Mit dem folgenden Diskussionsbeitrag leiten wir eine Artikel- und Diskussionsreihe anlässlich des bevorstehenden EU-Ratsvorsitz Österreichs ein, mit der wir unseren Beitrag zu einer großartigen Mobilisierung gegen den bevostehenden EU-Gipfel in Österreich leisten wollen ...
Der folgende Text soll ein Versuch sein, die Diskussion rund um den österreichischen EU-[Rats-; Anm. TATblatt] Vorsitz ab Juli 98 anzukurbeln und inhaltliche Schwerpunkte darzulegen. Der Text ist als Thesenpapier zu verstehen, als Versuch der Annäherung an die komplexen Themen, die in Zusammenhang mit EU, Kapitalismus, Rassismus etc. stehen.
von einer Vorbereitungsgruppe
Als ein zentraler Punkt erscheint uns die Diskussion um den Arbeitsbegriff. Auch bei der Demo gegen den EU-Gipfel in Amsterdam war offensichlich, daß es innerhalb der linken EU-GegnerInnenschaft starke Differenzen gibt, was die Propagierung oder Ablehnung von Lohnarbeit betrifft.
Viele Menschen empfinden die Lohnarbeit als alternativlos, sie wird teilweise nicht mehr als Zwang empfunden, sondern als Selbstverständlichkeit (obwohl sich jedeR über schlechte Arbeitsbedingungen und geringen Lohn beschwert). In früheren (vorbürgerlichen) Gesellschaften hat es zwar einen Zwang zur Arbeit gegeben, aber die Struktur der Ausbeutung war eine andere als die Disziplinierung in der "freien" Lohnarbeit. Die "Arbeitsmoral" und der Arbeitszwang mußten erst gewalttätig gegen das in die Städte geschwemmte Proletariat durchgesetzt werden. Im Laufe der Zeit wurde erreicht, daß in der industriellen Lohnarbeit die Ausbeutung immer weniger durch externe Aufseher, sondern durch ein hohes Maß an Selbstkontrolle gewährleistet wird. Dieser Zwang ist einerseits durch existentielle Notwendigkeiten bedingt, da betrifft er auch Arbeit außerhalb der Lohnarbeit wie Subsistenzwirtschaft und Hausarbeit, andererseits durch sozialen Druck und Verinnerlichung der Arbeitsmoral.
Arbeit, wie wir sie in der gegenwärtigen Gesellschaft finden, hat wenig mit Freude zu tun. Die ständige Wiederholung der immer gleichen kapitalistischen Arbeit ist ein Gefängnis, das Fähigkeiten einkerkert, das wertvolle Zeit stiehlt. Die Zeit, die es uns läßt, die Freizeit, ist nur noch dazu da, unsere Passivität und Untätigkeit aufzunehmen. Und auch das wird noch kräftig vermarktet - die "Freizeitindustrie" blüht.
Uns geht es darum, nicht Forderungen wie "Arbeit für alle" oder "Vollbeschäftigung ist unser wichtigstes Ziel" aufzustellen, sondern grundsätzlich zu hinterfragen, was "Arbeit" im kapitalistischen Sinn überhaupt soll, wozu und wem sie dient. Unser Begriff von "Arbeit" ist einer, der über Lohnarbeit hinausgeht, der sogenannte Reproduktions- und Hausarbeit mit einbezieht, der nicht von Bedürfnissen kapitalistischer Mehrwertproduktion ausgeht, sondern vom Bedürfnis nach Entwicklung eines emanzipatorischen gesellschaftlichen Klimas.
Wir wollen die Befreiung der Arbeit: es ist ja nicht so, daß "arbeitslose" Menschen keine Tätigkeiten durchführen wollen (abgesehen von der unsichtbaren gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsarbeit, die sowieso gemacht werden muß). Die lebendige Arbeit (re)produziert das Leben und die Gesellschaft auch ohne den stummen Zwang zum Geldverdienen. Das ist nicht möglich innerhalb des Systems, sondern nur, indem die inneren und äußeren Grenzen des Systems überschritten werden, d.h. durch individuelle, aber insbesondere kollektive Arbeitsverweigerung (so weit es möglich ist) und durch den Versuch der Selbstorganisation im Widerstand.
