"Die Zeiten, wo kulturelle Experimente ihren Raum, wo gesellschaftsoppositionelle und emanzipatorische Gruppen und Strömungen zumindest ihre Artikulationsmöglichkeiten hatten, wo ein humanes, entwicklungsoffenes Menschenbild vorherrschte, scheinen mit dem 'Endsieg' des Kapitalismus endgültig vorbei zu sein." Mit diesen Worten beginnt der Kulturverein Kanal eine Aussendung über die Repression seitens der oberösterreichischen (OÖ) Behörden gegen das autonome Projekt. Mit dem verwaltungsrechtlichen Notstandsparagraphen "Gefahr im Verzug" sollen der Kanal und dessen BetreiberInnen entrechtet werden.
KV-Kanal, überarbeitet und gekürzt: TATblatt
Den Kulturverein (KV) Kanal gibt es seit 1987. Seit damals findet in dem etwas außerhalb Schwertbergs gelegenen Gebäude ein reger Kultur- und Veranstaltungsbetrieb statt. Das Haus und die Anlage wurden von den Mitgliedern des Vereins adaptiert und immer weitere Auflagen erfüllt, so daß ein Veranstaltungsbetrieb klaglos funktionieren konnte. Die Gemeinde Schwertberg als zuständige Behörde hat diesen Zustand über Jahre hinweg in dieser Form akzeptiert, den Kanal sogar wiederholt mit 20.000,- öS Jahresfinanzierung unterstützt.
Um den bisher tolerierten Veranstaltungsbetrieb in einen rechtlich sauberen Zustand überzuführen, hat der Kanal nun formal eine endgültige Bewilligung beantragt. Der Immobilien-Eigentümervertreter Dr. Hubert Mayr gab trotz besseren Wissens vor, daß der Eigentümer der Veranstaltungsbewilligung nicht zustimmen würde. Dies ist jedoch ohne rechtliche Bedeutung, Veranstaltungen sind vertraglich gesichert, dieses Recht zweimal gerichtlich bestätigt.
Einfach wurde es dem Kulturzentrum und seinen BetreiberInnen nie gemacht: Räumungsbescheide mit "Gefahr in Verzug", Hausdurchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl mit Beschlagnahme von Adressendateien, Hausdurchsuchungen, um Drogen zu finden, um damit dem Eigentümer gerade rechtzeitig zu einem Kündigungsverfahren Kündigungsgründe zu verschaffen (was daneben ging), zwei Kündigungsklagen des Eigentümers, weil er von einigen "Regionalhirschen" (OÖ-Slang für LokalpolitikerInnen; Anm. TATblatt) unter Druck steht, Strafverfolgung wegen Herabwürdigung religiöser Lehren, politische Angriffe der FPÖ, die den KANAL als Bestandteil eines link(sextrem)en Terrornetzes outeten, und ähnliches mehr dienten als Druckmittel gegen die BetreiberInnen.
Da Einzelangriffe nicht zum Ziel führten, wird jetzt eine koordinierter Attacke gegen den Kanal geführt. Eigentümer, hoheitliche Staatsgewalt in Gestalt der Bezirkshauptmannschaft (BH), Bezirkskommandatur, Gemeinde und Landeskulturverwaltung rotteten sich zusammen, um in Hinblick auf endgültige Klärung einer Veranstaltungsbewilligung für den Kanal ganz harmlos "Informationen auszutauschen". Die Betroffenen selbst durften bei diesen informativen Gesprächen nicht teilnehmen. Stattdessen wurde ihnen am 31. Oktober anläßlich eines BH-Gipfels mitgeteilt, daß ab sofort jedwede Veranstaltungstätigkeit verboten sei und bei Nichtbefolgung mit Zwangsmaßnahmen wie Polizeieinsatz und Beschlagnahmungen zu rechnen ist. Der Kanal hat bis heute (Stand: 14.11.97) keinen Bescheid bezüglich Bewilligung bzw. Verbot erhalten!
Stattdessen wurde mit Unterstützung der Medien ein weiterer Angriff gegen den Kanal geführt. Beim BH-Gipfel am 31.10., der als "Kanal-Tribunal" in die Kulturgeschichte eingehen wird, verkündete der BürgerInnenmeister und Nationalrat Mag. Kurt Gassner vor den Anwesenden, daß sich im Kanal ein satanistisches Netzwerk beheimatet hätte. Eine besorgte Mutter hätte ihm davon berichtet. Dieses satanistische Neztwerk spanne sich nach Linz in die KAPU (ebenfalls ein autonomes Kulturzentrum, Anm.), wo sich gerade der anrainende Pfarrer beschwert hätte, daß ihm in den Weihbrunnkessel "gebrunzt" worden wäre. Als Beweis für die Beschuldigungen zeigte Grasser einer Artikel aus der gerade rechtzeitig erschienenen Linzer Rundschau. Das "linke Terrornetzwerk" der FPÖ wird nun durch ein satanistisches Sektennetzwerk erweitert.
Diese Verleumdungen kommen nicht von ungefähr. Es stellte sich heraus, daß die Gemeinde Schwertberg als Baubehörde - der BürgerInnenmeister ist diese in der ersten Instanz - die baurechtliche Blockade für die Veranstalungesbewilligung jahrelang widerrechtlich aufrechterhielt.
