Wie nicht anders zu erwarten, haben sich die Atome dieser Welt auch im Sommer rege bewegt. Egal ob im Meer, im Erdreich oder an der frischen Luft, sie strahlen und gedeihen. Unentwegte ZivilisationskritikerInnen waren aber auch in den letzten Monaten nicht untätig, und obwohl diese Atome in Form von biologischer Strahlung durchaus zu schätzen wissen, bleiben sie unverbesserlich ablehnend gegenüber Uranbrennstäben und ähnlichen Erzeugnissen der Dr. Mabuses dieser Welt.
TATblatt
Wie immer zuerst die gute Nachricht: in Seibersdorf, wo unermüdlich Atomköpfe ihre Hirne zur Verstrahlung der Bevölkerung einsetzen, herrscht "Friedshofstimmung". Unser Freund Caspar hat durchgesetzt, daß der Forschungsreaktor endlich stillgelegt wird. Österreich ist damit zwar ungefähr 12 bis 15 Jahre hinter der Entwicklung in Dänemark und Norwegen, die beide ebenfalls AKW-frei sind und ihre Forschungsreaktoren schon in den frühen 80er Jahren stillegten, zurück, aber es ist bekanntlich nie zu spät. "Das ist eine traurige G'schicht", seufzte der Bürgermeister von Seibersdorf, Paul Renner, nach der Entscheidung. Er sinniert über die seligen Zeiten, als vor Jahrzehnten gemeinsam mit dem Reaktor im Ort ein Lokal namens "Atom-Bar" eröffnet wurde. Auch der Reaktorbetriebsleiter Jörg Casta kann das nicht verstehen, denn "wir produzieren immer noch frische Neutronen."
Allein die Stillegung wird 150 Millionen Schilling kosten, wofür das konkursreife Forschungszentrum Seibersdorf natürlich kein Geld hat. Bis 2009 müssen dann die Brennstäbe laut Vertrag mit den USA in einem Endlager deponiert werden, wofür der Staatshaushalt noch einmal mit einer wesentlich höheren und bisher unbekannten Summe belastet wird.
Den weltweit größten Schock hat in den letzten drei Monaten die Atomindustrie in Kanada erlitten. Nach einer unabhängigen Inspektion der AKWs des größten nordamerikanischen Stromerzeugers Ontario Hydro mußte dieser ein Drittel seiner AKWs abschalten. Ontario Hydro betreibt 19 AKWs, wovon nunmehr sieben AKWs abgeschaltet sind. Eines wird überhaupt nicht mehr in Betrieb gehen, die weiteren werden mehrere Jahre stillgelegt sein.
Seitdem wird ein wenig hitzig über Atomenergie, Ontario Hydro und die Sicherheit derselben diskutiert. Irgendwie stellt sich selbst den atomgefahrignoranten KanadierInnen die Frage, was eigentlich die staatliche Kontrollbehörde Atomic Energy Control Board in den letzten Jahren getan hat. Immerhin haben TechnikerInnen in allen 19 AKWs von Ontario Hydro seit mehreren Jahren vorgeschriebene Wartungsarbeiten nicht durchgeführt, zahlreiche Sicherheitsventile wurden seit 15 Jahren nicht mehr gewartet. Bekannt wurde auch, daß das technische Überwachungspersonal gerade 17% seiner Arbeitszeit mit der eigentlichen Tätigkeit am Arbeitsplatz zubrachte; meistens schliefen die Angestellten oder spielten am Überwachungscomputer Videospiele. Die Vorkommnisse erinnern sehr an die jüngsten Skandale in Japan, als das Personal während eines Atomunfalls ein mehrtägiges Golfturnier nicht abbrechen wollte, weil der Golfplatz vorbestellt gewesen war.
Die Stillegung der sieben AKWs wird Ontario Hydro zwischen 42 und 68 Milliarden Schilling kosten.
Und noch eine gute Nachricht: Japan wird das Versuchslabor für Kernfusionsforschung dort in Sapporo schließen und die gesamte Forschung einstellen. Die EU und die USA hatten von vorne herein das Konzept der "kalten Fusion" als illusorisch bezeichnet.