Wenn wir die Forderung nach Vollbeschäftigung kritisieren, gibt es andere Forderungen, die eher eine Überwindung des Systems bewirken können? Die Forderung nach einem Grundeinkommen ist uns sympathischer, weil dadurch der Zwang zur Lohnarbeit wegfallen würde. Das würde aber in der jetzigen Situation des Kapitalismus eine indirekte Subvention für die UnternehmerInnen bedeuten, die dadurch geringere Löhne zahlen können. Aber wir stehen ja erst am Anfang der Diskussion.
Ein weiteres Thema ist die Diskussion um den Bezug auf nationale Anliegen in den verschiedenen
EU-Staaten. Wir gehen davon aus, daß kein Nationalismus - sei er nun nationalstaatlich oder EU-weit
gemeint - unser Bezugspunkt sein kann. Im nationalstaatlichen Rahmen heißt Nationalismus Ausgrenzung von MigrantInnen, Hervorheben von "eigener" "Kultur" und "Tradition", Chauvinismus gegenüber anderen "Kulturen". Auf europäischer Ebene bedeutet Nationalismus Abschottung der EU-Außengrenzen, verstärkte Grenzüberwachung gegen Nicht-EU-Länder (wie zur Zeit in Österreich), europaweite Vereinheitlichung von Fahndungsmethoden zur Bekämpfung sogenannter illegaler Immigration, "organisierter" Kriminalität, Drogenhandel etc. (unter anderem im Schengener Abkommen geregelt, das am 1.4.98 auch in Österreich in Kraft treten soll).
Eine große Rolle als ideologischer Scheinkampf spielt die Diskussion um den EURO: es ist nicht zufällig, daß der Widerstand gerade in den reichsten Ländern mit den stabilsten Währungen am stärksten ist. Es wird gerade die Angst vor den Armen geschürt, die von einem schwachen EURO profitieren könnten. Für Linke sollte die Frage des EURO eine untergeordnete Frage sein. An "Geld" haften keine eigenen Werte, sondern nur jene, die soziale Konflikte tagtäglich hervorbringen. Das heißt, daß diese Werte, die an "Geld" haften, veränderbar sind und auch verändert werden können. Der EURO ist nur ein Ausdruck des abstrakten Wertes, der die Beziehungen zwischen den Menschen diktiert. Geld bleibt Geld, ob es nun EURO oder Schilling heißt.
Auch wenn ein großer Teil der Warenzirkulation innerhalb der EU stattfindet, geht die kapitalistische Entwicklung bereits über die europäischen Grenzen hinaus. In einem Kampf gegen den EURO besteht die doppelte Gefahr einer Befürwortung nationaler Konzepte und Institutionen einerseits, andererseits aber eine oppositionelle Fixierung auf die europäischen Institutionen als neues beschränkendes und ausgrenzendes Betätigungsfeld. Gewerkschaften, wie auch politische und soziale Bewegungen waren trotz internationalistischer Rhetorik immer innerhalb des nationalstaatlichen Kontextes eingebunden. Die Gefahr besteht, daß sowohl EURO-GegnerInnen wie auch BefürworterInnen auf einer europäischen Ebene stehenbleiben. Unsere Aufgabe müßte es sein, von vornherein klarzustellen, daß wir nichts mit auch nur ansatzweise nationalen Konzepten zu tun haben. Sei es nun ein Nationalstaat oder die EU.
Eine Sozialunion, wie sie die ReformistInnen fordern, ist nichts anders als ein klassisch sozialdemokratisches keynesianistisches Projekt auf europäischer Ebene, eine Übertragung nationalstaatlicher Konzepte. Solche Projekte können nur in Abgrenzung von anderen Teilen der Welt funktionieren. Das ist bereits von der kapitalistischen Entwicklung überholt, aber auch ein Schritt zu einer neuen Art des Nationalismus/Rassismus im Sinne des Konzeptes über den Kampf der Kulturen.
In der Verteidigung der Arbeitplätze und der Standortdebatte finden sich dann die proeuropäischen BefürworterInnen einer Sozialunion ("ein wettbewerbfähiges Europa") in einem Boot mit den GegnerInnen, die Arbeit auf nationalstaatlicher Ebene organisieren wollen ("Österreich zuerst").
