"In diesem Zusammenhang ist wiederum in Erinnerung zu rufen, daß die Versammlungsfreiheit ein äußerst sensibles Grundrecht, nämlich einen wesentlichen Bestandteil für eine auch faktisch funktionierende Demokratie darstellt. Dies bedingt auf der anderen Seite, daß der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang die behördlichen Eingriffsrechte sowohl umfang- als auch intensitätsmäßig eher gering gehalten hat, sodaß sich unter der derzeit gültigen Gesetzeslage das Umringen und enge Begleiten der Versammlungsteilnehmer durch Gendarmeriebeamte in Offenhausen letztlich als unverhältnismäßig erweist." (aus dem Erkenntnis des UVS)
Am 3. Mai 1997 fanden in Oberösterreich zwei antifaschistische Demonstrationen statt. Bei beiden Demonstrationen schränkten die Behörden und die Einsatzkräfte die Grundrechte der TeilnehmerInnen massiv ein. Elf DemonstrantInnen reichten dagegen eine Beschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat in Linz ein. Das überraschende Urteil liegt nun vor.
TATblatt
Die BeschwerdeführerInnen sahen sich bei den Demonstrationen in Offenhausen (gegen den Dichterstein und eine rechtsextreme Tagung) und Wels (gegen die "braunen Flecken") in mehreren Grundrechten verletzt. So klagten sie, daß die Sicherheitskräfte an diesem Tag ihr Recht auf persönliche Freiheit eingeschränkt hätten, indem willkürliche Ortsveränderungen jeder einzelnen Person verhindert wurden. Den DemonstrantInnen wurde vor, während und nach den Kundgebungen ein Verlassen des ihnen jeweils zugewiesenen Bereiches untersagt. Beim Eintreffen in Offenhausen am frühen Nachmittag wurden alle TeilnehmerInnen einer Durchsuchung unterzogen. In der Beschwerde vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) wurde sowohl grundsätzlich die Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung aller DemonstrationsteilnehmerInnen (Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens) bestritten als auch die Art der Durchführung (Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden) beklagt. Die Behörden seien bei der Durchsuchung nicht maßhaltend vorgegangen, da viele TeilnehmerInnen über eine Stunde bei großer Hitze in Bussen festgehalten und die Durchsuchungen selbst menschenunwürdig durchgeführt wurden (Schuhe ausziehen, in Grätschstellung an einen Reisebus lehnen, Frauen wurden Leiberl hochgezogen usw.). Durch das lange Festhalten in den Bussen und die dichte Polizeibegleitung bei den Demonstrationen sahen sich die BeschwerdeführerInnen außerdem in ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt. Durch willkürliche Beschlagnahmungen persönlicher Gegenstände wurde das Recht auf Eigentumsfreiheit verletzt.
Am 26. August fand vor dem UVS in Linz eine öffentliche Verhandlung statt. Unter dem Vorsitz von Dr. Alfred Grof wurden beide Seiten sowie einige ZeugInnen zu den Vorfällen vom 3. Mai 1997 befragt. Zu Beginn der Verhandlung wurde das Dokumentationsvideo der Behörden und ein Videofilm eines unabhängigen Dokumentationsteams vorgeführt. Die BehördenvertreterInnen wurden von den BeschwerdeführerInnen und Dr. Grof dahingehend befragt, ob an diesem Tag nicht andere, und weniger einschränkende, Mittel möglich gewesen wären. Lediglich der Einsatzleiter bei der Demonstration in Wels konnte Gründe für die Polizeimaßnahmen ausführen. Er schilderte, daß an diesem Tag rechte Jugendliche die Demonstration angreifen wollten. Deshalb seien gewisse Einschränkungen der Bewegungsfreiheit notwendig gewesen ("zum Schutz der DemonstrantInnen).
