultät und von 1943 bis April 1945 auch Rektor der Universität Wien, wurde 1945 zwar als Universitätsprofessor entlassen, konnte aber 1949 als Mitglied der Akademie der Wissenschaften ehrenvoll in Pension gehen. Der von ihm verfaßte Anatomie-Atlas, erst kürzlich neu aufgelegt, dürfte unter Beschreibung der Leichen von NS-Opfern entstanden sein.

Die freundliche Behandlung betraf jedoch nicht allein ÄrztInnen. Auch der für "Erb- und Rassenpflege" zuständig gewesene Leiter des Gesundheitsamtes im Magistrat Linz konnte seine Position nach 1945 behalten.

Die Teilnahme von ÄrztInnen und Pflegepersonal an den Euthanasieprogrammen und Menschenversuchen der NS-Zeit machte neben der bürokratischen auch eine justizielle Entnazifizierung im medizinischen Bereich notwendig. Im Nürnberger ÄrztInnenprozeß wurden zwei österreichische Ärzte, Hans Eppinger und Wilhelm Beiglböck, wegen krimineller, menschenverachtender Menschenversuche angeklagt. Hans Eppinger beging 1946, nachdem er bereits wegen illegaler NS-Mitgliedschaft ab 1937 verurteilt und von der Universität Wien entlassen worden war, Selbstmord. Sein Mitarbeiter Beiglböck wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, von denen er nur 8 tatsächlich absitzen mußte. Nach seiner Haftentlassung 1955 wurde er Primar am Krankenhaus Buxtehude (BRD).

Wegen krimineller und menschenverachtender Tätigkeit wurde aber auch in Österreich ÄrztInnen und Pflegepersonal der Prozeß gemacht. Die Ergebnisse dieser Prozesse waren, mager: "Die Pfleger schieben die Verantwortung auf die ÄrztInnen, die ÄrztInnen geben vor, nach Befehlen und unter Druck gehandelt zu haben oder sie wiesen auf angebliche oder tatsächliche Verzögerungsversuche hin; letzlich haben alles die in diesem Falle `ungreifbaren Zentralstellen zu verantworten, bzw. die geflüchteten, gefallenen oder toten Chefs und Missetäter" (Hubenstorf, "und wurden von den Nazi ins Altreich verschleppt ..., 1980, S.107). In den Verfahren gegen Leiter, ÄrztInnen und Pflegepersonal der psychiatrischen Kliniken Österreichs, in denen im Rahmen der Euthanasieprogramme tausende Menschen ermordet worden waren, wurden viele Beschuldigte freigesprochen bzw. viele Verfahren einfach eingestellt (z.B. gegen die Leiter der Anstalten "Am Steinhof", "Gugging" und "Valdona"). Einige der Beschuldigten entzogen sich dem Strafverfahren durch Selbstmord (z.B. der Leiter von "Hartheim") oder starben im Kriegseinsatz bzw. in Kriegsgefangenschaft. Dennoch kam es in den Jahren 1945 bis 1948 zu einigen Urteilen, in den die Angeklagten schwere Strafen erhielten. In Verfahren gegen ÄrztInnen und Pfleger der psychiatrischen Anstalt Klagenfurt bzw. "Am Spiegelgrund" wurden insgesamt fünf Todesurteile verhängt, von denen drei vollstreckt wurden. Einige österreichische Gutachter der Aktion T4 konnten jedoch nach 1945 ungehindert als Fachärzte ordinieren. Dr.Hans Bertha, ebensolcher T4-Gutachter, konnte 1954 a.o.Professor in Graz werden und wenige Jahre später sogar zum Klinikchef aufsteigen. In einem Prozeß war er 1948 vom Vorwurf der illegalen NS-Mitgliedschaft freigesprochen worden, ohne daß seine Mitwirkung an Euthanasieprogrammen zur Sprache gekommen wäre.

Zwischen 1949 und 1955 wurden eine Reihe von Urteilen in neuerlichen Verfahren aufgehoben, weitere Verfahren vom OGH eingestellt. Eine nennenswerte inhaltliche Aufarbeitung der Mitwirkung von MedizinerInnen an den Verbrechen der NS-Zeit begann überhaupt erst Ende der 70er mit der Anzeige gegen Heinrich Gross. Wenig überraschend ist daher, daß der Großteil der Österreich behandelnden Literatur zu diesem Thema von lediglich drei AutorInnen stammt.


aus: TATblatt Nr. plus 82 (,15/97) vom 11. September 1997
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