Mit zu solchen Entscheidungen tragen in Japan die endlosen Enthüllungen über die AKW-Betreiber bei. 1992 war entdeckt worden, daß in Gruben für atomaren Abfall der staatlichen Behörde Donen die Fässer korrodiert waren und im Erdreich rund um die Gruben die Strahlung um das zehnfache höher als normal war. Daraufhin erhielt Donen etwa 100 Millionen Schilling zur Errichtung eines Zwischenlagers. Stattdessen aber kaufte Donen schlicht Pumpen, um angesammeltes Regenwasser, das die höchstzulässige Strahlenbelastung um das 10.000-fache überschritt, aus den Gruben zu pumpen. Bereits 1982 war nach einer Inspektion die Sanierung der Deponien vorgeschrieben worden, die meisten Fässer rosten seit 30 Jahren vor sich hin.
High Noon beim derzeit in Bau befindlichen AKW Rostov. Im Sommer fand ein internationales Protestcamp mit ca. 100 TeilnehmerInnen statt, im Zuge dessen eine Einfahrt zur Baustelle blockiert wurde. Von Milizionären wurden die TeilnehmerInnen frühzeitig gewarnt, daß "die Behörden nicht für ihre Sicherheit garantieren könnten". Folglich machte sich eines Morgens ein aufgehetzter Mob aus der naheliegenden Stadt, zahlreiche Milizionäre und das Bewachungspersonal der Atomfirma auf den Weg (insgesamt 500 Leute), verprügelten die CampteilnehmerInnen uund zerstörten das Camp vollständig.
In Wladiwostok stimmten 94% der Bevölkerung in einer Volksbefragung gegen ein schwimmendes Aufbereitungswerk für flüssigen Atommüll. In der Region werden atombetriebene U-Boote verschrottet, sodaß die flüssigen Atomabfälle bisher in schwimmenden Tanks gelagert werden. Der Gouverneur der Region, Jewgeni Nsdratenko, machte umgehend klar, was er von der Volksbefragung hält. Falls das Aufbereitungswerk nicht in Betrieb gehe, würden die Abfälle einfach ins Meer gekippt.
Allerdings sollte nicht gesagt werden, daß "die RussInnen" spinnen. Der Plan des russischen Ministeriums für Atomenergie, 100 Reaktoren auf insgesamt 50 Atom-U-Booten als schwimmende AKWs zur Energieversorgung von Meerwasserentsalzungsanlagen zu verwenden, wurde heuer von der internationalen Atomenergieorganisation IAEA außerbudgetär mit acht Millionen Schilling Zuschuß für eine Machbarkeitsstudie gefördert. Über die Sicherheit solcher Reaktoren wollte ein IAEA-Sprecher keine Aussagen machen: "Das ist nicht unser Job". Rußland ist besonders an einem Export dieser Atomentsalzung nach Afrika und Asien interessiert.
Da die russische Atomwirtschaft schlechthin bankrott ist, laufen auch noch ganz andere Deals. Angeblich sind bereits 450 Tonnen Atommüll zur Endlagerung in Rußland eingetroffen. Verhandlungen gibt es konkret mit der Schweiz, Deutschland, Taiwan, Südkorea und Japan. In Majak im Südural und in Krasnoyarsk sollen 420 Tonnen aus Deutschland, 75 aus der Schweiz und 180 aus Südkorea "langfristig zwischengelagert" werden. Noch sind jedoch die hohen Transportkosten im Vergleich zur Lieferung in die WAAs in Frankreich und Großbritannien ein Hindernis.
Der politische Widerstand gegen die Aufarbeitung in Großbritannien könnte sehr bald eine Lagerung in Rußland wesentlich angebrachter erscheinen lassen. In einer jüngsten Studie wurde festgestellt, daß Kinder in ganz Großbritannien radioaktives Plutonium in den Zähnen haben, wobei jene in der Nähe der WAA Sellafield die höchsten Werte aufweisen. Sellafield ist die einzige mögliche Quelle für radioaktives Plutonium in Großbritannien.
Die WAA in La Hague kommt nun massiv unter Beschuß. Seit vor allem Greenpeace bekannt gemacht hat, daß vor der Küste in La Hague in der Normandie die Abwässer über ein Rohr ins Meer eingeleitet werden, und daß es eine erhebliche Strahlenbelastung dadurch gibt, ist Feuer am Dach. Greenpeace stellte fest, daß die Abwässer von La Hague 17 Millionen mal so stark strahlen wie normales Meerwasser. Zudem wurde in einer britischen Fachzeitschrift ein Bericht darüber veröffentlicht, daß Kinder nahe der WAA häufiger an Leukämie erkranken. Mit der Übernahme der Regierung durch die Linke wurde die Grüne Dominique Voynet Umweltministerin, die als erstes Zugeständnis von Jospin die Schließung des Schnellen Brüters in Creys-Malville erreichte. Insofern hat sich die Beunruhigung der atomstoischen FranzösInnen so weit ausgebreitet, daß sich in der Normandie in Cherbourg die Basisorganisation Méres en Colére (Zornige Mütter) gebildet hat. Landesweit ist der Atomkonsens insoweit gebrochen, daß eine deutliche Mehrheit keine neuen AKWs mehr wünscht. Auf dieser Welle schwimmt nun auch Greenpeace, die La Hague zum zentralen Ziel ihrer Anti-AKW-Aktivitäten in Frankreich ausgewählt haben. Anders als der Schnelle Brüter, der ein Nebenprodukt der Atomindustrie war, ist La Hague jedoch zentral in der Atomwirtschaft. Ausnahmslos jedes französische AKW schickt seinen Atommüll zur Wiederaufarbeitung nach La Hague, weshalb die Schließung noch länger auf sich warten lassen wird.
