Am 11. Februar 1996 kam es in Graz zu einem Brandanschlag auf Shell. Der Feuerwehrangehörige und Universitätslehrende Otto Widetschek leuchtet in der Zeitschrift "Blaulicht" nicht nur den "Verfall der Sitten", der sich in diesen Anschlägen manifestiert, gehörig aus, sondern auch die Vorgänge am Brandort, dem Tanklager von Shell in Graz.
Blaulicht 6/96; TATblatt
Doch zunächst das Umfeld: "Brandattentate und Terror auf der ganzen Welt". Wieder hat eine politische Extremistengruppe zugeschlagen. "Wir leben an der Schwelle zum dritten Jahrtausend in einer Epoche der Auflösung aller geistigen Werte", meint der Autor des Artikels zu Recht. Die Folge ist Terror, was wir bestätigen können. Alle und alles versagt, Kirche, Kapitalismus und Kommunismus, auch die Demokratie, die "unter den Stiefeln des Terrorismus droht zertreten zu werden". Die Lösung: umfassende Sicherheit, mehr Security und Fachberatung. Doch noch ist es nicht soweit, erst müssen die Vorgänge rund um den Brandanschlag ausgelotet werden.
Der Ort des Geschehens war das Tanklager von Shell in Graz-Puntigam, wo sich neun unterirdische Tanks mit einer Kapazität von jeweils 100.000 bis 150.000 Litern Treibstoff befinden. Außerdem gibt es dort einen Hochtank für 400.000 Liter Diesel. Den Mittelpunkt der Anlage bildet die zentrale Zapfanlage. Unter der Woche werden an dieser die Tankwagen durch Betriebspersonal versorgt. In der Nacht und am Wochenende befüllen die Fahrer der Tankwagen diese selbst, wofür sie einen eigenen Schlüssel besitzen.
Auf dem Gelände befinden sich zwei Gebäude, in denen das Feuer gelegt wurde. Eines ist das Verwaltungsgebäude einschließlich dem Lagerbüro, das den kommunikativen Bereich mit EDV bildet. Hier ist die Online-Verbidung zwischen Graz und der Zentrale in Wien untergebracht, sowie die EDV-Steuerung der Zapfanlage.
Das zweite Gebäude ist der soziale Bereich mit den Aufenthaltsräumen. Hier ist mit einem eigenen Trakt die Brandmeldezentrale eingerichtet.
Zur Brandfrüherkennung gibt es in beiden Gebäuden eine automatische Brandmeldeanlage. Zur leichten Erkennung der Brandmeldezentrale sind rotblinkende Leuchten rund um die Tür angebracht. Beim Haupttor ist stets ein zentraler Schlüsseltresor für die Feuerwehr vorhanden.
Die wichtigsten Zugangsbereiche werden mit Kameras überwacht. Dieses Überwachungssystem ist allerdings nur in der Dienstzeit in Betrieb, und eine lückenlose Videoaufzeichnung rund um die Uhr ist nicht möglich. Dieses Sicherheitssystem ist vom Konzept her nicht geeignet, Eindringlinge außerhalb der Dienstzeiten zu identifizieren, meint Otto Widetschek.
Seit einiger Zeit wurde das Tanklager aber von einem Wachdienst (Group 4) angefahren und periodisch begangen. Eine Dauerbesetzung gab es aus Kostengründen nicht.
Um 02.14 Uhr schlug der Brandmelder an. Um 02.16 rückten mehrere Feuerwehrfahrzeuge aus, die um 02.23 am Einsatzort ankamen. Um 02.25 wurde mit der Erkundung begonnen. Um 02.26 verständigt die Feuerwehr die Polizei und den Brandschutzbeauftragten von Shell, kurz darauf die Rettung. Währenddessen wurde bereits der Brand im Sozialgebäude gelöscht, was laut Aussage der Feuerwehr einfach war. Benötigt wurden lediglich 200 Liter Wasser, während alleine das Großtanklöschfahrzeug 10.000 Liter mitführt. Um 02.48 beginnt die Feuerwehr wieder einzupacken. Die Feuerwehr glaubt zunächst an Selbstentzündung eines ölverschmutzten Teiles von Arbeitskleidung. Den Resten einer Glasflasche wird keine Bedeutung beigemessen, weil dies in einem Aufenthaltsraum nichts ungewöhnliches ist. Die gesplitterten Fensterscheiben wurden mit Verpuffung im Brandraum begründet.