In dem Erkenntnis des UVS vom 1. Oktober wird der Polizeieinsatz in Offenhausen (verantwortliche Behörde: Bezirkshauptmannschaft Wels-Land) als rechtswidrig erklärt und die Beschwerden bezüglich Wels (verantwortliche Behörde: Bundespolizeidirektion Wels) abgewiesen. Zu den Vorkommnissen in Offenhausen folgt Dr. Grof vollinhaltlich der Sachverhaltsdarstellung der BeschwerdeführerInnen, welche durch Videodokumentationen und einer vorgelegten Tonbandaufnahme eindeutig belegt wurde. Auch bei der rechtlichen Beurteilung der Personendurchsuchung stimmt Dr. Grof mit der Beschwerde überein. Eine solche Durchsuchung wäre nur bei einer Veranstaltung möglich gewesen, nicht jedoch bei einer Versammlung. In dem Erkenntnis wird festgestellt, daß in Offenhausen eindeutig eine Versammlung stattfand - "im vorliegenden Fall war der Wille sämtlicher Versammlungsteilnehmer von vornherein darauf ausgerichtet, lautstark eine politische Meinung kundzutun". Daher waren sicherheitspolizeiliche Befugnisse nicht gegeben. Die auf das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) gestützte Personendurchsuchung ist nur im Rahmen einer Veranstaltung möglich. Eine Veranstaltung liegt vor, wenn "gesamtbildhaft betrachtet die passive Komponente bei der Mehrheit der Teilnehmer" überwiegt. Das sicherheitsbehördliche Vorgehen zeigte "insgesamt besehen die unverkennbare Tendenz, diese Demonstration gleichsam in eine Veranstaltung (z.B. einem Maiaufmarsch vergleichbar) 'umzufunktionieren', indem die Versammlungsteilnehmer auf allen Seiten von Sicherheitskräften umgeben begleitet wurden und es somit infolge dieser scharfen Abgrenzung im Ergebnis zumindest zu keiner zufälligen Vermischung zwischen Versammlungsteilnehmern und Zuschauern kam". Trotz dieses Vorgehens der Behörden lag objektiv gesehen immer noch eine Versammlung vor, weshalb die Personendurchsuchungen nicht auf das SPG gestützt werden könnten.
Das Versammlungsgesetz untersagt zwar die Teilnahme von Bewaffneten an Versammlungen. Als Konsequenz sieht das Versammlungsgesetz jedoch nur die Verhängung einer Verwaltungsstrafe bzw. die Untersagung und/oder Auflösung einer Versammlung vor - "eine Personendurchsuchung ist hingegen im Versammlungsgesetz selbst nicht vorgesehen". Das auf Verfassungsebene stehende Versammlungsgesetz (VersG) unterliegt nur solchen Einschränkungen, die im VersG selbst vorgesehen sind. Daher wäre eine Heranziehung des Waffengesetzes (welche eine Durchsuchung von Kleidern von Personen aufgrund eines konkreten Verdachtes ermöglicht) nicht zulässig. Selbst bei einer angenommenen Anwendbarkeit des Waffengesetzes wären im Fall Offenhausen die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben. "Allein deshalb, weil einen Monat vor der Kundgebung von unbekannten Tätern am sog. 'Dichterstein' in Offenhausen eine Sachbeschädigung begangen und in der Folge ein entsprechendes Bekennerschreiben in einer linksgerichteten Zeitschrift veröffentlicht sowie darin gleichzeitig zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen wurde", kann von dringenden Verdacht nicht die Rede sein. Gerade durch die Art der Durchsuchung erfolgte "vielmehr eine pauschale Kriminalisierung aller Versammlungsteilnehmer, die dem Geist des Versammlungsgesetzes diametral zuwiderläuft".
Da das VersG eine Personendurchsuchung nicht vorsieht, war die von der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vorgenommene Personendurchsuchung "sohin schon dem Grunde nach, damit aber auch in allen ihren Auswirkungen - wie z.B. Verbleiben im überhitzten Bus, Entleerung der Kleidungstaschen und sonstigen Behältnisse, Verschluß bestimmter Gegenstände im Kofferraum, Ausziehen der Schuhe - rechtswidrig". "Sämtliche Beschwerdeführer wurden daher durch diese gesetzlich nicht gedeckte Maßnahme in ihrem verfassungsmäßigen Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt."