Vor Ort krachen die Gegensätze unmittelbar aufeinander; während die "Zornigen Mütter" gegen La Hague protestieren, macht der Bürgermeister von Beaumont-Hague "auswärtige Agitatoren" dafür veranwortlich, daß heuer die TouristInnen nach den Berichten über die Leukämieraten bei Kindern praktisch ausblieben.
Die Atommafia zeigte nicht nur beim AKW Rostov wieder einmal ihr wahres Gesicht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg wies eine Klage von 28.000 UnterzeichnerInnen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich gegen die Verlängerung der Betriebsgenehmigung für das schweizerische AKW Mühleberg ab. Das Gericht gab dem Betreiber mit 12 zu 8 Stimmen recht, daß es die Klagenden nicht geschafft hätten, dem Gericht zu beweisen, daß sie das AKW ernsthaft und unmittelbar bedrohe. Die Regierung der Schweiz hatte 1992 die Betriebsgenehmigung um zehn Jahre verlängert, selbstredend ohne Möglichkeit der Einflußnahme der Öffentlichkeit.
Allerdings sind die Gefahren eines AKW wirklich noch nichts gegen das, was die Atomwirtschaft bereits angerichtet hat. Das "National Cancer Institute" (Krebsinstitut) der USA hat festgestellt, daß Millionen US-AmerikanerInnen zwischen 1951 und 1962 durch die oberirdischen Atomtests in der Wüste von Nevada einem um das zehnfache höheren Fallout als in Tschernobyl ausgesetzt waren. Die Strahlung war so stark, daß etwa 25.000 bis 50.000 Krebsfälle die Folge waren, wovon etwa 2.500 als tödlich angenommen werden müssen. In den Bundesstaaten nördlich und westlich von Nevada bekamen Kinder im Alter von drei Monaten bis fünf Jahren die zehnfache der erlaubten Strahlungsdosis ab.
Zuletzt Nachrichten aus dem vermeintlichen Alpenbollwerk gegen "unsichere Ost-AKWs". In den Medien posaunte Umweltminister Bartenstein im Juni, daß Österreich angeblich die Ukraine zum Verzicht auf den Bau weiterer AKWs überreden will, und daß Österreich verhindern will, daß die EBRD (Europäische Entwicklungsbank) Kredite für die in Bau befindlichen AKWs Chmelnitzky 2 und Rowno 4 vergibt. Zunächst sollte Bartenstein aber einmal die ÖVP überreden oder sonstwie disziplinieren. Im Februar traf sich nämlich die "Gemischte ukrainisch-österreichische Komission", natürlich in Zusammenarbeit mit den ÖVP-Kollegen Bartensteins von der Wirtschaftskammer, um "Investitionsprojekte" zu bemauscheln, z.B. "Einrichtungen für Kernkraftwerke".
Derweilen baut die Verbundgesellschaft schon munter an der 380 kV-Atomstromschiene. Im gesamten Bauabschnitt Burgenland und Niederösterreich ist die Trasse vermessen und die ersten Fundamente sind gelegt. Nur im Abschnitt Wien, der vom Umspannwerk Südost westlich von Kledering und über die Gleise der Ostbahn zum Zentralfriedhof (!) führen wird, ist noch nichts zu sehen. Widerstand gibt es erwartungsgemäß keinen, schon gar nicht von den wahlkämpfenden Grünen in Niederösterreich, die offensichtlich überhaupt keine Anliegen außer der Eigenversorgung mit Posten haben. Vor einigen Jahren noch unverblümt von der Verbundgesellschaft kundgetaner Zweck der 380 kV-Leitung: Export von ukrainischem (Atom-)Strom nach Westeuropa.
aus: TATblatt Nr. +86 (19/97) vom 6. November 1997
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