Dazu kommt nun, daß der Eigentümer in einem angrenzenden Gebäude Betriebswohnungen errichten will, wobei der Kanal als Kulturhaus mit manchmal lauten Veranstaltungen nicht gerade einladend für zukünftige NachbarInnen wirkt.
Ein weiterer Faktor ist, daß der Eigentümer in den bisherigen zehn Jahren ca. 1 Million öS an Miete kassierte, das Objekt laut Grundbuch aber nur um 150.000,- öS gekauft hatte. Alle Investitionen, wie z.B. die Elektroinstallationen, wurden vom KV Kanal auf dessen Kosten durchgeführt.
Da der Kanal mit "normalen Mitteln" nicht zu brechen ist, wird nun scheinbar mit geballter Allianz aus Behörden, Eigentümer und Polizei versucht, das autonome Kulturzentrum zu Fall zu bringen.
Da drängen sich folgende Fragen auf: Seit wann werden Verwaltungsverfahren ohne Bescheid durchgeführt und Ergebnisse mündlich mitgeteilt? Seit wann werden Verwaltungsverfahren von Öffentlichkeitsarbeit begleitet? Seit wann wird die betroffene Partei, in diesem Fall der Kanal, vom Verfahren ausgeschlossen, jedoch verfahrensfremde Beteiligte wie Eigentümer und Landeskulturinstitut involviert? Und die Betroffenen lediglich danach über das Urteil informiert?
Der Kanal wird unbeirrt seine Kulturarbeit fortsetzen und die kulturtümlerische Allianz in die Schranken weisen, bzw. darauf verweisen, worum es im Kern geht. Es sind einige Auflagen für eine endgültige Bewilligung zu erfüllen, also ein stinknormales Verfahren abzuwickeln. Dabei muß aber die Behörde zur Kenntnis nehmen, daß ein Großteil der Kulturarbeit des Kanal überhaupt nicht bewilligungspflichtig ist, d.h. von diesem Verfahren gar nicht tangiert wird. Die Gefahr besteht nun darin, daß sich die Behörde mit dem Notstandsparagraphen ein Instrument geschaffen hat, mit dem sie jedes Durchgreifen legitimieren will, auch wenn sich nachher herausstellen sollte, daß es illegal war. Kulturveranstaltungen, Diskussionen, Versammlungen, Vereinstreffen, Kundgebungen u.v.a.m. sind nicht bewilligungspflichtig; wer garantiert, daß die Exekutive nicht losgelassen wird?
Der Kanal fordert ein übliches Vorgehen, wie es bei allen gewerblichen oder nichtgewerblichen Verfahren gang und gäbe ist: Feststellen, was mangelhaft ist, welche Auflagen zu erfüllen sind, dann angemessene Fristsetzung bis 31.3.98; Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage, kooperatives Verhalten, Ausschluß von verfahrensfremden Interessen. Zwischenzeitlich Akzeptierung des bisherigen Zustands, wie dies z.B. auch bei Bauer/Bäuerinnen der Fall ist, die noch keine den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Abwasseranlagen haben. Also kein Messen mit zweierlei Maß!
Weiters fordert der Kanal das Land OÖ auf, dieses völlig verfehlte und unangemessene Vorgehen nicht als Vorwand zur Nichteinhaltung der Finanzierungsvereinbarungen zu nehmen.
Der BürgerInnenmeister und NR Kurt Gassner wird aufgefordert, sich für seine verleumderischen Aussagen, es gäbe ein satanistisches Netzwerk im Kanal, zu entschuldigen.
"Enteignung wegen unmoralischer Bereicherung (des Eigentümers; Anm.) ist im kapitalistischen Reich des geheiligten Privateigentums leider nicht möglich; trotzdem sollten sich die öffentlichen Stellen dafür verwenden, der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, indem sie den Eigentümer überzeugen, daß die unmoralische Bereicherung in die Hölle führt." (Kanal O-Ton)
"Freie Kulturarbeit muß ein öffentliches Anliegen sein/bleiben. Die Gesellschaft driftet ab in ordnungspolitischen Stumpfsinn und Brutalität; Feindbilder, Stigmatisierungen, Kriminalisierungen werden geschaffen, um dann mit polizeilichen Maßnahmen aufzuräumen, die ProtagonistInnen existentiell zu bedrohen, und sie damit von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Aufklärung, Störung, Veränderung, sinnliche Sensibilisierung werden dem Leistungstod im Kapitalismus geopfert. Daher und gerade deswegen bedarf es widerständiger Personen, Strukturen, Räume und Zeiten, wo Widerstand sich nicht in Simulierung erschöpft." (Kanal O-Ton)
"Wir sind nicht verzagt und scheißen uns sicherlich nicht in die Hosen. Trotzdem würde uns eure Solidarität ganz gut tun. Protestiert, faxt, ruft an.
Wer uns sonst noch unterstützen will, weil die Auflagenerfüllung Material im Wert von schätzungsweise 50.000,- und Arbeit kosten wird, dem bieten wir unsere Kontonummer an: Die Erste Sparkasse Schwertberg, BLZ: 20323, Kt.Nr. 0020034924"
KV Kanal 4311 Josefstal 21
Tel & Fax: 07262/62472
aus: TATblatt Nr. +87 (20/97) vom 20. November 1997
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