In Bezug auf das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unterscheidet der UVS zwischen den Versammlungen in Offenhausen und Wels. In Wels sahen sich die Behörden einer Situation gegenüber, daß rechte Gruppen die Demonstration stören bzw. angreifen wollten. Der Vertreter der Bundespolizeidirektion (BPD) Wels brachte vor, daß schon vor der Versammlung rechte Jugendliche beobachtet wurden. "Es kann daher der BPD Wels unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht entgegengetreten werden, wenn es zum Schutz der öffentlichen Interessen als erforderlich erachtete, die ca. 350 Versammlungsteilnehmer zunächst auf dem Parkplatz gegenüber dem Alten Schlachthof lokal abzuschirmen und sodann auf allen Seiten von Sicherheitskräften umgeben zu begleiten und dabei keinen selbständigen Wechsel in das oder aus dem Geviert, sondern einen solchen nur nach Rücksprache mit dem Einsatzleiter gestattete." Dr. Grof folgte in einem entscheidenden Punkt der Sachverhaltsdarstellung der BPD Wels, daß nämlich ein Verlassen des Parkplatzes nach Rücksprache mit dem Einsatzleiter möglich war. Die BeschwerdeführerInnen konnten keine Video- oder Tonbandaufnahmen von der vollständigen Zernierung am Parkplatz vorlegen. Auch blieb der Einwand der BeschwerdeführerInnen unberücksichtigt, daß es auch gelindere Mittel gegeben hätte, die DemonstrantInnen von der Gefahr rechter Gegenaktionen zu informieren. Eine Lautsprecherdurchsage wäre wohl dafür sinnvoller gewesen als daß der Einsatzleiter persönlich alle Personen, die den Platz verlassen wollen, über die Situation informiert.
In Offenhausen gab es keine Anzeichen für eine Störung der Versammlung durch Andersgesinnte. Aus dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit war es daher "nicht geboten, die Versammlungsteilnehmer zunächst auf dem Parkplatz neben dem Sportplatz abzuschirmen und dann den Demonstrationszug zum Hauptplatz auf allen Seiten zu umringen, sodaß dadurch Kontakte zu den Außenstehenden, wie sie dem Wesen einer Kundgebung entsprechen, unterbunden oder zumindest erschwert wurden". In Verbindung mit der Art der Durchführung, die "vereinzelt die Menschenwürde grob beeinträchtigende Züge annahm", ergab sich "letztlich ein die einzelnen Versammlungsteilnehmer, aber auch die gesamte Kundgebung als solche geradezu kriminalisierender Effekt, weil für den objektiven Betrachter unter solchen Umständen von einer 'friedlichen Versammlung' nicht mehr die Rede sein konnte". Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land handelte daher rechtswidrig und verletzte die BeschwerdeführerInnen in ihrem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit.
Im Erkenntnis des UVS findet sich keine Begründung für die Abweisung der anderen Beschwerdepunkte. Unverständlich ist das insbesondere bei der in der Beschwerde vorgebrachten Verletzung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens, da beim Sachverhalt selbst, die Durchsuchungen in Offenhausen, der UVS den BeschwerdeführerInnen vollinhaltlich Recht gibt. Nur bei dieser Grundrechtsverletzung hätten die BeschwerdeführerInnen im übrigen die Möglichkeit, eine Klage auf Schadenersatz einzubringen.
Gegen das Erkenntnis des UVS ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig. Beide Seiten haben die Möglichkeit binnen sechs Wochen eine Beschwerde gegen das Erkenntnis an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
[zur Vorgeschichte siehe auch in TATblatt +76 und TATblatt +82]
aus: TATblatt Nr. +85 (,18/97) vom 23. Oktober 1997
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