Um 04.11 dreht der Wachdienst wieder eine Runde und entdeckt Rauch. Um 04.17 trifft ein normales Tanklöschfahrzeug am Gelände ein. Um 04.22 ist der Brand erkundet, diesmal im anderen Gebäude. Aufgrund aufgefundener Spuren wird nun die Kriminalpolizei informiert. Bereits um 04.52 ist wieder alles vorbei und es sind die ersten Ermittlungen durchgeführt; die Kriminalpolizei ist anwesend.
Die Tatrekonstruktion aus der Sicht der Ermittelnden ergibt vermutlich diesen Hergang: Um 2.00 werden mit sicherheit zwei Molotov-Cocktails im Bereich des Sozialgebäudes eingesetzt. Der erste wird gegen das Fenster des Gebäudes geworfen, zerstört zwar das Glas, kann jedoch nicht in das Gebäude eindringen. Dieser fällt nach außen zu Boden und versinkt im Schnee. Erst der zweite dringt ins Gebäude ein und zündet.
Der zweite Brand ist nicht mehr genau rekonstrierbar, insbesondere ob er gleichzeitig oder erst später gezündet wurde. Mit Sicherheit sind es diesmal drei Molotov-Cocktails, die laut Aussage der Feuerwehr "ebenfalls in mehr oder weniger dilettantischer Art und Weise" geworfen werden.
Der Schaden beträgt vier Millionen Schilling, wovon eine Million auf die Sanierungskosten entfällt. Von der Schadenssumme wird nur die Hälfte durch die Versicherung gedeckt. Im Verwaltungsbereich kam es trotz der guten Sauerstoffzufuhr durch das eingeschlagene Fensters zu keiner größeren Brandausbreitung. Die hohen Schäden sind durch die große Hitze, infolge derer es im gesamten Erdgeschoß zu Abschmelzungen von Kunststoffbestandteilen (Kabel, Einrichtungsgegenstände) kam. Dabei entstehen giftige und korrodierende Dämpfe, die den elektronischen Geräten und sogar dem Gebäude selbst Schäden zufügen.
Damit aber noch nicht genug; am 23. März 1996 verübt das "Kommando Ken Saro Wiwa II" eine Brandanschlag auf das Tanklager der OMV in Graz. Vier Molotov-Cocktails prallten bei diesem "gottlob dilettantisch ausgeführten Terrorakt", so Feuerwehrkommandeur Widetschek, von den Gebäudemauern des Tanklagers ab.
Am 5.5.1996 wird durch Molotov-Cocktails das Café der Shell-Tankstelle in der Mariatrosterstraße in Graz in Brand gesteckt. Dabei brennt die Inneneinrichtung vollkommen ab.
"Durch die Radikalisierung in unserer Gesellschaft kommt es in immer größerem Maße zu Brandlegungen und Brandattentaten in Betrieben", warnt uns der Experte berechtigterweise. Brandattentate sind für die Feuerwehr (in Österreich) jedoch weitgehend Neuland. Zudem stellt sich das Problem, daß die Folgeschäden der Brände wegen des hohen Kunststoffanteils in prakitisch allen Gebäuden den weitaus größten Teil des Schadens ausmachen, vor allem durch Salzsäure-Schäden an EDV-Anlagen.
Vom Experten wird für Tanklager ein rund-um-die-Uhr Werkschutz, sowie eine am Ort ansässige Betriebsfeuerwehr vorgeschlagen. Für Shell in Graz empfiehlt Widetschek eine Übersiedlung des Tanklagers auf das OMV-Gelände in Lannach, wo es eine Tag und Nacht anwesende Feuerwehr gibt. Als Mindesterfordernis hält er jedoch eine Alarmanlage mit Standleitung zu der Bewachungsfirma Group 4 für nötig. Nur periodisch durchgeführte Kontrolldienste sind in der Praxis wirkungslos, da sich professionelle Täter darauf einstellen.
aus: TATblatt Nr. +83 (,16/97) vom 25. September 1997
(c)TATblatt
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken, alternativen und ähnlichen
Medien ohne weiteres gestattet (Belegexemplar erbeten)!
In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin
(siehe Impressum)