TATblatt


"Konzentrationslager" in Schwechat?

Kleine TATblatt-Wortklauberei in fremden Erklärungen

Beim SPÖ-Frauenzentrum "ega" in Wien wurden in der Nacht auf den 25.Oktober dieses Jahres die Fensterscheiben eingeschlagen. Eine Gruppe "klirrende Schwestern" begründete die Aktion mit ihrer Wut über den geplanten, von der SPÖ unterstützten Bau eines Schubhaftgefängnisses aus Containern am Gelände des Flughafens Schwechat. Den Containerbau selbst bezeichneten sie in ihrer Anschlagserklärung (abgedruckt in TATblatt plus 86) als "Konzentrationslager für MigrantInnen". Eine Annäherung...

linus

Tatsache ist: Die österreichische Regierung plant, ab kommenden Jahres Schubhäftlinge in einem Containerbau am Gelände des Flughafens Schwechat zu konzentrieren. Unzweifelhaft gibt es keinen Grund zur Annahme, daß Gefangene dort weniger menschenverachtende Bedingungen vorfinden werden, als sie in den bereits bestehenden Schubhaftgefängnissen aushalten müssen. Und allein sich auf die Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung berufend kann behauptet werden, daß Menschen, vom Schwechater Container aus abgeschoben, in ihren Herkunftsländer unsichere Verhältnisse, Verfolgung, Folter und im Extremfall den Tod erwarten müssen.

Der Containerbau dient, so die "klirrenden Schwestern", dazu, "die mörderische Abschiebemaschinerie weiter zu `rationalisieren'".

Eine treffende Formulierung... Ist das Schubgefängnis deshalb aber auch ein "Konzentrationslager"?

...vom Volkskörper fernhalten!

"Mit der Entwicklung des Dritten Reichs und seiner Gesetzgebung entstandden Konzentrationslagern eine weitere Aufgabe: alles rassisch-minderwertige und erblich-belastete vom Volkskörper fernzuhalten ... es erübrigt sich, die einzelnen Verbrechersorten aufzuführen, die in Konzentrationslagern ihr dem Staate unnützes Leben verbringen ...", schrieb ein Dachauer SS-Scharführer 1937 in einem Schulungsaufsatz(1) über "Sinn und Zweck der Konzentrationslager". Er hat damit die Funktion der deutschen Konzentrationslager aus der Sicht der TäterInnen mehr als deutlich umrissen.

Das gewählte Zitat ist in dreierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen, weil es nicht allein eine Einzelmeinung dokumentiert, sondern gleichzeitig auch das ideologische Fundament skiziert, welches KZ-Wachmannschaften im KZ Dachau, einer Art Schulungsstätte für spätere Einsätze in anderen Konzentrationslagern, mitgegeben wurde. Zum anderen, weil der Schreiber im letzten Halbsatz seine Bereitschaft, sich am erst später einsetzenden, industriell organisierten Massenmord zu beteiligen zumindest indirekt andeutet; und schließlich, für unsere Überlegungen bedeutend, auch auf einen gravierenden Bedeutungswandel des Begriffs Konzentrationslager mit Beginn der NS-Herrschaft in Deutschland hinweist.

Der Schulungsaufsatz eines eher niedrigrangigen NSDAP-Mitglieds entkräftet in seinen knappen zwei Sätzen ganze Gedankengebäude, die von rechtsextremistischer Seite zur Legitimierung und in der Folge zur Relativierung der Verbrechen in deutschen Konzentrationslager aufgebaut wurden: Daß es Konzentrationslager zB auch schon vor 1933 gab, so etwa im Burenkrieg von der englischen Armee eingerichtete, die concentrationcamps genannt wurden...

Um den Unterschied deutlich zu machen: Concentrationcamps dienten der Unterbringung ebenjener sehr großen Zahl an Gefangenen, wie sie in Kriegen eben nun einmal zusammenkommen. Die Unterbringung, das kann angenommen werden, war unmenschlich. Und mit Sicherheit sind in Concentrationcamps Menschen nach Folter, erniedrigender Behandlung etc. gestorben. Deutsche Konzentrationslager jedoch wurden unter dem "Primat der rassistisch motivierten Vernichtungsabsicht"(2) geführt. Die Ermordung jener, die dem nationalsozialistischen Weltverständnisses nach mit den Worten des zitierten SS-Scharführers "vom Volkskörper fernzuhalten" waren, war bereits "System der Konzentrationslager"(3) intendiert.

Schubhaft

Ohne nun Schubhaft, ihre Auswirkungen und möglichen Folgen für die einzelnen oder ihren grundsätzlich rassistischen Hintergrund relativieren zu wollen, erscheint die Anwendung des Begriffs "Konzentrationslager" auf Schubhaftgefängnisse nicht nur falsch, sondern auch politisch irreführend zu sein:

Die Tatsache, daß die/der eine oder andere Schubhäftling nach erfolgter Deportation gefoltert und/oder getötet wird, scheint von der Regierung als "systemimanent" in Kauf genommen zu werden. Dennoch kann nicht davon gesprochen werden, daß Folter und Tod Ziele der Schubhaft sind. Die Gleichsetzung KZ-Schubgefängnis wiederum verdeckt den Blick auf die realen Bedingungen in den Gefängnissen: Die sind schon schlimm genug, auch wenn sie nicht direkt zum Tode führen.

Die Vermittelbarkeit eventueller Paralellen (insb. etwa der rassistischen Ausrichtung; der generellen Anwendbarkeit auf alle Mitglieder einer "konstruierten" Gruppe von Personen, die im Eventualfall vom "österreichischen Volkskörper" fernzuhalten wären; die Sanktionslosigkeit individueller Übergriffe; etc.) geht gegen Null! Und schließlich: Die Gleichsetzung verkennt auch den Punkt der Kritik! Der sich in der Politik des heutigen Österreich manifestierende Rassismus ist zwar in seinen Wurzeln nicht von jenem zu trennen, der zwischen 1938 und 1945 zum industriell organisierten Massenmord geführt hat, hat aber "seine Lektion" aus der NS-Zeit gelernt: Er kommt heute rechtsstaatlich einwandfrei organisiert daher. Er sollte daher auch als SOLCHER benannt werden...

Fußnoten:

(1) Eine Photokopie des Aufsatzes befindet sich im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau. Zitiert wurde nach Falk Pingel, Das System der Konzentrationslager, S.31.
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(2) Ulrich Herbert, Arbeit und Vernichtung. Ökonomisches Interesse und Primat der "Weltanschauung" im Nationalsozialismus, in: ders. (hg.), Europa und der "Reichseinsatz". Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945, S.416.
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(3) Falk Pingel, Das System... unternimmt den Versuch, eine Entwicklungslinie der Konzentrationslager in Deutschland 1933-1945 zu zeichnen
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aus: TATblatt Nr. +87 (20/97) vom 20. November 1997
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