Die Fixierung auf die Arbeit erhöht den (ohnehin starken) Druck auf die, die einen Arbeitsplatz haben ("Lohnverzicht, um ihn zu behalten"), wie auch auf die Erwerbslosen, jede Arbeit anzunehmen. Mit der Verschärfung der Arbeitsplatzsituation verschärft sich der institutionell organisierte Zwang zur Arbeit.
Eine Diskussionslinie um den EURO sind die Stabilitätskriterien, die (angeblich) notwendig sind, um die zukünftige Währung stabil zu halten. Dabei geht es um die Durchsetzung neoliberaler Programme, die unter dem Druck des internationalen Kapitalismus mit oder ohne EURO notwendig sind. Als
Alternative dazu wird eine Umverteilung innerhalb der Einzelstaaten angepeilt. Aber in der Politik der RechtspopulistInnen sind die gleichen neoliberalen Maßnahmen zu erkennen, wie sie die Regierung für die Durchsetzung des EURO fordert.
In bezug auf Maßnahmen im Sozialbereich, die als Notwendigkeiten für die Durchsetzung der Wirtschafts- und Währungsunion und des EURO bezeichnet werden, geht es darum, klarzumachen, daß es nicht der EURO ist, der diese Probleme schafft, sondern die kapitalistische Entwicklung. So sollte ein Schwerpunkt der Bewegung gegen den EU-Gipfel der Kampf gegen Sozialabbau im Allgemeinen sein, mit oder ohne EU.
Der EURO könnte scheitern, weil der soziale Widerstand in den einzelnen Staaten und in Europa so groß ist, daß sich die neoliberalen Maßnahmen nicht durchsetzen lassen, daß der EURO nicht "stabil" im Sinne der UnternehmerInnen und des Kapitalismus ist. Wenn er scheitert, weil es "gute" Argumente gegen den EURO gibt, die sich innerhalb der reicheren Nationen aus Angst um die Schwäche der Einheitswährung entwickeln oder die auf der Sentimentalität für die eigene Währung und die eigene Identität beruhen, wird am Ende nur die nationalstaatliche (oder regionale) Borniertheit übrigbleiben.
Das Dilemma für radikale Bewegungen zum EU-Gipfel in Wien ist ein doppeltes: steht im Zentrum die Bekämpfung der EU-Institutionen, nützt das den nationalistischen Strömungen besonders in den reichen EU-Ländern. Liegt der Schwerpunkt auf einem "anderen Europa", werden die ReformistInnen unterstützt, die ein kulturnationalistisches Europa wollen, erst recht, wenn es sich dabei um das "kritische Begleiten" der Herrschenden handelt.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist die Unterstützung der Kämpfe gegen konkrete Mißstände und Ungerechtigkeiten. Das kann sich auf die regionale lokale Ebene beziehen, aber auch länderübergreifende Dimensionen annehmen. Das betrifft die Bekämpfung der Maßnahmen des alltäglichen Kapitalismus, wie die Streiks und Demonstrationen gegen die Entlassungen bei Renault Vilvoorde, aber auch Widerstand gegen die Auswirkungen europäischer Politik wie die rassistischen Maßnahmen (z.B. Verschärfung der Asylgesetze) der einzelnen Staaten, die direkt mit der Durchsetzung des Schengener Abkommens zu tun hat.
Wir haben noch fast ein Jahr Zeit um uns inhaltlich und praktisch auf den österreichischen EU-Vorsitz vorzubereiten. Das heißt, wir lassen keine Zeit verstreichen sondern werden uns ab nun regelmäßig treffen um die Zeit zu nutzen. Natürlich ist dann in einem Jahr nicht von heute auf morgen alles vorbei - der Kapitalismus und seine europäische Ausformung werden höchstwahrscheinlich dann noch existieren. Es geht um einen längerfristigen internationalen Zusammenschluß von antirassistischen, feministischen, autonomen Gruppen, Erwerbsloseninitiativen, Basisgruppen etc - um die Verknüpfung verschiedener Widerstandsformen.
(An dieser Stelle fehlt nun Kontaktadresse oder Termine, wir werden sie ehebaldigst nachreichen; TATblatt)
aus: TATblatt Nr. +86 (19/97) vom 6. November 1997
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